Nach dem katastrophalen Erdbeben in Syrien und der Türkei ist die Nachbebenaktivität vor Ort weiterhin sehr hoch. Beben über Magnitude 5 werden fast täglich aufgezeichnet. Zudem gibt es das Potential für langfristig erhöhte Aktivität entlang des Jordan und im Osten der Türkei. Doch nach den jüngsten Erdbeben in Rumänien und Kroatien stellen sich viele Menschen die Frage, ob auch Europa nun mehr große Erdbeben drohen. In vielen Medien werden entsprechende Behauptungen verbreitet.

Vielen Menschen hängen die Bilder aus der Türkei und Syrien im Hinterkopf. Bei Bewohnern der Erdbebengebiete Südeuropas und auch deren Angehörigen zum Beispiel in Deutschland ist die Furcht vor einem weiteren Erdbeben in Europa immens. Dabei stellt sich vor allem die Frage, ob das Türkei-Erdbeben die jüngste seismische Aktivität in Kroatien und Rumänien ausgelöst hat. Besteht irgendein Zusammenhang?

Kurz gesagt: Wir wissen es nicht mit Sicherheit.

Erdbeben ab Magnitude 3 im Mittelmeerraum seit dem 1. Februar 2023. Daten: EMSC

Eine Antwort, die in emotionalen Situationen katastrophaler sein kann als Schweigen und Fake News alle Türen öffnet. Leider ist sie bei Erdbeben die häufige Realität. Zwar weiß man, dass große Erdbeben sowohl regional als auch überregional weitere Erdbeben auslösen können (man nennt dies „Triggern“. Mehr dazu). Doch ist es im Einzelfall oft schwierig, dieses Triggern klar zu identifizieren. Die jüngst angestiegene Erdbebenaktivität in Israel und im Libanon steht mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang. Die räumliche und zeitliche Nähe zum Türkei-Erdbeben machen die Einschätzung relativ eindeutig. Doch je weiter man sich zeitlich und räumlich vom ursprünglichen Epizentrum entfernt, umso weniger Klarheit gibt es.

Hängt das Rumänien-Erdbeben mit dem Türkei-Erdbeben zusammen?

Die Region um Gorj war bereits in den Jahren zuvor ziemlich aktiv. Seit mehr als 10 Jahren kam es vermehrt zu Erdbeben. Wir haben also eine Erdbebenregion, die lange Zeit inaktiv war und dann nach und nach durch normale tektonische Prozesse reaktiviert wurde. Das ganze gipfelte in dem (bisherigen) Hauptbeben mit M5.7 am Dienstag. Das heißt: Schon vor dem Türkei-Erdbeben war das Potential für ein größeres Erdbeben gegeben und Anzeichen, dass dieses bald geschieht, durch die ansteigende Aktivität ebenfalls vorhanden. Anzeichen, die man natürlich nur im Nachhinein so interpretieren kann. Somit hatte das Türkei-Erdbeben sehr wahrscheinlich keinen Einfluss oder maximal dahingehend, dass es das Eintreffen minimal beschleunigt hat.

Hängt das Kroatien-Erdbeben mit dem Türkei-Erdbeben zusammen?

Das Erdbeben auf Krk kam komplett ohne Vorwarnung. Keine Vorbeben, nichts. Für die Region war es das stärkste Erdbeben seit mehreren Jahrzehnten und daher auch in gewisser Weise überraschend. Doch ist hier die Distanz noch größer und beim Triggern gilt: Je weiter entfernt, desto unwahrscheinlicher. Mehr als ein minimales Beschleunigen des Eintreffens dürfte auch hier nicht gewirkt haben.

Stattdessen ist es im nördlichen Balkan so, dass die Erdbebenaktivität generell seit mehreren Jahren leicht erhöht ist. Beginnend mit dem großen Erdbeben in Albanien 2019 (M6.4) und fortsetzend mit dem schweren Erdbeben in Kroatien (M6.4) folgte eine ganze Reihe großer Erdbeben um Magnitude 5 innerhalb der letzten Monate, darunter auch innerhalb des Adriatischen Meeres sowie in Bosnien-Herzegowina. Es ist wahrscheinlicher, dass wir hier noch die Nachwirkungen einer Kettenreaktion sehen, die mit dem Albanien-Beben 2019, vielleicht auch bereits mit dem Zakynthos-Erdbeben 2018 einsetzte.

Ob es also in den kommenden Tagen und Wochen vermehrt zu Erdbeben in Europa kommt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es ist auf jeden Fall sehr unwahrscheinlich, dass das Türkei-Erdbeben größere Beben in entfernteren Orten triggert. Möglich ist jedoch, dass Erdbeben, die sowieso unmittelbar bevorstehen (innerhalb der nächsten Jahre), nun den letzten Schub bekommen haben und früher auftreten. Dies wird aber nicht flächendeckend der Fall sein, sondern ist stark von geologischen Gegebenheiten abhängig.

Behauptungen, in Europa würden nun durch das Türkei-Beben vermehrt schwere Erdbeben stattfinden, sind auf jeden Fall unbegründet.