In verschiedenen europäischen Medien, vor allem in Rumänien und nun auch in Kroatien, war zuletzt zu lesen, dass Europa bzw. der Mittelmeerraum in eine seismisch aktivere Phase eingetreten ist, in der schwere Erdbeben häufiger sind. Vor allem im Zusammenhang mit den jüngsten Erdbeben dort und in der Türkei wird dies häufig behauptet. Eine Aussage, die zwar nicht falsch ist, aber ohne Kontext schnell zu falschen Schlussfolgerungen führt.
Kurz gesagt: Ja, seit vier Jahren sehen wir in Europa eine Reihe starker Erdbeben. Neben mehreren Erdbeben auf dem Balkan (Kroatien, Albanien, Bosnien-Herzegowina) gab es seit 2019 mehrfach große Erdbeben rund um die Ägäis (Lesbos, Kos, Izmir). Im kleineren Magnitudenbereich kann man auch durchaus davon sprechen, dass im Alpen- und nördlichen Voralpenraum in den letzten zwei bis drei Jahren recht viele Erdbeben passiert sind. Eine vermeintliche Häufung, die statistisch aber nicht besonders auffällig ist. So liegt die Gesamtzahl der Erdbeben über Magnitude 5.5 nur geringfügig über den langjährigen Schnitt und noch deutlich unterhalb der Aktivitätsphase der 50er Jahre.

Zudem gibt es einen weiteren Aspekt, der entscheidend ist: Der Zusammenhang.
Wie bereits hier ausführlich erläutert, ist Triggern der Hauptaspekt, der eine Verbindung zwischen zwei Erdbeben darstellt. Ein Erdbeben kann ein anderes auslösen. Die einzige Alternative: Zwei Erdbeben haben den gleichen (großtektonischen) Ursprung. Ist der Faktor Triggern ausgeschlossen (wovon wir hier nach aktuellen Wissensstand in den meisten Fällen ausgehen können), bleibt nur noch der gemeinsame Ursprung. Und der ist gleich, unabhängig davon, ob es eine Häufung gibt oder nicht.
Heißt: Die tektonischen Prozesse in Europa sind immer gleich komplex. Es gibt kein einfaches „Afrika drückt heute stärker als gestern“. Dadurch, dass es so komplex ist, sind auch Erdbeben so komplex und treten nicht nach einem gegebenen Schema auf. Schon in einem sehr lokalen Rahmen ist die Wiederkehrperiode bestimmter Beben extrem unregelmäßig. Auf regionaler oder europäischer Skala heißt dies nichts weniger als: Reines Chaos. Und wenn Chaos normal ist, dann ist immer alles möglich. Auch, dass es über einen gewissen Zeitraum eine deutliche Häufung an Erdbeben geben kann.
Erdbebenaktivität ist niemals konstant
Wir können also zusammenfassen: Ja, in Europa hatten wir in den letzten Jahren einige starke Erdbeben. Doch zwischen den (meisten) Erdbeben gibt es weder einen direkten Zusammenhang, noch irgendeine statistische Auffälligkeit. Es ist vor allem eine subjektiv starke Häufung relativ zu den sehr ruhigen Vorjahren. Schwankungen, die sich aus dem natürlichen Verhalten tektonischer Prozesse ergeben. Somit entfällt auch jede Möglichkeit, irgendwelche Muster zu erkennen oder Prognosen zu geben.

Im Kontrast zur Häufung in Europa steht dabei die Aktivität im Rest der Welt. Die Jahre 2019 bis 2021 waren weltweit die mit der geringsten Erdbebenaktivität seit den 70er Jahren. Dabei wurden auch einige Rekorde wie der längste Zeitraum ohne Magnitude 6 aufgestellt. Ein statistisch bedeutendes Extrem, das aber wegen seiner Unauffälligkeit keine Beachtung findet. Das, was statistisch normal ist, liegt zwischen diesen Extrema. Das Normalitätsempfinden des Menschen hingegen ist anders. Dort gilt: Je stärker, umso extremer und je schwächer, umso normaler. Ein Unterschied, der sich oft in Falschinterpretationen widerspiegelt und leider auch oft falsch kommuniziert wird.