Baden-Württemberg: Ein Erdbebenschwarm lässt das Hegau zittern

„Kleiderschranktüren fingen an zu klappern, im Wohnzimmer fielen Bilder vom Regal und im Regal um. Hat sich angefühlt, als ob man auf ’ner Waschmaschine sitzt die grad losschleudern will. Ca 2 Sekunden max gedauert. 6:48/ 6:49 in etwa.“
Singen, am 3. November 2016

In landschaftlich reizvoller Lage befindet sich der kleine Ort Hilzingen im Landkreis Konstanz, westlich von Singen. Mit Hohentwiel und Hohenstoffeln sind zwei der bekanntesten Hegau-Vulkane in direkter Nachbarschaft. Dass die rund 8000 Einwohner auf einer aktiven tektonischen Störung leben, ist Ihnen spätestens im Herbst diesen Jahres bewusst geworden. Weit über 100 Erdbeben registrierte der Erdbebendienst Südwest seit Oktober, davon erreichten 44 Magnitude 1 oder mehr. Vier Beben mit Magnitude 2.2, 2.6, 2.7 und 3.0 waren auch über die Ortsgrenzen hinaus spürbar. Letzteres war gleichzeitig das stärkste Erdbeben in Baden-Württemberg in diesem Jahr und auch deutschlandweit das stärkste tektonische Erdbeben.
Da es im Hegau zuvor nur selten Erdbeben gegeben hat, war die Verunsicherung groß. Auch, da viele der kleineren Beben wegen der geringen Tiefe (ca. 5 km) verspürt wurden. Es gab Gerüchte über erneute vulkanische Aktivität. Auch die nahezu zeitgleichen Erdbeben in Italien wurden in Verbindung gebracht. Dass die Erdbeben tektonischen Ursprungs sind und die zeitliche Korrelation mit anderen Ereignissen nur Zufall ist, scheint sicher zu sein. Andere Erdbebenschwärme in der Vergangenheit, unter anderem im benachbarten Schaffhausen (Schweiz) 1995 zeigen, dass es kein neues Phänomen ist.

Insgesamt gab es in Baden-Württemberg seit Januar 120 Erdbeben (zwei induzierte durch die Geothermie-Anlage Basel / Weil am Rhein). Davon verspürt wurden mindestens 21 (16 durch den Hilzingen-Schwarm). Insgesamt gab es damit 30% mehr Beben als im Vorjahr, doch der Anteil an der gesamten Bundesrepublik war mit 40% deutlich geringer (46% in 2015). Somit war die Aktivität außerhalb des Hegaus vergleichsweise gering. Der Zollernalbkreis, normalerweise eine der erdbebenreichsten Regionen Deutschlands, erlebte nur zwei spürbare, aber ziemlich schwache Erdbeben mit Magnitude 2.2 und 2.3, deren Epizentren beide in Albstadt lagen. Insgesamt wurden im erdbebenreichsten Landkreis des vergangenen Jahres nur 15 Beben registriert, 24 waren es im Vorjahr. Etwas überraschender war ein kleines Erdbeben im Ortenaukreis am 12. Oktober, dessen Epizentrum genau im Ort Rust lag. Mit Magnitude 1.3 eigentlich ein fast alltägliches Beben im Oberrheingraben, konnte es aufgrund der geringen Tiefe deutlich mit Intensität III verspürt werden. Nur Intensität II erreichte das Beben nahe Salem im Bodenseekreis am 22. November. Mit Magnitude 2.0 war es nicht auffällig groß. Doch zählt der Bodenseekreis nicht zu den erdbebenreichen Regionen Baden-Württembergs. Entsprechend überraschend kam es für die meisten Anwohner. Viele brachten es auch mit der zeitgleichen Aktivität in Hilzingen in Verbindung. Doch blieb es im Bodenseekreis bei einem Einzelereignis.
Ebenso in Blumberg am 13. Februar, wo ein Beben der Stärke 2.2 spät abends von wenigen Personen wahrgenommen wurde.

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Bayern: Ob München oder Mittenwald, hauptsache Italien

„Wir haben es auch gemerkt, und meine Tochter hat von oben in ihrer Zimmer geschrien und Angst bekommen .Es hat sich wie eine Bombe angehört und unsere Haus hat kurz vibriert“ 

Poing, am 7. Dezember 2016

2015 beendete Bayern mit dem stärksten Erdbeben seit Jahren (M3.0) am späten Abend des 30. Dezember. Auch 2016 wurde der Höhepunkt der Aktivität erst gegen Ende des Jahres erreicht. Das erste Beben – passenderweise ein Nachbeben – gab es am 17. Februar mit Magnitude 1.7 im Berchtesgadener Land. Es bliebt das einzige Erdbeben im südöstlichsten Zipfel Deutschlands. Stattdessen kristallisierten sich im Verlauf des Jahres zwei andere Erdbebenschwerpunkte heraus. Zum einen die Region Mittenwald – Garmisch-Partenkirchen. Insgesamt drei mal wurde ein Epizentrum in den Bereich lokalisiert. Darunter ein Erdbeben der Stärke 2.6 am 7. Oktober, das stärkste dort seit Jahren, das rund um Garmisch-Partenkirchen deutlich verspürt wurde. Zudem kam es zu zwei Erdbeben im angrenzenden Österreich, die bis auf die Region übergegriffen haben. Das erste mit Magnitude 2.2 am 3. April am Südhang der Zugspitze und das zweite, mit Magnitude 3.6 deutlich stärker, am 25. Juli in Seefeld. Das Schüttergebiet umfasste dabei Mittenwald und Krün, wo Intensität II verzeichnet wurde.
Den zweiten Schwerpunkt bildet das Umfeld von München. Im Dezember kam es im Ort Poing zu vier Erdbeben. Die ersten, die dort jemals aufgezeichnet wurden. Erdbebendienste vermuten, dass ein Zusammenhang zu den Arbeiten in den dortigen Geothermie-Kraftwerken besteht. Die Betreiber sehen keinen eindeutigen Zusammenhang (Stand: 30. Dezember 2016).
Das erste Erdbeben am 7. Dezember war gleichzeitig das stärkste. Mit Magnitude 2.3 verspürten auch Anwohner umliegender Orte die Erschütterungen (Intensität III). Es folgten zwei kleine, nicht spürbare Erdbeben am 10. Dezember und ein viertes, Magnitude 2.0, am 20., das schwach spürbar war (Intensität II).
Es handelte sich um die ersten spürbaren Erdbeben in der Bayrischen Molasse seit einer Erdbebenserie in den Jahren 2007 und 2008 nahe Unterhaching, die ebenfalls eine Folge der Geothermie-Nutzung war.

Vom Österreichischen Erdbebendienst bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik wurden weitere, nicht spürbare Erdbeben rund um München registriert. Darunter eins in Neufahrn (M1.6) am 16. November und in Aying (M1.8) am 23. Dezember. Über mögliche Ursachen (Geothermie?) ist nichts bekannt.

Ebenfalls erwähnenswert ist ein kleines Erdbeben (M1.6) in Oberstdorf am 17. Mai und eines in Günzburg (M2.0) am 1. Oktober. Beide waren zu schwach bzw. zu tief, um von der Bevölkerung wahrgenommen zu werden.

Zwei weitere Male wurde in diesem Jahr in Bayern ein Erdbeben verspürt: Am 26. Oktober und am 30. Oktober. Epizentrum: Italien. Die beiden großen Erdbeben in der Region Marken mit Magnitude 5.9 und 6.5, die große Zerstörung verursachten aber nur wenig menschliche Opfer forderten, waren in weiten Teilen des Alpenraums spürbar. Darunter viele Orte südlich der Donau. Aufgrund der Distanz zum Epizentrum war die Intensität aber nur noch schwach, sodass fast ausschließlich wache Menschen (die Erdbeben waren früh morgens, bzw. abends) in oberen Stockwerken diese geringen Vibrationen wahrgenommen haben. Das Schüttergebiet umfasste dabei auch große Teile von Österreich, der Schweiz und des westlichen Balkans.
Es ist das erste Mal seit 2012, dass ein Erdbeben in Italien auch auf deutschem Staatsgebiet verspürt wurde.

Insgesamt kommt Bayern auf 21 Erdbeben, davon fünf im Ausland. 14 waren es im Vorjahr.

Spürbare Erdbeben in Baden-Württemberg und Bayern 2016; Rote Flächen: Schüttergebiete spürbarer Erdbeben; Rot transparent: Schüttergebiete spürbarer Erdbeben im Ausland, die bis Deutschland reichten

Niedersachsen: Erdgas und Erdbeben

„Nach einem lauten Knall verschoben sich die Wände in der Küche. Das Haus wurde durchgerüttelt. Mein 7-jähriges Kind schrie und weinte. Nach diesem Beben rannten wir aus dem Haus. In der Straße Hollenweg versammelten sich diverse Anwohner, die das Selbe erlebt hatten.“

Langwedel, am 22. April 2016

An den Erdgasfeldern in Niedersachsen war die Erdbebenaktivität in diesem Jahr deutlich höher als im Vorjahr, was auch von den Anwohnern so aufgenommen wurde. Insgesamt neun Erdbeben wurden vom ortsansässigen Überwachungsnetz des Bundesamtes Erdöl, Erdgas und Geoenergie erfasst, davon sechs deutlich spürbar über Magnitude 2 (Anstieg um 50% im Vergleich zum Vorjahr). Besonders betroffen war der Landkreis Verden, wo die beiden stärksten des Jahres auftraten. Mit Magnitude 3.2 war das Erdbeben in Langwedel am 22. April auch deutschlandweit das zweitstärkste und eines der stärksten, die je rund um Verden registriert wurden. Nicht nur die Anwohner blieben verängstigt zurück. Rund 200 Gebäude erlitten durch das Erdbeben (neue) Schäden. Einige Zeugen berichteten uns von meterlangen Rissen in ihren Häusern.
Das zweite Erdbeben am 15. November hinterließ keine Schäden. Mit Magnitude 2.4 schreckte es aber erneut viele Bewohner auf.
Neben Verden und Langwedel waren noch die Orte Großenkneten (27. Oktober), Bothel (28. Mai) und Walsrode (18. Februar) von spürbaren Erdbeben betroffen. Zudem kam es zu einem Erdbeben der Stärke 2.7 in Wardenburg (14. Januar) im Landkreis Oldenburg, welches das bis dahin stärkste in diesem Gebiet war und selbst im Süden von Oldenburg noch verspürt wurde.
Ein weiterer Aktivitätsschwerpunkt bildet die deutsch-holländische Grenze, die am Rande des Einflussbereichs vom Erdgasfeld Groningen liegt. So kam es in diesem Jahr zweimal zu kleinen Erdbeben in der Emsmündung, nur wenige Kilometer vom deutschen Festland (Ostfriesland) entfernt. Dieses Seegebiet steht unter Verwaltung beider Länder. Einen eindeutigen Grenzverlauf gibt es nicht.

Tektonische Erdbeben, wie sie in Niedersachsen sehr selten sind, wurden in diesem Jahr nicht registriert.

Spürbare Erdbeben in Niedersachsen 2016; Rote Flächen: Schüttergebiete spürbarer Erdbeben

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