Im kleinen Ort Poing östlich von München bebt im Dezember die Erde. Viermal in zwei Wochen. Zum ersten Mal in der Geschichte. Dass es passiert, ist höchstwahrscheinlich die Folge der dortigen Geothermie-Anlagen, wo die Erdwärme genutzt wird, um Strom zu erzeugen. Dies funktioniert, indem man Wasser in tiefe Gesteinsschichten pumpt, wo es sich auch über 100° erhitzt und später wieder an die Oberfläche gepumpt wird. Dabei kann ich in Ausnahmefällen der Spannungszustand im Gebirge verändern, sodass spürbare Erdbeben begünstigt werden. Ob dies wirklich passiert, hängt dabei von mehreren, teils nicht genau geklärten Ursachen ab. Benötigt wird auf jeden Fall vorhandene Spannung im Gestein, denn durch Bohrungen alleine wird Gestein praktisch nicht unter Druck gesetzt. Zudem müssen große Schwachstellen im Gestein (Störungen) vorhanden sein, die durch das Wasser „gelockert“ werden. In Deutschland ist es vorgeschrieben, an Geothermie-Anlagen ein seismisches Überwachungsnetz zu errichten, um selbst die häufigeren Mikrobeben zu erfassen.

Während in Ländern wie Island die Erdwärme bisher größtenteils problemlos zur Energieerzeugung genutzt werden konnte, kam es an mehreren Orten zu seismischen Ereignissen, die die Anwohner verunsicherten und teils Schäden verursachten. Im folgenden ein Überblick über die wichtigsten dieser menschengemachten Erdbeben.

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Kalifornien
Der US-Bundesstaat an der Westküste gehört zu den seismisch aktivsten Regionen Nordamerikas. Dabei gehen diese Beben nicht immer auf tektonische Prozesse zurück. In Kalifornien gibt es zwei größere Geothermie-Anlagen, die schon seit Jahrzehnten zu teils erheblicher Seismizität führen. Die bekannteste Anlage befindet sich am Salton-See am südlichen Ende der bekannten San Andreas Störung. Die Region ist von zahlreichen Störungen durchzogen. Junger Vulkanismus gibt Einblicke in den heißen Untergrund. Entsprechend ist die Gewinnung von Energie durch Geothermie-Kraftwerke sehr lukrativ. Seit den 80er Jahren findet ein stetiger Ausbau der Anlagen statt. Seit den 80er Jahren gibt es einen stetigen Anstieg der seismischen Aktivität. Der Zusammenhang wurde bereits in zahlreichen Studien belegt. Große Erdbeben waren in der Zeit nicht dabei, das stärkste erreichte Magnitude 5.1. Eine kleine Hausnummer für eine Region mit hoher natürlicher Seismizität. Befürchtungen, Geothermie-Anlagen könnten auch die San Andreas Störung aus ihrem „Schlaf“ reißen, wurden oft geäußert. Forscher sind sich jedoch größtenteils einig, dass dahingehend praktisch keine Gefahr besteht.

Eine andere große Geothermie-Anlage befindet sich im Norden von Kalifornien am Clear Lake. Hier ist die seismische Aktivität aufgrund der Arbeiten so hoch, dass fast täglich mehrere kleine Erdbeben registriert werden, die häufig verspürt werden. Die Folge sind beschädigte Häuser und verschobene Straßen. Erst vergangene Woche ereignete sich dort das bisher stärkste Erdbeben überhaupt, es erreichte Magnitude 5.0.
Die seismische Aktivität setzte in den 70er Jahren ein. Mit einem stetigen Ausbau der Energiegewinnung erfolgte auch ein stetiger Anstieg der Aktivität auf rund 1000 Erdbeben pro Jahr. Ein Ausbau der Überwachungsnetze führte später zu einem weiteren Anstieg der registrierten Ereignisse. Seit den 80er Jahren bleibt die Aktivität relativ konstant. Der Großteil der Erdbeben (90%) ist schwächer als Magnitude 2.5 und somit kaum wahrnehmbar.

Schweiz
Eines der bekanntesten Beispiele für induzierte Seismizität an Geothermie-Anlagen findet sich in der Schweizerischen Stadt Basel. In den Jahren 2006 und 2007 kam es kurz nach Inbetriebnahme zu einem sprunghaften Anstieg der seismischen Aktivität im Drei-Länder-Eck. Mehrere Tausend Erdbeben wurden insgesamt registriert, einige wenige so stark (über Magnitude 3), dass sie leichte Schäden verursacht haben und auch in der deutschen Nachbarstadt Weil am Rhein stark zu spüren waren. Im Jahr 2009 wurde das Geothermie-Projekt eingestellt, nachdem eine Studie ergeben hat, dass es bei Fortführung des Betriebs weitere Erdbeben geben wird. Dennoch gibt es seit dem immer wieder kleine Erdbeben, deren Epizentren heute überwiegend in Weil am Rhein liegen. Im Jahr 2016 registrierte der Erdbebendienst Südwest zwei Beben mit Magnitude 1.6 und 1.6.
Auch im Kanton St. Gallen führte das Erdbebenrisiko zum Ende eines Geothermie-Projektes. Dort kam es im Sommer 2013 nach einem Zwischenfall bei einer Bohrloch-Stabilisierung zu einem Erdbeben der Stärke 3.6, das in der Umgebung einzelne Schäden verursachte. Es folgte keine Erdbebenserie, dennoch entschieden die Behörden später, den Betrieb der Anlage nicht fortzuführen. Neben der Erdbebengefahr wurde auch die geringe Lukrativität als Grund genannt.

Landau / Insheim
Die bekanntesten Beispiele für induzierte Seismizität durch Geothermie-Anlagen in Deutschland befinden sich im Süden von Rheinland-Pfalz. Dort werden – mit einigen Unterbrechungen bis heute – seit einigen Jahren Geothermie-Anlagen betrieben. Zur Zeit ist nur die Anlage in Insheim aktiv. Infolge dessen kommt es dort immer wieder zu kleinen Erdbeben. Die bisher stärksten traten im Jahr 2009 auf und führten zu starken Einschränkungen des Projektes. Weitere Bohrungen sind geplant, eine Umsetzung ist allerdings fraglich.
Der Betrieb am Kraftwerk Insheim läuft nach einer Unterbrechung seit 2015 weiter. Kurz nach Wiederinbetriebnahme kam es zu einem Anstieg der seismischen Aktivität. Inzwischen treten Beben dort aber nur noch vereinzelt auf. Im Jahr 2016 waren es bisher fünf Erdbeben über Magnitude 1, das stärkste mit Magnitude 1.9.

Unterhaching
Poing ist nicht das erste Beispiel für induzierte Seismizität im Großraum München. Bereits im Jahr 2007 kam es an einer Geothermie-Anlage in Unterhaching zu einem spürbaren Beben mit Magnitude 2.5. Ein zweites kleineres folgte im Winter 2008. Als Reaktion darauf wurde das Überwachungsnetz am Betriebsort ausgebaut. Dadurch konnten auch kleinere Erdbeben registriert werden, die bis dahin verborgen blieben. So zeigte sich laut einer Studie des Bundesumweltministeriums, dass es bis zum Jahr 2013 hunderte Mikrobeben gab. Erhöhte Aktivität mit Beben bis Magnitude 2 gab es unter anderem im Frühjahr 2011 und im Frühjahr 2013. Da die Beben nicht so stark waren, dass ernste Schäden zu befürchten sind, folgte keine Einschränkung im Betrieb.
Zudem gibt es aus Deutschland weitere Beispiele von induzierter Seismizität, die nicht verspürt wurde. Bei entsprechenden Anlagen ist eine solche Aktivität normal und kein Grund zur Besorgnis. Beispiele sind unter Anderem eine Anlage in Bad Urach (BW), wo es 2002 mehrere hundert Mikrobeben mit Magnitude 1.8 gegeben hat,

Nicht immer sind Erdbeben ein unterwünschtes Nebenprodukt. Gelegentlich wird an Bohrstellen bewusst im Rahmen der Risikoeinschätzung eine geringe Seismizität getriggert, um das Umgebungsgestein und dessen Spannungszustand besser zu erforschen. So geschehen unter anderem in den Jahren 1994 und 2000 an der Kontinentalen Tiefenbohrung (KTB) in der Oberpfalz (Bayern).

Zur Vermeidung von unnötigen Risiken findet in jeder Anlage eine Seismische Gefahrenanalyse statt. Anhand der gemessenen Mikrobeben wird eine Abschätzung getätigt, wie sich die Aktivität bei variierenden Injektionsvolumina im Laufe der Zeit verändert und welche Beben maximal möglich sind. Teile der Planung umfassen zudem die Öffentlichkeitsarbeit und einen möglichen Produktionsstop, ab einer bestimmten Magnitude.
Bisher kam es in Deutschland nicht zu solchen Erdbeben, die nennenswerte Schäden verursacht haben. Auch die Magnitude der induzierten Ereignisse ist im Vergleich zu anderen menschengemachten Beben, die man zum Beispiel aus Bergbau oder Erdgasförderung kennt, sehr gering.