Rumänien gehört zu den Ländern mit einer langen Geschichte schädlicher, teils katastrophaler Erdbeben. Große Erdbeben, ausgehend von der Vrancea-Zone im Osten des Landes, waren in der Vergangenheit in ganz Osteuropa zu spüren und forderten Tausende Opfer. Doch je weiter man von der Vrancea-Zone entfernt ist, umso geringer ist die Erdbebenaktivität. Das neueste Erdbeben am Dienstag im entfernten Südwesten des Landes kommt doppelt überraschend: Nicht nur ist es das stärkste dort jemals registrierte Erdbeben. Auch traf es eine Region, die erst seit wenigen Jahren überhaupt als Erdbebenzone eingestuft ist. Über die seismische Zone der Südkarpaten.

Bereits am Montag (13. Februar) bebte es im Landkreis Gorj im Südwesten Rumäniens: Ein Erdbeben mit Magnitude 5.2 ereignete sich nahe der Stadt Targu Jiu, rund 230 Kilometer westlich der Hauptstadt Bukarest. Es führte zu panischen Szenen im Stadtgebiet, beschädigte einige Gebäude und ließ auch noch in Serbien und Ungarn Gebäude zittern. Ein kräftiges Erdbeben, das sich als Vorbeben herausstellte. Denn ein Tag später, am Nachmittag des 14. Februar, folgte ein noch stärkerer Stoß. Magnitude 5.7, spürbare Erschütterungen bis nach Österreich, Griechenland und in die Ukraine und mehr Schäden als zuvor.

Stärkstes Erdbeben seit Aufzeichnungsbeginn

Zur Veröffentlichungszeit dieses Textes lief die Schadensbewertung in Targu Jiu und Umgebung noch. Sehr vorläufige Bilanz: Mindestens 50 beschädigte Häuser, zwei Verletzte und mehrere Panikattacken. Ein Erdbeben zum psychologisch ungünstigsten Zeitpunkt. Die Bilder der Erdbebenkatastrophe in Syrien und der Türkei mit mindestens 37.000 Todesopfern hingen vielen Menschen noch im Gedächtnis. Umso größer die Angst, die mit den wiederholten Erdstößen kam und viele Bewohner zur Flucht aus ihren Häusern trieb. Vor allem, da Targu Jiu bereits in jüngerer Vergangenheit häufiger Epizentrum war.

ShakeMap des aktuellen Erdbebens (Stern) und instrumentelle vor 2010 (ISC-Katalog) ab Magnitude 2.5

Seit etwa 2012 erlebt der Landkreis Gorj eine Zunahme der Erdbebenaktivität. Mit Beben bis Magnitude 4.5 in den Jahren 2012, 2020 und 2022 gehört Targu Jiu sogar zu den erdbebenreichsten Städten Rumäniens der letzten Jahre. Dabei gilt die Region erst seit wenigen Jahren überhaupt offiziell als Erdbebengebiet.

ShakeMap des aktuellen Erdbebens (Stern) und instrumentelle nach 2010 (ISC-Katalog) ab Magnitude 2.5

Zwischen 1900 und 2010 wurden lediglich 15 Erdbeben zwischen Magnitude 2.5 und 4 in der Region aufgezeichnet. Seit 2010 hat die Aktivität deutlich zugenommen. Mehrere Dutzend Beben dieser Stäke wurden im Umfeld der Stadt aufgezeichnet. Ein Anstieg, der nicht nur auf die verbesserten Messungen zurückzuführen ist. Denn auch aus historischen Aufzeichnungen gibt es aus der Region keine Überlieferungen von stärkeren Erdbeben, wie sie bei einer derartigen Häufung zu erwarten wären.

Seit 2010 vermehrt Erdbeben um Targu Jiu

Radulian (2019) hat daher bei einer Studie zur Bewertung des Rumänischen Erdbebenkatalogs die Erdbebenzone „Zentrale Südkarpaten“ (CSC) als solche definiert und damit die Lücke zwischen den Erdbebenzonen „Donautal“ (DA) und „Făgăraş-Câmpulung“ (FC) geschlossen. Beides sind Gebiete mit bekannter moderner und historischer Erdbebenaktivität.

Instrumentelle Seismizität (bis 2000) und Erdbebenzonen in Rumänien und Erdbebenzonen aus Radulian (2019). Targu Jiu (Stern) befindet sich im Süden der neu eingeführten Erdbebenzone „Zentrale Südkarpaten“ (CSC).

Die im 21. Jahrhundert einsetzende Erdbebenaktivität sowie einzelne Beben vorheriger Jahre deuteten somit bereits darauf hin, dass in der Region auch das Potential für größere Beben besteht. Das Problem: Die Erdbebenaktivität folgt zwar grob dem Verlauf der Karpaten und damit dem Verlauf bekannter Störungen. Eine eindeutige Quelle für die Erdbebenaktivität ist jedoch nicht bekannt. Bala (2020) untersuchte die tektonische Aktivität in den jeweiligen Erdbebenzone und kam zu den Schluss, dass das Stressfeld im Gestein innerhalb der CSC sehr komplex ist. Heißt: Die Erdbeben folgen keinem einheitlichen Bruchmechanismus, was auf keinen klaren großtektonischen Ursprung der Beben schließen lässt.

Stattdessen zeigten die untersuchten Beben alle unterschiedlichen Herdmechanismen, teils sehr kleinräumig verteilt. Die einzige große Störung in der Region, die Cerna-Jiu-Störung, weist einen Strike-Slip-Mechanismus auf: Eine horizontale Verschiebung von Gesteinsblöcken ähnlich wie beim Türkei-Erdbeben vergangene Woche. Die neu auflebende Erdbebenaktivität in der CSC, so auch das aktuelle M5.7 Erdbeben, geht auf eine Abschiebung zurück. Eine solche Störung ist in dem Gebiet nicht bekannt.

Neue Erdbebenzone wirft weiter Fragen auf

Targu Jiu und die zentralen Südkarpaten werden Erdbebenforscher in den kommenden Monaten beschäftigen. Denn die dortige Erdbebenaktivität wirft weiterhin einige Fragen auf. Fragen, die mit dem heutigen Erdbeben nicht weniger wurden. Magnitude 5.7, eine Stärke, die bis vor wenigen Jahren in dem Gebiet für äußerst unwahrscheinlich gehalten wurde, überrascht Bevölkerung und Experten trotz mehr als zehn Jahren vermehrter Erdbebenaktivität. Da aber keine Erfahrungswerte vorliegen, ist unklar, ob dies bereits das Maximum des Potentials ist, oder ob noch stärkere Erdbeben möglich sind.

Sowohl die angrenzende Făgăraş-Câmpulung Zone als auch die Donautalzone brachten in historischer Zeit Erdbeben bis Magnitude 6.5 hervor. Nach der von Radulian (2019) beschriebenen „logischen Lückenschließung“ durch Einführung der CSC wäre ein ähnliches Potential ebenfalls logisch. Doch für sichere Aussagen wären sind weitere Forschungen nötig. Das Aufleben der Erdbebenaktivität wurde bereits richtig gedeutet und mit der Klassifizierung als Erdbebenzone folgte die richtige Reaktion. Auch die Bevölkerung wird spätestens seit heute wissen, dass Rumäniens jüngste Erdbebenzone existiert und möglicherweise das Potential hat, ein weiteres Rekorderdbeben hervorzubringen.

Gleichzeitig ist es eine Warnung für andere Regionen weltweit, die bisher nicht als Erdbebengebiet gelten. Selbst wenn historisch keine oder nur wenige Erdbeben bekannt sind und auch keine aktiven Störungen sichtbar sind, kann ein großes Erdbeben in Zukunft nicht restlos ausgeschlossen werden.

Quellen:

Radulian, M.; Bălă, A.; Ardeleanu, L.; Toma-Dănilă, D.; Petrescu, L.; Popescu, E. (2019). Revised catalogue of earthquake mechanisms for the events occurred in Romania until the end of twentieth century: REFMC. Acta Geodaetica et Geophysica, 54(1), 3–18. doi:10.1007/s40328-018-0243-y

Bălă, A.; Radulian, M.; Toma-Danila, D. (2020). Crustal stress partitioning in the complex seismic active areas of Romania. Acta Geodaetica et Geophysica, (), –. doi:10.1007/s40328-020-00299-0