Ob durch Gasförderung, Bergbau oder das Anlegen von Stauseen: Wenn es um die Gewinnung von Rohstoffen, Energie oder manchmal auch nur das Wiederherstellen des Originalzustands geht, kann menschliches Handeln Erdbeben auslösen. Werden diese induzierten Erdbeben zu stark oder zu häufig, wird es für umliegende Siedlungen kritisch. Um dies zu vermeiden, kommt es oft zu Einschränkungen oder Beendigung des Bergbau- oder Förderbetriebs. Eine weitere Methode wählt Texas. Der US-Bundesstaat mit seinen großen Ölreserven hat aus den Fehlern seiner Nachbarn gelernt und geht einen Sonderweg: Er schiebt einfach die Erdbeben dorthin, wo sie weniger stören. Ob und wie lange das gut geht, ist allerdings fraglich.

Der Westen von Texas hat eine Erdbebenvergangenheit. Anders als in den Ebenen um Dallas und Houston liegt das hügelige bis gebirgige Gebiet zwischen El Paso und Odessa in den Ausläufern der Rocky Mountains, einem Gebirge mit andauernden geologischen Prozessen, aktiven Störungen und auch Vulkanismus. Laut USGS-Datenbank kam es zwischen 1900 und 2000 zu elf Erdbeben über Magnitude 4, darunter zwei Schadensbeben mit Magnitude 5.7 und 5.8 in den Jahren 1995 und 1931. Kein Vergleich mit den Erdbebenstaaten Kalifornien und Nevada, aber in etwa auf dem Niveau der seismisch aktivsten Gebieten Mitteleuropas.

16000% Zunahme der Erdbebenaktivität in Texas

Nun haben wir 2022 und soeben hat das USGS im Westen von Texas das neunte M4 des Jahres registriert. Nummer Drei allein im Juni. Dem bisher erdbebenreichsten Jahr der Geschichte, 2021 mit elf „Vierern“, droht schon früh der Verlust dieses Status. Blickt man auf die Verteilung dieser und kleinerer Erdbeben, wird ein riesiges, langgestrecktes Cluster rund 35 Kilometer südlich der Grenze zu New Mexico deutlich. Fast alle Erdbeben der letzten zwei Jahre, der Großteil aller texanischen Erdbeben, konzentriert sich hier. In einem Gebiet, das vor 2019 nahezu erdbebenfrei war.Um zu verstehen, warum es dort zur Zeit so viele Erdbeben gibt, muss man ein paar Jahre zurück gehen.
Seit Anfang des 21. Jahrhunderts haben einige US-Bundesstaaten ein Problem mit induzierten Erdbeben. Mit dem vermehrten Einsatz von Hydraulic Fracturing zur Erschließung von Gas- und Ölvorkommen ist die Förderrate massiv angestiegen. Doch neben Millionen Barrel Öl brachten die Pumpen auch eine weitere Substanz hervor, für die es keine weitere Verwendung gibt: Wasser.
Teils mit Chemikalien verseucht fiel dieses als Abfallprodukt an. Statt es aufwändig in speziellen Anlagen zu reinigen, entschied man sich vielerorts, die früheren Lagerstätten als Endlager zu nutzen. Dort, wo über Jahrmillionen das Öl ruhte, sollte nun das Abwasser verbleiben.

Entsorgung von Abwasser löst Erdbeben aus

Die physikalischen Eigenschaften von Öl und Wasser sind allerdings unterschiedlich. Zudem wurde auch die Lagerstätte durch die vorherige Erschließung und Förderung geologisch verändert. Beides zusammen ermöglicht es, dass das Wasser, sobald genug davon ins Gestein gepumpt wurde, Druck auf vormals inaktive Störungszonen auslöst. Wie durch ein Schmiermittel werden so natürliche Spannungen im Gestein, die die vergangenen Erdzeitalter überdauert haben, plötzlich freigesetzt. Erdbeben entstehen. Mehr Wasser bedeutet mehr Erdbeben und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit für höhere Magnituden.

Oklahoma war der erste Bundesstaat, der durch diese Erdbeben Probleme bekam. 2011 erreichte eines dieser Beben Magnitude 5.7 und verursachte im nahe gelegenen Ort Prague zahlreiche Schäden. 2016 erwischte es zudem den Ort Pawnee mit Magnitude 5.8. Zwei weitere Erdbeben über Magnitude 5 und Dutzende über Magnitude 4 machten innerhalb weniger Jahre Oklahoma zum erdbebenreichsten Bundesstaat der USA. Einzig die chinesische Provinz Sichuan, wo die Erdbeben allerdings deutlich verheerender waren, hatten die induzierten Erdbeben vergleichbare Ausmaße. Nur durch massive Reduzierung des Wasservolumens und dem Schließen vieler Brunnen gingen die Erdbebenzahlen in Oklahoma in den vergangenen Jahren deutlich zurück.

Zeitlicher Verlauf der Erdbebenaktivität in Texas seit 2000
Zeitlicher Verlauf der Erdbebenaktivität im Westen von Texas (Permisches Becken) von 2000 bis 2022. Daten: USGS.

Auch Texas blieb nicht von den Erdbeben verschont. Anders als im dünn besiedelten Oklahoma liegen dort vor allem im Osten und Norden des Staates viele Ölfelder nahe größerer Städte. Erdbeben wie 2011 bei Snyder (Magnitude 4.3), 2015 im Stadtzentrum von Dallas (Magnitude 3.5) oder 2018 nahe Amarillo (Magnitude 3.8) führten zu großer Besorgnis. Was wäre, wenn es hier wie in Oklahoma oder Sichuan Erdbeben der Stärke 5.7 oder höher gibt? Mögliche Schäden und Verluste an Menschenleben wie in China wären ein nicht tragbares Risiko. Also entschloss man sich in den letzten Jahren, das Einpressen von Wasser an diesen Orten weitestgehend einzustellen. Kleinere Erdbeben, die zwischen 2010 und 2018 dort oft Alltag waren, sind seit 2021 weitestgehend Geschichte.

Verringerung der Erdbebenaktivität in Osten von Texas

Doch die Ölförderung und damit die Produktion von Abwasser ging weiter. Zwar werden Kläranlagen gebaut, um die Reinigungskapazität zu erhöhen und ein Teil des Wassers inzwischen wiederverwendet. Am Ende führt der Weg des meisten Wassers aber doch in die Erde. Nur wird es statt direkt vor Ort oder in Ballungszentren nun teils erst Hunderte Kilometer durch Pipelines transportiert. In den Wilden Westen von Texas, wo Menschen schon früh entschieden, keine Siedlung zu errichten. Im Permischen Becken, wo zuletzt die Ölindustrie, auch dank des Krieges in der Ukraine, sowieso im Aufwind war und wo das Wasser eine erneute Verwendung und schließlich sein Endlager findet.

Seismogramm Texas
Aufzeichnungen des Texas Seismological Network (Station PB09) im Permischen Becken vom 5. Juni. Innerhalb von 12 Stunden wurden Dutzende zumeist kleine Erdbeben registriert, viele davon zu schwach zum Lokalisieren. Eine so große Anzahl an Erdbeben ist inzwischen Alltag.

Der massive Anstieg der Erdbebenaktivität im Westen von Texas seit 2020 ist die Folge. Erwartete Nebenwirkungen einer mächtigen und immer wichtiger werdenden Industrie werden dorthin verlagert, wo sie weniger Probleme machen. Einerseits eine vermittelnde Übergangslösung, die zugleich den Frischwasserverbrauch senkt. Andererseits aber auch nichts anderes als ein neues texanisches Roulette. Zwar sind Städte wie Pecos, Van Horn, Carlsbad in New Mexico oder eben Juarez in Mexiko relativ weit weg und momentan nicht gefährdet. Bei der inzwischen erreichten Anzahl und Stärke der Erdbeben aber dennoch regelmäßige Zeugen spürbarer Erschütterungen. Dass es nur dabei bleibt, ist auch keine Garantie.

Wie stark induzierte Erdbeben, sei es wie hier durch Verpressen von Wasser, oder durch Gasförderung, Fracking (das in Texas übrigens für keine Erdbeben verantwortlich ist) und Bergbau, in einer Region werden können, hängt vor allem von den natürlichen Bedingungen ab. Ist es ein Gebiet mit natürlich geringer Erdbebenaktivität wie etwa die niederländische Region Groningen, bleibt es trotz intensiver Gasförderung bei unter Magnitude 4. Muss man wie in Sichuan auch ohne anthropogenen Eingriff mit schweren Erdbeben rechnen, induziert man relativ schnell Magnitude 6.

Mehr Wasser = Mehr Erdbeben

Der Westen von Texas hat eine Erdbebenvergangenheit. Magnitude 5.8 im letzten Jahrhundert. Magnitude 7 in vorhistorischen Zeiten. Je weiter nach Westen man geht, umso höher ist die Erdbebengefährdung. Je mehr Brunnen genutzt werden, um Wasser zu verpressen, umso höher die Wahrscheinlichkeit, das Fass zu erwischen, was in naher Zukunft überlaufen kann. Vom heutigen Epizentrum bis zur aktiven West Delaware Mountains Störung sind es noch etwa 25 Kilometer.
Magnitude 4 ist harmlos, Magnitude 5 kann man in kauf nehmen. Aber Magnitude 6 bis 7 wäre für kleinere Orte wie Dell City eine Katastrophe und selbst für Pecos, El Paso und Juarez unter Umständen ein Problem.

Zeitlicher Verlauf der Erdbebenaktivität in Texas seit 2020
Zeitlicher Verlauf der Erdbebenaktivität im Westen von Texas (Permisches Becken) von 2020 bis 2022. Nullwert im Jahr 2000. Daten: USGS

Durch gezielte Injektion an unkritischen Orten, können schwere Erdbeben nahezu ausgeschlossen werden. Wissenschaftliche Studien öffnen einer weitestgehenden Kontrolle induzierter Erdbeben die Türen und zeigen, wo und wie die Kohlenwasserstoffindustrie risikoarm produzieren kann. Ein Restrisiko bleibt. Der gezielte Erdbebensturm in Texas ist eine Übergangslösung und gleichzeitig eine Art Experiment unter kontrollierten Bedingungen. Geht es gut, könnten induzierte Erdbeben in den USA in Zukunft keine große Bedeutung mehr haben. Geht es schief, wird man sich berechtigter Kritik stellen müssen.

In den kommenden Jahren soll noch mehr Wasser in die Tiefen der Erde gelangen. Neue Injektionsbrunnen sind entsprechend in Planung. Doch bereits jetzt sehen lokale Behörden aus Texas und New Mexico den massiven Anstieg der Aktivität als Warnzeichen. Sie drängen darauf, das Verpressen an den dichtesten Stellen des Erdbebenclusters zu reduzieren, um große Erdbeben zu vermeiden. Statt einem Ausbau der Brunnen, soll vermehrt Wasser recycelt und gereinigt werden.