Zu Erdbeben in Schleswig-Holstein gibt es nur wenige Aufzeichnungen. Mit Ausnahme einzelner kleiner Beben bei Kiel und auf Fehmarn wurden in den letzten Jahrzehnten keine Beben im nördlichsten deutschen Bundesland registriert. Dennoch ist der Untergrund in Bewegung. Oberhalb von Salzstöcken sackt stellenweise der Boden ein, wenn Grundwasser das Salz auswäscht. Dadurch entstanden grabenähnliche Strukturen, die meist in SW-NO-Richtung verlaufen. Dazwischen konnten mehrere tektonische Störungszonen identifiziert werden. Eine dieser Störungen, so zeigt eine Studie des Geologischen Landesamtes Hamburg, war nach der letzten Eiszeit, möglicherweise sogar in historischer Zeit, Ausgangspunkt mehrerer starker Erdbeben.

Die 261 Einwohner-Gemeinde Peissen im Kreis Steinburg liegt etwa 50 Kilometer nordwestlich von Hamburg. Bekanntere Nachbarorte Peissens sind die 10 Kilometer entfernte Stadt Itzehoe und das für das gleichnamige Heavy-Metal-Festival bekannte Dorf Wacken 15 km westlich. In mehreren Kiesgruben bei Peissen entdeckte der Geowissenschaftler Dr. Alf Grube Hinweise auf massive tektonische Prozesse, die während der letzten Eiszeiten stattfanden und wahrscheinlich bis heute andauern. In einer der Kiesgruben finden sich innerhalb der Sedimente auf einer Länge von nur 60 Metern insgesamt 35 Verschiebungen (Störungen). Teilweise betrage der Versatz dort mehrere Meter. Strukturen, die unter anderem durch starke Erdbeben entstehen können.

Auch sogenannte Seismite, die in den Sedimentschichten gefunden wurden, deuten daraufhin, dass an dieser Stelle mehrere starke Erdbeben in den letzten 200.000 Jahren aufgetreten sind. So finden sich unter anderem Spuren von Bodenverflüssigung in den freigelegten Sedimentschichten. Bodenverflüssigung tritt auf, wenn bei Erdbeben mit hoher Intensität Sedimente (lockerer Kies, Sand, etc.) und Grundwasser vermischt werden und sich der Untergrund quasi verflüssigt. Dieses Phänomen hat jüngst beim schweren Erdbeben in Indonesien zu massiven Zerstörungen geführt.
Im heutigen Peissen durchbrachen die verflüssigten Sedimente die Oberfläche und bildeten Sandvulkane. Anhand der Position der Sandvulkan-Strukturen, die im Laufe der Zeit von Sedimenten überlagert wurden, lässt sich der ungefähre Entstehungszeitpunkt und damit der Zeitpunkt des ursächlichen Erdbebens abschätzen. Demnach entstanden einige der Sandvulkane, die teilweise bis zur heutigen Oberfläche reichen, innerhalb der letzten 10.000 Jahre.

Eine 14C-Datierung von Füllmaterial eines Senktrichters, der durch die hochgepressten Sedimente entstanden ist, lässt sogar auf ein Erdbeben in historischer Zeit schließen. Demnach habe das untersuchte organische Material in der Struktur ein Alter von etwa 300 Jahren. Das zugehörige Erdbeben müsse also im 18. Jahrhundert passiert sein.
Aus historischen Quellen sind zwei im Raum Hamburg spürbare Erdbeben bekannt, die in diesen Zeitraum passen: Das erste am 21./22. Dezember 1759 und ein weiteres einen Monat später, am 21./22. Januar 1760. Das Erste war auch bis Südskandinavien zu spüren und wird mit einem starken Erdbeben im Kattegat vor der dänischen Küste in Verbindung gebracht. Über das Zweite ist wenig bekannt. Es soll in Hamburg und in Kopenhagen verspürt worden sein und mehrere Nachbeben gehabt haben. Frühere Untersuchungen brachten dieses Ereignis mit einem Einsturzbeben im Hamburger Ortsteil Flottbek in Verbindung, ohne die überlieferten Wahrnehmungsmeldungen aus Dänemark zu berücksichtigen. Ein Tag zuvor hat es zudem ein starkes Erdbeben am Niederrhein gegeben.

Verflüssigungsstrukturen, wie sie bei Peissen gefunden wurden, lassen sich theoretisch auch durch glaziale Prozesse während der eiszeitlichen Vergletscherungen erklären, doch die Nähe zu den jungen Störungszonen lässt darauf schließen, dass seismische Prozesse (Erdbeben) ursächlich sind. Das entsprechende Erdbeben müsse mindestens Magnitude 5.5 erreicht haben, um solche Deformationen herbeizuführen. Entsprechend sind schwache Einsturzerdbeben, wie sie in der Nähe von Salzstöcken auftreten können, als Verursacher auszuschließen. Eine genauere Bestimmung des Bebens sei mit den aktuell vorhandenen Daten aber noch nicht möglich. Zukünftige Untersuchungen sollen diese Frage klären und die bisherige Altersdatierung verifizieren.

Abb. 1: Vermuteter Verlauf der in Peissen identifizierten Störung (rote Linie).

Der Verlauf der aktiven Störungszone konnte durch morphologische Methoden verfolgt werden. Demnach verläuft sie von Peissen nach Nordwesten, etwa parallel zu den in Norddeutschland typischen Störungen herzynischen Streichens (u.a. Harznordrand-Störung) und hat eine Länge von mindestens 12 Kilometern. Bisherige geologische und geophysikalische Untersuchungen konnten diese Störung nicht identifizieren. Es müsse sich, so Grube, aber um eine deutlich ältere, tieferreichende tektonische Struktur handeln. Die Phasen der Vergletscherungen und das wiederholte Schmelzen habe demnach höchstwahrscheinlich diese bereits existierende Störung reaktiviert. Durch die noch andauernden Bodenbewegungen in Nordeuropa wäre die Störung somit weiterhin als aktiv anzusehen.

Die in der Studie nachgewiesenen Prozesse zeigen, dass auch in Deutschland, möglicherweise sogar in historischer Zeit, starke Nachwirkungen der letzten Eiszeit andauerten. Starke Erdbeben über Magnitude 5.5, wie sie im heutigen Peissen höchstwahrscheinlich stattgefunden haben, könnten, wenn sie sich in Zukunft wiederholen, schwere Schäden an Gebäuden anrichten, besonders in Schleswig-Holstein, wo die Bauvorschriften nicht auf starke Beben ausgelegt sind. Auch im nur 50 Kilometer Hamburg, wo Alf Grube in einer weiteren Untersuchung ebenfalls junge Seismite nachgewiesen hat (Veröffentlichung steht noch aus), wären die Auswirkungen noch deutlich zu spüren.

Studie:
Alf Grube, Palaeoseismic structures in Quaternary sediments, 
related to an assumed fault zone north of the Permian Peissen-Gnutz salt structure (NW Germany) – Neotectonic activity and earthquakes from the Saalian to the Holocene.
Geomor (2018), https://doi.org/10.1016/j.geomorph.2018.12.004

Weitere für diesen Text verwendete Quellen:
Dahm, T. und Heimann, S. (2009): Seismologische Untersuchung der Mikrobeben in Flottbek Markt, Hamburg, vom April 2009, und deren mögliche Ursachen
Sieberg, A. (1940). Beiträge zum Erdbebenkatalog Deutschlands und angrenzender Gebiete für die Jahre 58 bis 1799. na.


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