Innerhalb weniger Monate hat eine Sequenz aus drei starken und hunderten kleineren Erdbeben die Stadt Khoy im Nordwesten des Iran getroffen. Während zunächst vor allem die Dörfer östlich der Stadt unter der Aktivität gelitten haben, traf es am Samstag den Westen einschließlich Teilen Khoys. Die vorläufige Bilanz der Erdbebensequenz: Drei Tote, über 2000 Verletzte und zehntausende beschädigte Gebäude – zeitgleich mit politischen Unruhen, Angriffen auf Industrie und einem Konflikt mit Israel. Über den Ursprung der Erdbebensequenz, warum sie trotz Magnituden unter sechs so verheerend war und die Geschichte eines seltsamen Lichtphänomens.

Tektonischer Hintergrund

Der Iran gehört zu den erdbebengefährdetsten Ländern der Welt. Jährlich kommt es hier zu etwa 30 Schadenserdbeben, oft mit Verletzten oder Toten. Dabei sind es oft nicht die ganz großen Erdbeben, sondern kleinere Beben in geringer Tiefe, die in den ländlichen Dörfern des Iran oft große Zerstörung anrichten. Die aktuell betroffene Stadt Khoy liegt im Nordwesten des Iran.

Grund für die hohe seismische Aktivität ist ein komplexes tektonisches System, das auf der Kollision der Arabischen Kontinentalplatte mit der Eurasischen Platte basiert. Infolge der Kollision haben sich mit der Persischen Platte und der Anatolischen Platte zwei Mikroplatten gebildet. Während die direkte Kollisionszone mit Arabien entlang des Persischen Golfs verläuft, bildet die Nordgrenze zu Eurasien quasi ein Ventil zur Druckentlastung. Etwa von Teheran bis nach Istanbul zieht sich ein System aus horizontalen Verschiebungen. Während dieses in der Türkei in Form der Nordanatolischen Störungen relativ eindeutig ausgebildet ist, wird es im Osten komplexer. Dort verteilt sich die tektonische Spannung auf viele kleine Störungen.

Eine dieser Störungen ist die Guilato Siahcheshmeh Khoy Störung (GSK). Diese verläuft von der türkischen Grenze bis zur namensgebenden Stadt Khoy, wo sie in die Nord-Täbris-Störung (NT) übergeht. Sowohl die NT als auch die GSK haben in historischer Zeit große, katastrophale Erdbeben hervorgebracht, teils über Magnitude 7. Täbris, die namensgebende Millionenstadt, wurde in ihrer Geschichte mehrfach von Erdbeben komplett zerstört. Auch Khoy hat eine entsprechende Vergangenheit.

Khoy selbst befindet sich, so wie viele der größeren Städte der Region, innerhalb eines Talkessels. Mehrere Flüsse durchziehen das Gebiet, das Land ist flach im Vergleich zu den umgebenden, teils über 3000 Meter hohen Bergen. Das heißt, dass sich unterhalb Khoys statt festen Gesteins dicke, lockere und nasse Sedimentschichten befinden. Solche Sedimentbecken können, gerade wenn sie umgeben von Bergen sind, Erdbebenwellen teils massiv verstärken.

Die Erdbebensequenz

Erdbebenaktivität nahe Khoy seit Oktober 2022. Blau: Vor- und Nachbeben des M5.4 Bebens am 5. Oktober. Gelb: Vor- und Nachbeben des M5.4 am 18. Januar. Rot: Vor- und Nachbeben des M5.9 am 28. Januar. Erdbebendaten: EMSC. Lage der Epizentren können, gerade bei niedrigeren Magnituden, sehr ungenau sein. Rote Linien: Aktive Störungen. Die Guilato Siahcheshmeh Khoy Störung verläuft von Khoy (auch Khvoy geschrieben) nach Nordwesten, die Nord-Täbris-Störung nach Südosten. Unterhalb Khoys gehen beide Störungen ineinander über.

Das Erdbeben am 5. Oktober 2022, M5.4 und zehn Kilometer Tiefe, ereignete sich genau in Übergangsbereich der beiden Störungen, rund 15 Kilometer südöstlich von Khoy. Die meisten Nachbeben liegen östlich des Hauptbebens, was darauf hindeutet, dass sich vom Hauptbeben aus der Bruch nach Osten ausbreitete. Das heißt, Richtung Khoy fand weniger Bewegung statt. Somit war in der Stadt die Intensität geringer als in den Dörfern Richtung Osten, wo 1100 Gebäude zerstört und 4000 beschädigt wurden.

Anders beim Erdbeben am 18. Januar. Dieses war mit ebenfalls Magnitude 5.4 gleichstark, aber mit zwölf Kilometern etwas tiefer. Die Nachbeben zeigen eine umgekehrte Tendenz, was für eine Ausbreitung entlang der GSK-Störung nach Nordwesten spricht. Allerdings sind die Nachbeben auch relativ stark mit mehreren über Magnitude 4, was oft für einen sehr lückenhaften Bruch spricht. Vielmehr scheint sich die Spannung vor allem im Bereich des Epizentrums weiter gelöst zu haben. Spannung, die vom Beben drei Monate zuvor übrig war, wahrscheinlich in einem tieferen Abschnitt der Störung. Richtung Westen kam es wenn überhaupt nur zu leichtem Nachrutschen, was die Nachbeben getriggert hat.

Die Nachbeben und das (momentan) finale Hauptbeben: Am 28. Januar bebte die Erde stärker als zuvor: Magnitude 5.9, unmittelbar südwestlich von Khoy. Dort, wo zuvor die M4-Nachbeben (wir können sie nun auch als Vorbeben bezeichnen) passierten scheint in geringerer Tiefe von nur sieben Kilometer die GSK-Störung auf einer Länge von rund 10 Kilometern aktiviert worden zu sein. Vom Herd direkt unterhalb Khoys scheint sich der Bruch in beide Richtungen ausgebreitet zu haben. Sowohl die geringere Tiefe, die Ausbreitung in beide Richtungen und die geringere Distanz zu Khoy führten zu deutlich stärkeren Bodenbewegungen als bei den Beben zuvor. Gleichzeitig ist durch den größeren Bruch die Ausdehnung des betroffenen Gebietes größer.

Eine tektonische Kettenreaktion

Es ist ein Musterbeispiel für eine tektonische Kettenreaktion: Das erste Erdbeben brach einen Abschnitt einer Störung und übte damit auf ein unmittelbar benachbartes Segment erhöhten Druck aus. Dieser Druck brach drei Monate später in einem weiteren Beben. Dieses erhöhte wiederum die Spannung auf dem nächsten Segment, was zehn Tage später dem Druck nachgab. Durch alle drei Erdbeben wurde Energie freigesetzt, die in etwa einem einzigen Erdbeben mit Magnitude 6.3 entspricht.

Doch statt eines einzelnen (potentiell katastrophalen) Bebens kam es zu Zerstörung in drei Akten. Drei Akte, die Menschenleben gerettet haben könnten. So wurden Gebäude, die vom Oktober-Beben Schäden erlitten, unmittelbar danach nachgerüstet. Dies verhinderte schlimmeres bei den folgenden Beben. Gleichzeitig erhöhte dies die Vorsicht und Aufmerksamkeit vieler Menschen.

Dennoch ist die Schadensbilanz hoch. 1500 Verletzte und 9000 beschädigte Gebäude war die Bilanz bis zum zweiten Beben. Stand 11 Uhr am 29. Januar hinterließ das dritte Beben drei Todesopfer, 816 Verletzte und nach vorläufigen Schätzungen rund 16.000 beschädigte Gebäude.

Angst vor weiteren Erdbeben und Gerüchte über israelischen Anschlag

Nicht mit Zahlen beschreibbar ist der psychologische Einfluss auf die über 250.000 Menschen im Großraum Khoy. Viele von ihnen haben ihr Zuhause verloren. Die winterliche Kälte und Ausfälle der Strom- und Gasversorgung erschweren die Situation. Gleichzeitig fehlt es an Erklärungen, was gerade geschieht. Nach drei starken Erdbeben und andauernden Nachbeben ist die Angst vor neuen, noch schlimmeren Erdbeben hoch. Zudem machen Gerüchte die Runde, wonach die Erdbeben mit den aktuellen politischen Unruhen sowie den Konflikt mit Israel zusammenhängt.

Das Erdbeben am 28. Januar ereignete sich zeitgleich mit einem Drohnenangriff auf iranische Industrieanlagen, wofür die Regierung Israel verantwortlich macht. Viele Nutzer Sozialer Netzwerke bringen nun ebenfalls das Erdbeben mit den Angriffen in Verbindung. Anhaltspunkt dafür ist ein Video, das explosionsartige Lichterscheinung unmittelbar vor Einsetzen des Erdbebens zeigt.

Solche Lichterscheinungen werden andernorts häufig als Erdbebenlicht fehlbezeichnet. Erdbebenlichter sind bisher weitgehend unerklärte Lichtphänomene, die seit der Antike im Vorfeld von starken Erdbeben beobachtet werden. Ein wissenschaftlicher Nachweis dafür fehlt, obwohl es in neuerer Zeit (vor allem durch Überwachungskameras) immer wieder vermeintliche Sichtungen gab.

Explodierende Transformatoren lassen Himmel leuchten

Doch sind diese Lichter oft menschlichen Ursprungs. Sie entstehen durch explodierende Transformatoren. In Ländern mit schwacher Infrastruktur kommt es bei plötzlichen starken Erschütterungen innerhalb von Transformatoren schnell zu Kurzschlüssen, Funkenflug und Explosionen. Diese Explosionen sind gerade nachts bei bewölktem Himmel oft viele Kilometer weit zu sehen, vergleichbar mit dem Wetterleuchten entfernter Gewitter. Erdbebenwellen bewegen sich mit Geschwindigkeiten von mehreren Kilometern pro Sekunde. Dabei sind sie in Sedimentbecken (wie unterhalb Khoys) oft besonders langsam. Schaut man von einem Ort in Richtung des Epizentrums kann man also die Lichterscheinungen explodierender Transformatoren sehen, bevor die Erdbebenwellen einen selbst erreichen.

In Khoy ist unmittelbar nach dem Erdbeben in vielen Teilen der Stadt der Strom ausgefallen. Dies deutet ebenfalls auf Schäden an der elektrischen Infrastruktur hin.

Zum Thema Erdbebenlichter, Transformatoren und den dazu gehörenden Gerüchten haben wir bereits hier ausführlich geschrieben.

Zudem gibt es keinen Hinweis darauf, dass das Erdbeben durch eine Explosion ausgelöst wurde. Dagegen spricht zum einen die Tiefe (sieben Kilometer). Zum anderen auch die seismologischen Aufzeichnungen. Anders als Erdbeben hinterlassen Explosionen ein impulsartiges, hochfrequentes seismologisches Signal. Tektonische Brüche zeichnen sich durch klassische, lang anhaltende Signale mit verschiedenen und eindeutig identifizierbaren Wellentypen aus. Dies ist beim Iran-Beben der Fall.

Aufzeichnungen des Iran-Erdbebens von verschiedenen Stationen im Umkreis von 600 Kilometer. Sie zeigen die klassische Signatur eines Erdbebens mit verschiedenen Wellentypen, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, Frequenz und Amplitude durch die Erdkruste wandern. Zudem sind Nachbeben erkennbar, etwas, das bei Explosionen oder sonstigen künstlichen Erschütterungen nicht auftritt.

Ausblick: Weitere Erdbeben jederzeit möglich

Es gibt also keinen Zweifel daran, dass es sich um tektonische Erdbeben handelt. Die Häufung der letzten Monate ist geologisch einfach erklärbar und folgt dem Lehrbuch-Muster von Erdbebensequenzen. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Kettenreaktion fortsetzt. Die Geschichte zeigt: Die Störungen um Khoy haben das Potential für Erdbeben der Stärke 7. Die bisherige Energiefreisetzung war nur ein Bruchteil dessen. Gleichzeitig sind viele angrenzende Störungssegmente seit Jahrhunderten inaktiv.

Aber auch starke Nachbeben um Magnitude 5 können ausreichen, um bereits beschädigte Gebäude komplett zu zerstören. Solche Nachbeben sind in den kommenden Wochen sehr wahrscheinlich. Schwere Erdbeben bis oder über Magnitude 7 sind unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Für die betroffenen Menschen bleiben die kommenden Monate somit schwierig bis gefährlich. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerüchte über politische, bzw. kriegerische Hintergründe dort nicht weiter getragen werden, damit die politischen Unruhen keine weitere Belastung werden.