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Der Vogtland-Schwarm

Klingenthal, 21. Mai 2018
Beim ersten Beben nur das Grollen, leichtes Klirren der Schrankwand. das zweite Beben war deutlich heftiger, lautes und langes Klirren der Scheiben. Vom Gefühl her das stärkste seit es am 10.5. anfangen hat.

Es war phasenweise ein seltsames Muster, dem die Schwarmbebenaktivität im Vogtland in den vergangenen rund zehn Jahren folgte. Zwar war das massive, gruppenweise Auftreten von Erdbeben bereits seit dem Mittelalter bekannt, doch war das Verhalten dieser Schwarmbeben seit 2018 ein wenig anders, als man es zumindest aus den modernen Aufzeichnungen kannte.
Da war zum Einen die relativ hohe Frequenz der Schwarmbeben. Mit 2008, 2011, 2017 und 2018 waren es insgesamt vier nennenswerte Schwarmereignisse innerhalb eines Jahrzehnts. Hinzu kamen die bis dato nicht beobachteten Einzelbeben im Sommer 2014. Diese waren zwar ebenfalls von einer hohen Anzahl kleinerer Erdbeben begleitet, doch folgte die Verteilung eher dem klassischen Muster von Vor- und Nachbeben, wie man es von normalen seismischen Ereignissen kennt. Kein Schwarm also, das ganze dreimal innerhalb weniger Monate.
Auch die Schwärme waren, möglicherweise der relativ hohen Frequenz ihres Auftretens geschuldet, eher kurzlebig und von geringer Intensität.

Zumindest für die Einzelerdbeben 2014 hat sich in diesem Jahr eine Erklärung gefunden. So zeigte eine genauere Lokalisierung der Hypozentren aller Erdbeben, dass die Schwarmbeben der vorangegangenen Jahrzehnte an einem bis dato unbekannten Segment der Störungszone eine Lücke ließen, an der sich über längere Zeit Energie ansammeln konnte. Energie, die sich 2014 in Form dreier relativ starker Erdbeben entlud. Quasi Nachbeben früherer Schwarmbeben.

(Jakoubková, H., Horálek, J., & Fischer, T. (2018). 2014 Mainshock-Aftershock Activity Versus Earthquake Swarms in West Bohemia, Czech Republic. Pure and Applied Geophysics175(1), 109-131.)

Im Mai 2018 war wieder alles beim Alten. Ein Schwarm mit rund zweiwöchiger Dauer und, nach einer mehrwöchigen Pause, einem kurzen Wiederaufleben im Juni sowie einem späten „Nachhallen“ im August. Ein Verlauf, wie man ihn mehrfach in der Geschichte beobachten durfte. Ein Verlauf, der durch die Bewegung großer Mengen an Fluiden und Gasen in der Erdkruste geprägt ist. Angetrieben von der Hitze einer Magmakammer fließen und strömen sie durch Risse im Gestein, brechen sich den Weg frei und wirken auf ihrem Weg durchs tektonische Labyrinth als Schmiermittel, das die Wände der Gänge bewegt. Geraten die Fluide in eine Sackgasse, stockt die Bewegung, bis ein neuer Weg gefunden ist, oder neue Fluide von unten nachströmen. Ein Prozess, der sich episodisch wiederholt. Seit Jahrhunderten, in unregelmäßigen Abständen.

Das ganze findet überwiegend unter den Dörfern Novy Kostel und Luby im äußersten Nordwesten von Tschechien statt. Dort befindet sich der Westrand einer Senke, das Cheb-Becken, entstanden durch tektonische Prozesse, mitgestaltet von altertümlichen Vulkanismus. Dort, keine 10 km von der deutschen Grenze entfernt, kreuzt die Leipzig-Regensburg Störungszone das Cheb-Becken. Die Folge: Der gesamte Untergrund in der Region ist durchzogen von Rissen. Produkten prähistorischer Erdbeben, verändert durch Magmatismus.

Begonnen hatte die Aktivität, die aus dieser Konstellation resultiert, in diesem Jahr am Vormittag des 10. Mai gegen 10 Uhr. Die ersten Beben des Schwarmes waren, wie eigentlich immer, noch sehr klein. Magnitude 2 war in den ersten Stunden das Stärkste. Zu diesem Zeitpunkt wurden die mit Beben dieser Stärke einhergehenden Schwingungen kaum von der Bevölkerung bewusst wahrgenommen, was sich im Laufe der Wochen ändern sollte.
Um 16.24 war es dann so weit: Mit M2.8 erschütterte das erste deutlich spürbare Beben das Vogtland. Zwei weitere, ähnlich starke folgten binnen 30 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass soeben ein typischer Schwarm begonnen hat.
Bis Mitternacht sollten noch 34 Erdbeben über Magnitude 1 folgen, davon 15 spürbare. Das stärkste, was den ersten Menschen eine schlaflose Nacht gebracht hat, um 22.45 Uhr mit Magnitude 2.9.
Mit 77 weiteren Beben über M1 setzte sich die Aktivität des ersten Nachmittags an Tag 2 durchgehend fort. Inzwischen waren auch kleinere Erdbeben so häufig, dass sich bei der Registrierung durch die Erdbebendienste Aufzeichnungslücken selbst bei größeren Beben ergaben. Zu 43 Beben erhielten wir an dem Tag Wahrnehmungsmeldungen. Erneut war es der Abend, der eine Aktivitätssteigerung brachte.

Um 20.27 Uhr wird ein Beben der Stärke 2.8 von vielen als „bisher stärkstes“ beschrieben. Übertroffen noch am selben Abend um 21:38 Uhr durch ein M2.9. Übertroffen noch am selben Abend, nur eine Minute später, durch ein M3.2.

Generell sind Wahrnehmungen von Erdbeben am Abend am stärksten ausgeprägt, da man sich zu dieser Zeit in der Regel in einer ruhigen Situation befindet und entsprechend empfindlicher für Vibrationen und Geräusche ist.
Während des Erdbebenschwarmes kam zu der sowieso schon erhöhten Wahrnehmung am Abend auch mehrfach eine erhöhte Magnitude.

Dem 12. Mai folgten ein vergleichsweise ruhiger Abend und eine ruhige Nacht mit nur zwei schwach spürbaren Beben. Zuvor waren es, nachdem in der Nacht und am Morgen zwei Beben über M3 auftraten, 31 wahrnehmbare Erschütterungen im Tagesverlauf mit Schwerpunkten während der Nacht und vormittags gegen 10 Uhr.
Tag 4 brachte wie die vorangegangene Nacht einen kurzen Rückgang der Aktivität mit nur sechs spürbaren Erdbeben (maximal M2.6).
Eine kurze stärkere Aktivitätsphase am Morgen des 14. gegen 5 Uhr riss viele Menschen aus dem Schlaf. Die beiden stärksten Beben des Tages mit M2.8 und 3.1 folgten gegen 12 Uhr. Insgesamt acht spürbare Beben mit stark abnehmender Häufigkeit zum Abend hin, die sich an Tag 6 (zwei spürbare Beben) fortsetzte.
Kurz nach Mitternacht an Tag 7 fand die ruhigere Phase ein Ende. Um 0.40 Uhr wurde ein M3.0 zum Wecker für Viele. Mit nur fünf weiteren spürbaren Beben blieb die Aktivität geringer als in den ersten Tagen, ehe ein massiver Rückgang der Aktivität an Tag 8 (nur zwei Beben über M1 registriert) auf ein Ende des Schwarmes hoffen ließ. Ein M2.7 an Tag 9 und kleinere Beben in den folgenden 72 Stunden setzten den Schwarm aber fort.

Abb. 1: Isoseistenkarte des Erdbebens (ML3.8) 21. Mai 2018 in Novy Kostel (Daten: erdbebennews.de)

So plötzlich wie die Aktivität an Tag 1 begonnen hatte, lebte sie am Abend des 12. Tages wieder auf und fand nach drei Stunden, zuvor waren bereits vier spürbare Beben aufgetreten, ihren Höhepunkt:
Mit Lokalmagnitude 3.8 kam es um 23.04 Uhr zum stärksten Beben des diesjährigen Erdbebenschwarmes. Damit lag es in der Größenordnung der stärksten Beben vorheriger Schwärme, war aber schwächer als die größten Ereignisse. Dennoch: Auch hier verhalf die späte Uhrzeit zu einer sehr deutlichen, subjektiven Wahrnehmung, die in Meldungen von Intensität V bis VI in Klingenthal resultierten.

Das Schüttergebiet dieses Bebens umfasste einen Radius von bis zu 135 Kilometern. Vor allem die Ausbreitung parallel zum Erzgebirge ist stark gewesen, wie es schon von früheren Beben im Vogtland bekannt war. So konnten selbst noch im Raum Dresden vereinzelt schwache Erschütterungen wahrgenommen werden.
Nach Nordwesten und Westen breitete sich das Beben bis über die thüringische Grenze und bis weit nach Franken hinein aus. Einzelne Meldungen erhielten wir unter anderem aus Gera und Bayreuth.
Im Bereich der höchsten Intensität (V) lagen neben Klingenthal (dort aber nur ganz vereinzelt, überwiegende Beschreibungen überschritten nicht Intensität IV) auch Bad Brambach und Markneukirchen. Intensität IV war bis nach Schöneck und ins bayrische Selb zu spüren.

In den Gebieten der höchsten Intensität und auch im tschechischen Epizentralgebiet führte dieses Erdbeben zu Schäden an mindestens sieben Häusern. Zuvor haben die vorangegangenen Beben bereits mindestens sechs mal Gebäudeschäden verursacht.

Tag 13 brachte Aktivität vergleichbar mit den ersten Tagen. Die stärksten Beben am Abend und kurz nach Mitternacht am 14. Tag erreichten M3.0 und M3.1 – Stärken, die in den folgenden Wochen nicht mehr übertroffen werden sollten. Bis zum 25. Mai kam es noch zu sporadischen Aktivitätssequenzen mit einzelnen spürbaren Beben, bis der Schwarm ein Ende fand. Vorerst. Schwarmbeben enden selten so plötzlich, wie sie angefangen haben. So kam es auch während des Junis noch vereinzelt zu spürbaren Erdbeben, allerdings bei Weitem nicht mehr in der vorherigen Häufigkeit. Erst am 19. Juni folgte noch ein größeres mit Magnitude 3. Ebenso, nach langer ruhiger Phase, am 24. August mit M3.3. Dies sollte das letzte wahrgenommene Erdbeben im Vogtland 2018 gewesen sein.

Mindestens 144 Erdbeben waren während der Wochen zu spüren. Vermutlich waren es deutlich mehr, vor allem direkt am Epizentrum in Tschechien. Eine Aktivität, die Nerven strapazieren und, wie beobachtet, auch manche Gebäude nicht unbeschädigt lassen kann. Dennoch: Im Vergleich zu früheren Schwarmbeben war 2018 eher moderat. Der nächste Schwarm könnte anders sein, oder auch nicht. Vorhersagen der Stärke sind leider nicht möglich, ebenso des Zeitpunktes des Auftretens, obwohl die Entstehungsmechanismen der Erdbeben immer besser verstanden werden. Auch offen bleibt die exakte Ursache der Schwarmbeben. Die gefährlicheren Hypothesen, von einem erwachenden Vulkan bis hin zu Vorläufern eines schweren Erdbebens, wie es zuletzt im Jahr 998 aufgetreten ist, werden der Natur des Menschen gemäß am häufigsten aufgegriffen. Bis alle Fragen geklärt sind, werden noch viele Schwärme vergehen und als Betroffener sollte man sich die Realität der Vergangenheit vor Augen führen: Wenn das Vogtland seit Jahrhunderten Erdbebenschwärme ohne Katastrophe überstanden hat, wie wahrscheinlich ist es, dass es sich ausgerechnet jetzt ändert?

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