Manche Dinge sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Die hungrigen Wespen beim spätsommerlichen Grillfest zum Beispiel. Löcher in der Tapete eines Hobbydartspielers. Aber auch, und das erleben wir seit 48 Stunden extrem, das massenhafte Auftauchen von Katastrophenpropheten, sobald mal mehr als vier starke Erdbeben pro Woche auftreten.

Seit Sonntag, und damit innerhalb von nicht mal vier Tagen, hat es sogar acht starke Erdbeben gegeben (O!M!G!!)! Und wie ein Wespenschwarm – aufgestachelt von Bloggern, gewissen YouTubern und ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit – schwirren sie nun durch die Sozialen Netzwerke: Die selbsternannten Erdbebenexperten („Ich schaue schon seit Jahren regelmäßig auf meine Erdbebenapp, ich weiß was los ist!!11!“), die sich nicht zu schade sind, ihrer Botschaft mit Beleidigungen und Drohungen Nachdruck zu verleihen, wollen möglichst viele Menschen warnen! Weil ja jetzt das große Erdbeben kommt, das die Menschheit vom Planeten schütteln wird wie einen Parasiten (oder so). So unglaublich viele Erdbeben wie zuletzt hat es noch nie gegeben! Das kann kein gutes Zeichen sein! Warnt alle! Flüchtet ins Landesinnere! 2012 (der Film) wird wahr und wir werden alle sterben!! Also ihr, nicht ich, ich bin ja nicht so doof und wohne in Kalifornien oder Japan. Pahahahahh…

Wie so oft bei Internetphänomenen gibt es etwas, das so überhaupt nicht hilft: Fakten. Versucht man es doch einmal auf die logische Art, ist es so, als wenn man einem Hund beibringen würde, alleine aufs Klo zu gehen: Man tritt jedes Mal, wenn man das Zimmer verlässt, in einen Kackhaufen.
Zum Glück haben Hunde und Menschen similärer Gehirnleistung bei der inhaltlichen Gestaltung dieser Webseite kein Mitspracherecht. Daher kommen hier die unbequemen, ungeschönten Fakten, die manchen hoffentlich stubenreinen Zweibeinern auf die Verdauung schlagen könnten:

Die Erdbebendürre dauert an!

 

Boah geil, fett geschrieben, unterstrichen und steht im Internet! Muss also stimmen, gleich mal auf Facebook teilen!

Für alle, die mit dem Teilen warten, bis sie wirklich genau wissen, das der Text aussagt: Was ist denn bitteschön eine Erdbebendürre?

Eine herkömmliche Dürre ist das, was wir zwischen Köln und Berlin (mit lokalen Ausnahmen) seit Monaten erleben: Wassermangel / Trockenheit, bedingt durch ausbleibende Niederschläge. Die Folgen sind Ernteausfälle, Einschränkungen der Binnenschifffahrt durch niedrige Flusspegel, hohe Waldbrandgefahr und daraus resultierend Absagen von Feuerwerken (Ohh Nein!!!).
Äquivalent dazu handelt es sich bei einer Erdbebendürre (kein offizieller Begriff) um das Ausbleiben von (starken) Erdbeben. Also das, was wir zwischen Washington und Wellington (mit regionalen Ausnahmen) seit Monaten erleben.
Die Folgen einer Erdbebendürre sind… nun ja… ähhh… ach, keine Ahnung, unterbeschäftigte Seismologen? Vielleicht?

Aber… Aber… der Typ auf YouTube hat gesagt…

Wie lässt sich eine Erdbebendürre am besten darstellen? Durch die menschliche Wahrnehmung, die so ziemlich auf das Hier und Jetzt beschränkt ist und langzeitliche Veränderungen kaum erfassen kann, wird wohl kaum einer bemerkt haben, dass die Erdbebendürre da ist. Sensationsgeile Boulevardmedien sind da auch keine Hilfe gewesen. „Wieder kein Erdbeben in Pakistan! Geht uns jetzt der Wackelpudding aus?“ ist selbst für BILD-Verhältnisse eine wenig sinnvolle Schlagzeile. Daraus folgte, dass die sehr unterdurchschnittliche Erdbebenaktivität (mit einem erreichten und einem fast erreichten Rekordzeitraum ohne starkes Erdbeben seit Aufzeichnungbeginn) der letzten Monate als „normal“ eingestuft wurde. Im Umkehrschluss heißt das – und jetzt bauen wir die Brücke zu den in der Einleitung erwähnten Personen – dass eine aktivere, überdurchschnittliche Phase, und sei sie nur vier Tage lang, direkt als extrem wahrgenommen wird. Und extrem ist ja immer böse und die noch böseren Wissenschaftler und Reptiloiden wollen die kommende Katastrophe vertuschen! So siehts aus! Alles Fake News! Hoch lebe King Dutchy!

So, was fehlt noch? Ach ja, der Beleg, dass ich mir die Erdbebendürre nicht ausgedacht habe. Aber so unterbeschäftigt war ich in den letzten Tagen eigentlich nicht… Daher bin ich froh, dass sich die Facebook-Seite „The Next California Earthquake“ (kann man mal liken, ist ne gute Seite) mit dem Thema beschäftigt hat:


Resultat: Obwohl bereits fast acht Monate, und damit fast zwei Drittel des Jahres verstrichen sind, ist gerade mal die Hälfte der durchschnittlichen Erdbebenanzahl erreicht. Bei ca. 120 M6+ Erdbeben pro Jahr und 14 mal M7 fallen die letzten vier Tage wenig ins Gewicht. Und ja, das heutige M6+ in Nordostpazifik fehlt noch in dieser Statistik. Möge man in Gedanken bitte ergänzen.
Klar, würde man die letzten vier Tage auf ein gesamtes Jahr extrapolieren, hätte man ein extremes Jahr. Aber kurze Phasen starker Erdbebenaktivität zu überinterpretieren war ja bereits 2015 und 2016 total aus der Mode. Ein Durchschnitt bildet sich nunmal aus 50% Unterdurchschnitt und 50% Überdurchschnitt. Zudem: Die kurze Phase hoher Aktivität, ähnlich der aktuellen, im Januar diesen Jahres hat ja auch nicht zur Zerstörung der Erde geführt. Sondern zu einem neuen Erdbeben-Minimumrekord.

„Nach Regenschauer in Wanne-Eickel – Droht Deutschland jetzt die Sintflut?“

Falls übrigens jemand seine eigenen Statistiken fälschen möchte: Das Erdbebenarchiv des USGS lädt zum Stöbern ein, ist sehr umfangreich und, entgegen anders lautender Behauptungen, ist da auch nichts zensiert. Die oben stehende Tabelle stammt übrigens von Wikipedia.

Fazit, liebe Katastrophenpropheten: Ja, die letzten vier Tage hatten schon eine beeindruckende Anzahl an starken Erdbeben. Nein, das heißt nicht, dass nun der ganze Planet von starken Erdbeben heimgesucht werden wird. Vielleicht war das M6.2 heute Mittag das letzte dieser Größe für mehrere Wochen. Vielleicht dauert die Erdbebendürre an und wir erleben das ruhigste Erdbebenjahr seit Aufzeichnungsbeginn. Vielleicht steht uns aber auch ein aktiver Herbst bevor und 2018 endet doch noch mit durchschnittlicher oder sogar überdurchschnittlicher Aktivität. [Nachtrag 2019: Das Jahr endete durchschnittlich.] Selbst letzteres wäre kein Grund zur Sorge: Im Durchschnitt sind 50% aller Jahre überdurchschnittlich 😉 . Was aber am Ende herauskommt, werden wir erst 2019 wissen. Alle Arten an Vorhersagen sind genauso gut, wie blind mit Dartpfeilen auf eine Weltkarte an der Wand werfen. Wenn man es oft genug macht, wird man ein Epizentrum treffen. Aber man bekommt auch viele Löcher in der Tapete.

Beitragsbild oben: Mit freundlicher Genehmigung von https://www.facebook.com/catnewsde