Saarlouis – Am heutigen 23. Februar jährt sich das stärkste jemals im Saarland registrierte Erdbeben zum zehnten Mal. Selten hat es in Deutschland Erdbeben gegeben, die ähnlich starke Auswirkungen hatten. Nicht nur die tausenden Gebäude die in Saarlouis, Saarwellingen und anderen Orten Schäden erlitten haben. Auch der komplette Ausstieg aus einem regional bedeutenden Wirtschaftszweig war eine Folge des Bebens. Die Erdbebenaktivität ist dadurch zwar wieder auf natürlichem Niveau, doch fürchten viele, dass dies nicht dauerhaft so bleiben wird.

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Es war 16:31 Uhr am Samstagnachmittag als die Bewohner des Saarlandes den Schock ihres Lebens erlitten. Mit Lokalmagnitude 4, so ergaben später die Auswertungen des Erdbebendienstes Südwest, wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der bergbauinduzierten Seismizität in Deutschland geschrieben. Es war nicht das erste Erdbeben im Saarland. Seit Beginn des Bergbaus kam es dort, wie auch im ebenfalls bergbaugeprägten Ruhrgebiet, häufig zu Erschütterungen. Bereits in den ersten Wochen des Jahres 2008 wurden zwischen Saarwellingen, Saarlouis und Dillingen 17 Beben über Magnitude zwei registriert. 17 Beben, die deutlich spürbar waren und das sowieso schon angespannte Verhältnis zwischen Anwohnern und Bergbau weiter strapazierten. 17 Beben, die im Nachhinein betrachtet das kommende Unheil ankündigten. Doch mit maximal Magnitude 3.4 blieben diese Erdbeben in Rahmen des Erwartbaren. Bis zum 23. Februar.

Höhere Intensität bei induzierten Erdbeben

Es war nur Magnitude 4, könnten viele Menschen sagen, die nicht in einem Bergbaugebiet leben. Doch müssen induzierte und natürliche Erdbeben aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, um einen einigermaßen realistischen Vergleich zu ziehen.
Der Untertagebergbau führt, zum einen durch den Abbau selbst, zum anderen durch dabei genutzte Sprengungen, zu Spannungsänderung im Gestein. An entstandenen Rissen und natürlichen Störungen kommt es irgendwann zum Spannungsabbau – ein Erdbeben entsteht. Die Häufigkeit dieser induzierten Erdbeben ist stark von der Intensität des Bergbaus abhängig. Wo viel und schnell gefördert wird, werden viele Spannungen auf- und abgebaut. Meistens passiert dies oberhalb der Abbausohle und somit in einer Tiefe, die deutlich geringer ist, als bei tektonischen Erdbeben. Eine geringere Tiefe bedeutet eine geringere Distanz zwischen Erdbebenherd und Oberfläche und somit eine höhere Intensität. Entsprechend war das Erdbeben am 23. Februar 2008 eher vergleichbar mit einem tektonischen Erdbeben der Magnitude 5 bis 5,5, wenn auch die Auswirkungen räumlich deutlich begrenzter waren. In manchen Fällen kommt es zum kompletten Einbruch der Gesteinsschichten oberhalb der Abbausohle. Solche Ereignisse werden auch als Gebirgsschlag bezeichnet.

Erdbebengefahr verringert – aber nicht behoben

Nach dem Vorfall wurde der endgültige Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau im Saarland beschlossen und schließlich 2012 vollzogen. Seit dem stehen die Räder der Fördertürme still. Der Ausstieg hatte den von Anwohnern und Politikern erhofften Effekt: Die Zahl der Erdbeben nahm mit dem Ende des Bergbaus rapide ab. Zuletzt hat es 2014 ein deutlich spürbares Erdbeben gegeben, zu Schäden kam es aber nicht mehr.

Doch ist es ziemlich wahrscheinlich, dass diese erdbebenfreie Zeit im Saarland nicht ewig andauern wird. Dafür gibt es drei Gründe:

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  1. Auch wenn die natürliche Aktivität vergleichsweise gering ist, ist das Saarland nicht erdbebenfrei. Auch natürliche Erdbeben hat es in der Geschichte des Landes gegeben. Zuletzt bebte es im Sommer 2017 mit Magnitude 1.3 bei Perl. Nicht spürbar, aber ein Zeichen, dass der Bergbau nicht die einzige Erdbebenquelle an der Saar ist.
  2. Können auch viele Jahre nach dem Ende des Bergbaus noch einzelne Erdbeben auftreten. Die Wahrscheinlichkeit nimmt zwar im Laufe der Zeit immer weiter ab, aber ganz bei 0% wird sie nie liegen. Auch im Ruhrgebiet hat es in den stillgelegten Abbaugebieten noch Jahre später einzelne Beben gegeben.
  3. Die geplante Flutung der Schächte wird die Erdbebengefahr erneut erhöhen.

Punkt drei ist für viele Bergbaugegner einer der Gründe, den Jahrestag für Demonstrationen und Mahnwachen zu nutzen. Zwar bestreitet der Bergbaubetreiber RAG, dass ein ernstes Risiko besteht, doch sehen viele die Wahrscheinlichkeit als durchaus gegeben an.

Risiko Porenfluiddruck

Zum Verständnis dieser Situation muss man mehrere Aspekte betrachten. Ausschlaggebend ist hier, dass Wasser im Gestein zu einer Verschiebung des Spannungsverhältnisses führt. Genauer gesagt wird durch vorhandenes Wasser in den Gesteinsporen und -klüften („Porenfluiddruck“) das Verhältnis zwischen Hauptnormalspannung und Scherspannung, das ausschlaggebend für Stabilität ist. Durch diese Verschiebung wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es im Gestein zu Brüchen kommt, was in Form von Erdbeben geschehen würde. Dabei gilt: Je stärker die Verschiebung, umso höher die Erdbebenwahrscheinlichkeit.
An diesem Punkt kann man argumentieren, dass die Flutung der Gruben nur dazu führt, dass der Grundwasserspiegel wieder auf sein natürliches Level zurückkehrt. Somit müsste das Spannungsverhältnis wieder auf den Normalzustand gebracht werden. Normal, wie es vor dem Bergbau gewesen ist.
Dieses Argument greift allerdings nur, wenn man davon ausgeht, dass die Spannungssituation im Gestein unverändert geblieben ist. Durch den Bergbau ist diese Situation aber in den oberen 1 bis 2 Kilometer teilweise extrem verändert worden, abhängig vom vorhandenen Gesteinstyp (was man an den induzierten Erdbeben sieht). Gerade hier in den künstlich entstandenen Störungen könnte es noch Bereiche geben, in denen die Spannung kurz vor einem kritischen Wert steht. Eine Flutung würde hier unweigerlich zu Erdbeben führen, wenn auch nicht zu großen wie 2008. Wahrscheinlicher sind Mikrobeben, da die neuen Störungen sehr klein sind.

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Größer wäre die Gefahr, wenn durch die Flutung natürliche Störungen reaktiviert werden. Diese befinden sich in größerer Tiefe und hätten auch das Potential, größere Erdbeben um Magnitude 5 auszulösen. Der Bergbau kann auch den Spannungszustand auf diesen Störungen verändert haben, vor allem durch die Förderung und damit einhergehende Druckentlastung. Der niedrige Porenfluiddruck durch das Abpumpen des Grundwassers hätte in diesem Szenario, je nach Störungstyp, ein natürliches Erdbeben verzögert. Je nachdem, in welchem Abschnitt des seismischen Zyklus sich aktive natürliche Störungen befinden, um welchen Typ es sich handelt und wie stark der Einfluss des Bergbaus auf diese war, könnte das Eintreten eines größeren natürlichen Erdbebens durch Anhebung des Grundwasserspiegels auf den Normalzustand beschleunigt werden.
Zu diesem Szenario gehören allerdings viele Variablen. Es müssen viele Faktoren zusammenkommen. Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, dass es genauso kommt, ziemlich gering.

Dass kleine Erdbeben kein unwahrscheinliches Szenario sind zeigt ein Vorfall im Ruhrgebiet im Januar 2017, als ein Erdbeben der Stärke 1,8 in Herne registriert worden ist. Der Zeitpunkt dieses Erdbebens stimmt mit einem geringen Anstieg des Grundwasserspiegels überein, ein Zusammenhang scheint denkbar, vor allem da das Ende des Bergbaus in Herne bereits Jahrzehnte zurück liegt und der Erdbebenherd unterhalb des früheren Abbaus lag.

Die Ereignisse von 2008 sind vor allem durch Demonstrationen heute wieder sehr präsent. Die Sorge vor weiteren Erdbeben in naher Zukunft bleibt trotz Ende des Bergbaus bestehen. Wie realistisch die Sorgen sind, wird die Zukunft zeigen. Doch sollte man nicht vergessen: Erdbeben sind keine menschliche Erfindung und auch ohne Bergbau werden zukünftige Generationen im Saarland den Schock ihres Lebens erleiden müssen.

Allgemeine Informationen zu diesem Erdbeben:

Uhrzeit (Mitteleuropäische Zeit): 23. Februar 2008, 16:31 Uhr

Magnitude: 4,0

Tiefe: 1 km

Spürbar: ja

Schäden erwartet: ja

Opfer erwartet: nein

Ursprung: induziert (Bergbau)

Tsunami-Gefahr: nein

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