Vielen Aachenern wurde im vergangenen Jahr wieder deutlich gemacht, dass sie auf instabilen Boden sitzen: Eine Erdbebenserie im Raum Roetgen lies Anfang 2021 über Monate in der südlichen Städteregion die Gläser klirren und Menschen oft schon am frühen Morgen erschrocken zurück. Obwohl dies für die Region die stärksten Erdbeben seit über einem Jahrzehnt waren, ist es kein Vergleich zu dem, was die Vergangenheit gebracht hat.

Forscher des Instituts für Neotektonik und Georisiken (NUG) an der RWTH Aachen haben an der Grenze von Aachen und Stolberg Spuren schwerer Erdbeben gefunden. Unter der Leitung von Prof. Klaus Reicherter und Paul Rittich zogen sie nahe der Sebastianusstraße in Stolberg einen 15 Meter langen und drei Meter tiefen Graben quer durch die sogenannte Feldbiss-Störung. In den Wänden des Grabens, der die Sediment- und Gesteinsschichten offenbarte, zeigten sich deutliche Überreste vergangener großer Erdbeben. Versetzte und gebogene eiszeitliche Schichten aus Sand und Ton. Der Punkt, wo ein großes Erdbeben in der Vergangenheit die Oberfläche aufgebrochen hat.

Zwei Erdbeben mit Magnitude 6.5 am Stadtrand von Aachen

Die Feldbiss-Störung ist eine der größten tektonischen Brüche im Niederrhein-Gebiet. Sie erstreckt sich von der Stadtgrenze Aachen-Stolberg entlang des ehemaligen Westwalls, wo die Ausgrabung stattfindet, und verläuft über Herzogenrath und Selfkant Richtung Nordwesten bis in die Niederlande. Aufgrund ihrer Größe und ihres ausgeprägten Erscheinens in Teilen der Landschaft, galt es schon lange als nahezu sicher, dass von ihr ein erhebliches Erdbebenrisiko für den Raum Aachen ausgeht. In neuerer Zeit war „der Feldbiss“ allerdings sehr ruhig im Vergleich zu ähnlich großen Nachbarn am Niederrhein. Nur wenige instrumentell und historisch überlieferte Erdbeben können direkt mit ihm in Verbindung gebracht werden, darunter das Alsdorf-Erdbeben 2002 (M4.9) und zwei Herzogenrath-Erdbeben (ca. M5) im späten 19. Jahrhundert.

Feldbiss Störung
Die Feldbiss-Störung. Helle Schichten aus Ton (links) wurden entlang der Störung (mittig von oben rechts nach unten links einfallend) gegenüber dunklen, älteren Geröllschichten (rechts) durch mindestens zwei schwere Erdbeben über einen Meter versetzt.

Dass diese vermeintliche Ruhephase nur eine temporäre Erscheinung ist, belegen die Funde der Ausgrabung: Zwei Brüche im Abstand von rund drei Metern mit 60, bzw. 30 Zentimeter Versatz. Beide sind vermutlich während eines einzigen Erdbebens mit Magnitude über 6.5 vor wenigen Jahrtausenden entstanden. Dazu ein dritter Versatz von einem zweiten Erdbeben an der größeren Störung, ebenfalls rund 60 Zentimeter, allerdings älter. Hinweise auf ein mögliches drittes Erdbeben in jüngerer, möglicherweise historischer Zeit, werten die Forscher zur Zeit noch aus. Genaue Datierungen erfolgen später.

Damit könnte der Feldbiss auch Auslöser des größten Aachener Erdbebens in historischer Zeit sein: Im Jahr 803 zerstörte ein großes Erdbeben Teile der Stadt. Starke Nachbeben hielten Jahrzehnte an. Bis heute ist unklar, wo genau sich dieses Erdbeben ereignete oder wie stark es wirklich war. Eine Magnitude über 6 gilt als sehr wahrscheinlich. Neben dem Feldbiss gibt es aber noch weitere potentielle Kandidaten im Aachener Raum, die auch für das NUG interessant sind. Denn eine Wiederholung eines Erdbebens wie im Jahr 803 hätte für die Stadt Aachen und die gesamte Städteregion schwerwiegende Folgen. Die Infrastruktur der Stadt könnte erhebliche Schäden erleiden. Auch viele Verletzte und Todesopfer wären zu befürchten.

Potential schwerer Erdbeben vielerorts in der Städteregion

Neben dem Feldbiss gibt es im Norden von Aachen die Laurensberger Störung, wo Forscher des NUG ebenfalls Spuren großer Erdbeben analysieren, die sich zur Zeit römischer Besiedlung ereigneten. Zudem soll demnächst die Sandgewand-Störung in Eschweiler durch eine weitere Ausgrabung genauer untersucht werden. Auch hier lässt die morphologische Ausprägung, ähnlich wie beim benachbarten Feldbiss, bereits auf junge Aktivität schließen.

ShakeMap eines M6.5 an der Feldbiss
Auswirkungen (Intensität eines M6.5 Erdbeben an der Feldbiss-Störung bei Aachen. Schwere Schäden wären verbreitet in der Städteregion und angrenzenden Teilen der Niederlande sowie rund um Düren. Kleinere Schäden wären auch noch in Köln, Düsseldorf und im Ruhrgebiet möglich.

Und natürlich gibt es noch die Erdbebenserie im Jahr 2021. Sie zeigte die typischen Bruchcharakteristiken für Erdbeben am Niederrhein, lag aber deutlich südlicher als alle bekannten Störungen. Sie ist damit ein möglicher Indikator dafür, dass diese Störungen größer sind als bisher angenommen. Dadurch wäre Potential für noch stärkere Erdbeben gegeben. Für die Städteregion Aachen bedeutet das eine möglicherweise noch höhere Gefährdung als bislang angenommen.

Zahlreiche Beben mittlerer Stärke wurden in historischer Zeit im Raum Aachen aufgezeichnet. Einige verursachten sogar Schäden, doch ein wirklich großes Erdbeben, vergleichbar mit Düren 1756, gab es zuletzt vor 1200 Jahren. Je mehr schwere Erdbeben sich in prähistorischer Zeit ereigneten, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Bebens in naher Zukunft. Die Forschungsergebnisse des NUG verbessern somit die Einschätzung der Erdbebengefährdung der Städteregion, was gezieltere Präventionsmaßnahmen in der Zukunft ermöglicht.

Die Ausgrabung begann am am 12. September und wird noch einige Wochen andauern. Im Anschluss folgt die Anfertigung der Forschungsarbeit. Am Projekt beteiligt sind Prof. Klaus Reicherter, Paul Rittich, Dr. Jochen Hürtgen, Tristan Lothmann, Nina Engels, Vanessa Steinritz, Xianghe Ji, Jens Skapski (alle RWTH Aachen)

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