Tausende Tote, verwüstete Städte und hunderttausende Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Das Ausmaß der verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien ist für viele Außenstehende erschreckend. Gleichzeitig werfen die Umstände der Katastrophe Fragen auf. Wie ist das alles entstanden? Was kommt als nächstes? Gab es Vorhersagen oder Warnungen? Und was ist mit bekannten Risikogebieten wie Istanbul? 
Ihr habt gefragt, wir liefern Antworten.

Siehe auch: Allgemeine Fragen zum Thema Erdbeben

Warum gab es in kurzer Zeit zwei starke Erdbeben?

Bei den schweren Erdbeben in der Türkei, die auch weite Teile Syriens betrafen, handelt es sich um ein sogenanntes Doppelbeben. Ein erstes großes Erdbeben, hier Magnitude 7.8, bricht eine hunderte Kilometer lange Störungszone auf und erhöht durch die Gesteinsverschiebungen den Druck auf eine benachbarte Störungszone. Diese bricht unter der neuen Last wenige Stunden später und ein neues Erdbeben entsteht, hier Magnitude 7.5. Derartige Doppelbeben sind weltweit betrachtet relativ häufig. In Katastrophenfällen, wo das zweite Beben die Lage dramatisch verschlimmern kann, aber glücklicherweise eher selten.

Im aktuellen Fall sind zwei Abzweigen der Ostanatolischen Störung, dem Hauptast und der Cardak-Störung, zwei Störungen gebrochen, die seit Jahrhunderten inaktiv sind und an denen sich durch Bewegung der Arabischen und der Anatolischen Platte enorme Spannung aufgebaut hat. Die Erdbeben waren jeweils individuell in naher Zukunft zu erwarten. Dass es zeitlich so kurz aufeinander folgte, war ein realistisches Szenario, aber nicht unbedingt wahrscheinlich.

Gab es einen Tsunami?

Ja. An der türkischen Küste wurde ein rund 20 Zentimeter hoher Tsunami gemessen. Schäden hat dieser nicht hinterlassen.

Wird es weitere Erdbeben geben?

Entlang der beiden gebrochenen Störungen wird es für viele Wochen und Monate teils starke Nachbeben bis oder über Magnitude 6 geben. Spürbare Beben werden für lange Zeit fast täglich auftreten. Für Überlebende in der Region beginnt somit eine extrem schwierige Phase. Nachbeben können Schäden verschlimmern und Rettungsarbeiten verzögern. Zudem ist es denkbar, dass auch in näherer Umgebung andere Störungen aktiv werden. So gab es bereits im Umfeld der Stadt Malatya ein kräftiges Beben abseits der ursprünglichen Bruchzonen.

Auch ein neues schweres Erdbeben an einer der angrenzenden großen Störungszone ist kurzfristig nicht ausgeschlossen, mittelfristig nun sogar wahrscheinlicher geworden. Mehr dazu haben wir hier geschrieben.

War eine solche Katastrophe zu erwarten?

Leider ja. In historischer Zeit war die Grenzregion von Syrien und der Türkei wiederholt von schweren Erdbeben mit katastrophalen Folgen betroffen. Da erdbebensichere Bauvorschriften in der Türkei erst seit wenigen Jahrzehnten existieren und auch nicht immer konsequent durchgesetzt werden, waren viele der Gebäude in der Region anfällig für starke Erschütterungen. In Syrien kommen die Nachwirkungen des Krieges hinzu. Entsprechend verheerend waren die Auswirkungen und auch eine hohe, wahrscheinlich fünfstellige Opferzahl wird am Ende keine Überraschung sein. Bis alle Verschütteten gerettet und Opfer geborgen sind, können aber noch Tage vergehen.

Die Katastrophenmodellierer von Risklayer rechnen infolge dieser beiden Beben mit insgesamt etwa 22.000 Todesopfer. Im schlimmsten Fall wären bis zu 52.000 Todesopfer denkbar.

Gab es irgendwelche Warnungen oder Vorhersagen?

Nein. Die gezielte, orts- und zeitgenaue Vorhersage von Erdbeben ist aktuell nicht möglich. Zwar gibt es gerade in Sozialen Medien immer wieder Menschen, die derartige Fähigkeiten vorgeben. Doch basieren diese in der Regel nur auf Statistik, geschickte Manipulation und manchmal auf Zufall. Ernsthafte Wissenschaftler würden keine derartigen Prognosen tätigen und gezielte Erdbebenvorhersagen niemals ernstgenommen werden.

Was man wusste: Dass die Region entlang der Ostanatolischen Störung in naher Zukunft ein schweres Erdbeben erleben wird. Auch gab es in den letzten Wochen einige Vorbeben. Daraus auf den Schluss zu kommen, dass es heute zu dieser Zeit an diesem Ort diese Erdbeben gibt, wäre aber in keinem Fall möglich gewesen.

Wie wirkt sich das Erdbeben auf andere Orte wie Istanbul aus?

Wie bereits vorher erwähnt, könnten durch das Erdbeben in naher Zukunft Erdbeben an nahe gelegenen Störungszonen getriggert werden, die eine ähnliche Magnitude aufweisen. Risikogebiet sind dort aber ausschließlich der Süden der Türkei sowie der Westen Syriens und angrenzende Gebiete. Istanbul, gelegen weit entfernt im Nordwesten der Türkei, ist nicht betroffen. Auch hier wird vermutlich sogar in sehr naher Zukunft mit einem schweren Erdbeben gerechnet. Die dafür ausschlaggebende Nordanatolische Störung liegt aber nicht im Einflussbereich der heutigen Erschütterungen. Ein zeitnahes schweres Erdbeben in Istanbul wäre also, wenn es so kommt, lediglich Zufall.

Besteht ein Zusammenhang mit vulkanischer oder menschlicher Aktivität?

Nein. Die beiden Hauptbeben selbst und auch die vielen Nachbeben sind normale Beben, wie sie von tektonischen Prozessen in dem Gebiet zu erwarten sind. Zwar sind derart hohe Magnituden selten, aber nicht ungewöhnlich. Vergleichbare Ereignisse gab es in historischer Zeit. Ein Zusammenhang mit vulkanischer Aktivität oder ein Induzieren (z.B. durch Stauseen oder Geothermie) liegt nicht vor.

Sind derartige Erdbeben auch in anderen Regionen am Mittelmeer möglich?

Ja. Vor allem der Süden Griechenlands, der Süden Italiens und der Osten Rumänien sind Kandidaten, wo Beben dieser Stärke möglich und in historischer Zeit vorgekommen sind. Ebenso der bereits beschriebene Norden der Türkei um Istanbul. Auch in anderen seismisch aktiven Gebieten wie Mittelitalien, Spanien oder auf dem Balkan wären solche Beben theoretisch denkbar, allerdings fehlen historische Belege dafür.

Eine Region mit sehr hoher Erdbebenaktivität ist zudem das Meeresgebiet zwischen Portugal und den Azoren. Hier kam es in historischer Zeit zu Beben bis Stärke 9. Es ist die Region mit dem höchsten Erdbebenpotential in Europa.

5 thoughts on “Doppelbeben, Warnungen und Istanbul: Wichtige Fragen zur Erdbebenkatastrophe

  1. Wir haben am 5. Februar eine Woche in Istanbul gebucht. Am Samstag, dem 18. Februar geht es los. Wie groß ist die Gefahr, dass es dort bebt und wie ist die Situation am Flughafen?

  2. Es wird in vielen Medien gewarnt vor einem schweren Folgebeben in Istanbul. Abgesehen davon, dass überall und jederzeit Erdbeben möglich sind, ist davon abzuraten, in den nächsten Wochen nach Istanbul zu fliegen? Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein?

    1. Im Abschnitt „Wie wirkt sich das Erdbeben auf andere Orte wie Istanbul aus?“ haben wir dies beantwortet. Die (sehr große) Gefahr eines schweren Erdbebens in Istanbul wurde durch das Erdbeben in der Türkisch-Syrischen Grenzregion nicht beeinflusst.

  3. wir machen Urlaub in Kumkoy Side am 6. Juni 2023 ,müssen wir auch Angst haben das es da ein Erdbeben gibt.

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