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Das Erdgas-Problem in Niedersachsen

Lastrup – Hemmelte (1. Oktober 2018)
Am 1.10.2018 um 2:28 Uhr ich lag in meinem Bett am Schlafen, als zuerst eine dumpfes Geräusch mit anschließendem, sehr kurzem und leichtem Beben zu merken war. Bei diesem hat das Bett nur ganz leicht vibriert und der Hund hat gar nicht reagiert. Ich dachte erst, ich hätte es mir eingebildet. Ca. eine Minuten später ein erneutes Grollen und im Anschluss für ein paar Sekunden ein starkes Vibrieren. Das Haus hat gewackelt und auch der Hund ist aus dem Schlaf geschreckt. (Intensität IV)

Nicht erst seit gestern ist bekannt (bzw. wird beobachtet), dass die Erdgasförderung in Niedersachsen zu Erdbeben führen kann. Mit Beben über Magnitude 4 in der Lüneburger Heide und knapp unter Magnitude 4 nahe Bremen, sind selbst stärkere in den vergangenen Jahrzehnten dabei gewesen. Doch blieb zumindest die Anzahl der Erdbeben in den letzten Jahren noch überschaubar. Anders 2018: Mit insgesamt 29 registrierten Erdbeben über Magnitude 1, erlebte Niedersachsen das seismisch aktivste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn.
Hauptgrund für die hohe Zahl der Erdbeben war eine Sequenz nahe der Stadt Essen (bei Oldenburg) im September und Oktober, wo insgesamt 17 Erdbeben, darunter auch das deutschlandweit stärkste, aufgetreten sind.
Mit Magnitude 3.6 bebte es am Morgen des 1. Oktober. Wie beim ersten spürbaren Vorbeben der Stärke 3.2 am 28. September – ein zweites folgte nur Sekunden vor dem Hauptbeben – lag das Epizentrum im Lastruper Ortsteil Hemmelte. Eine Region, wo schon seit Jahrzehnten aus einer konventionellen Lagerstätte Erdgas gefördert wird, aber bisher kein Problem mit induzierter Seismizität bestand.

Abb. 2: Isoseistenkarte des Erdbebens (ML3.6) am 1. Oktober 2018 in Lastrup (Daten: erdbebennews.de)

Umso überraschender war, dass binnen drei Wochen gleich vier spürbare Beben über Magnitude 2 aufgetreten sind. Der Herd lag im Bereich der Erdgaslagerstätte in vier Kilometer Tiefe.
In Hemmelte brachten die recht starken Erschütterungen (Intensität V) einige kleinere Gebäudeschäden, der Schütterradius war mit 20 Kilometern aufgrund der geringen Herdtiefe aber sehr überschaubar. In der Earthquake Impact Database ist dieses Ereignis mit einem Impakt-Wert von 0,107 gelistet und damit das Beben mit den meisten Schäden in diesem Jahr in Deutschland.
Am 18. Oktober fand diese Sequenz mit einem Beben der Stärke 2.5 ein (vorläufiges) Ende. Warum in Hemmelte nach Jahrzehnten der Erdgasförderung, die besonders in den letzten Jahren sogar stark rückläufig gewesen ist, plötzlich Erdbebenaktivität einsetzte, bleibt vorerst ungeklärt. Es könnte symbolhaft für andere, bisher unproblematische Erdgasfelder stehen. So eines, wie sich zum Beispiel in Husum im Landkreis Nienburg findet.

Auch dort, an einer bisher unauffälligen Lagerstätte, setzte fast zeitgleich mit der Aktivität in Hemmelte ein bis Ende Dezember andauernder Erdbebenschwarm ein. Mit lediglich zwei Beben über Magnitude 1, davon eines mit M2.1, waren die Erdbeben aber deutlich schwächer. Für den Landkreis Nienburg waren dies Beben drei und vier. Zuvor sorgte am 16. August ein Beben der Stärke 3 in Stolzenau, nahe der Grenze zu Nordrhein-Westfalen, für Aufsehen. Es war das stärkste (und seit 2017 erst das dritte überhaupt registrierte) Erdbeben dort seit Aufzeichnungsbeginn und führte ebenfalls zu leichten Gebäudeschäden (Intensität IV bis V). Der Schütterradius war mit 13 Kilometern auch hier sehr klein, umfasste allerdings auch Teile von Nordrhein-Westfalen.

Mit diesen drei Aktivitätsschwerpunkten, sowie zwei kleinen einzelnen Beben im Kreis Diepholz und an der holländischen Grenze, trug die Erdgasförderung maßgeblich dazu bei, dass Niedersachsen in diesem Jahr fast so viele Beben hatte wie Hessen. Aber auch natürliche, tektonische Erdbeben traten in diesem Jahr in Niedersachsen „gehäuft“ auf: Dreimal konnten Beben in Niedersachsen nicht mit der Erdgasförderung oder möglichen Dolinen in Verbindung gebracht werden. Neben einem kleinen Beben (M1.0) im Heidekreis, fallen besonders die beiden Beben nahe der Landeshauptstadt Hannover auf.

Am 3. und 9. Juni registrierte die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe diese Erdbeben mit Magnitude 1.6 und 1.1. im Osten des Stadtgebiets. Auch für diese Region ein Novum in den letzten Jahren, dass dort Erdbeben aufgetreten sind. Aufgrund der geringen Magnitude waren diese allerdings nicht zu spüren.

Das Ungewöhnlichste in Niedersachsen in diesem Jahr: Das nahezu zeitgleiche Auftreten von Erdbebensequenzen an zwei Erdgasfeldern, die zuvor keine oder nur sehr wenig seismische Aktivität zeigten. Ob dieser zeitlichen Korrelation auch eine Kausalität zugrunde liegt, wird schwer zu überprüfen sein. Ein möglicher Ansatz könnte in Indonesien gefunden werden, wo Stunden zuvor das schwere Beben auf Sulawesi (Mw7.5) Teile der Stadt Palu zerstörte. Ein Erdbeben eines Typs, der auch über sehr große Distanzen (vor allem schwarmartige) Nachbeben triggern kann.

Die 10 stärksten Erdbeben in Niedersachsen 2018

Datum Epizentrum Magnitude
1. Oktober Lastrup, Cloppenburg 3.6
28. September Lastrup, Cloppenburg 3.2
16. August Stolzenau, Nienburg 3.0
18. Oktober Lastrup, Cloppenburg 2.5
1. August Siedenburg, Diepholz 2.1
1. Oktober Lastrup, Cloppenburg 2.1
2. Oktober Landesbergen, Nienburg 2.1
13. November Emstek, Cloppenburg 1.9
8. August Vechta 1.7
3. Juni Hannover 1.6

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