Wann und wo ein Erdbeben passiert und wie stark es wird, sind die beiden Hauptaspekte der Erdbebenvorhersage. Nur durch genaue Prognose von Ort, Zeit und Zerstörungspotential kann es ermöglichen, rechtzeitig angemessene Schutz- und Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten und so Menschenleben zu retten. Leider ist diese Art von Warnung aktuell (und vielleicht für immer?) unmöglich. Zu komplex, zu schwer messbar und teilweise noch komplett unbekannt sind die Aspekte, die das Auftreten eines Erdbebens bestimmen. Dennoch gibt es immer wieder Menschen, die von sich selbst behaupten, dieses Ewigkeitsrätsel gelöst zu haben. Doch statt auf komplexe Wissenschaft greifen sie meist auf einfache Muster zurück, um vermeintliche Prognosen zu treffen. Vor allem astronomische Konstellationen sind verbreitet. So auch die Behauptung, starke Erdbeben seien vom Vollmond abhängig.

Die Theorie dahinter: Bei Vollmond stehen Erde, Sonne und Mond weitestgehend in einer Reihe. Dies führt zu Verstärkung von Gezeiten, die auch die Erdkruste beeinflussen und so starke Erdbeben auslösen. Noch stärker sei dieses Phänomen bei Sonnen- oder Mondfinsternis oder auch bei Aneinanderreihungen anderer Planeten. Selbst ernannte Erdbebenpropheten behaupten daher oft, dass bei solchen astronomischen Ereignissen die Gefahr großer Erdbeben massiv ansteige.

Tatsächlich ist die Frage, ob Erdbeben mit Mondphasen oder auch mit Sonnenzyklen zusammenhängen, schon seit langer Zeit in den Köpfen der Menschen. Bereits im 17. Jahrhundert haben frühe Wissenschaftler versucht, Muster zu finden und so möglicherweise eine gewisse Erdbebenwarnung möglich zu machen. Diese Forschung setzt sich bis in heutige Zeit fort und findet zur Zeit in den Randbereichen der Seismologie statt. Dabei geht es vor allem um Phänomene in hydrothermalen Systemen und Tremors, die durch das Vorhandensein von Wasserdruck gesteuert werden und dadurch nur geringfügigen Druckänderungen unterliegen.

Gezeiten beeinflussen Wasserdruck in Störungen

Und tatsächlich gibt es dort Hinweise auf Zusammenhänge. So sollen kleinere vulkanische Beben oder auch tiefe seismische Phänomene periodisch mit den Gezeiten auftreten. Auch Slow-Slip Erdbeben gelten als möglicher Kandidat. Doch oft fehlt es diesen Hinweisen an statistischer Aussagekraft. Fehlende Daten und Messbarkeit lassen es oft offen, ob diese vermeintlichen Zusammenhänge tatsächlich existieren, oder nicht doch nur Zufall durch unglückliche Wahl der Messreihen sind.

Theoretisch denkbar sind die Zusammenhänge: Durch die Anziehungskraft des Mondes wird nicht nur das Wasser der Meere (Ebbe und Flut) angezogen. Auch die Erdkruste hebt sich nachweislich im Zyklus des Mondes. Dies wirkt sich natürlich auch auf Störungszonen aus, die so geringfügige Spannungsänderungen erleben. Diese minimalen Veränderungen können es ermöglichen, dass Störungszonen ins Rutschen kommen, wenn viel Wasser als Schmiermittel vorhanden ist und sie bereits bis zum Anschlag unter Druck stehen.

Bei großen Erdbeben, wo in der Regel hydrothermale Systeme nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist die Situation anders. Zum einen ist der Druck auf den Störungszonen hier so massiv, dass die geringen Änderungen durch die Gezeiten keinen Effekt mehr haben. Und zum anderen sind ausreichend Daten vorhanden, um mögliche Zusammenhänge zu überprüfen. Für Beben über Magnitude 6 gibt es fast ein ganzes Jahrhundert an nahezu gesicherten Aufzeichnungen. Tausende bis Zehntausende Ereignisse, die sich mit den Gezeiten vergleichen lassen. Wenn man denn will. Denn das Ergebnis ist eindeutig.


Kein Zusammenhang. Nichts. Auch statistische Fehler und Zufall sind hier keine Unsicherheiten mehr. Würde ein Zusammenhang existieren, wäre dies in den Messreihen klar erkennbar. Erdbebenpropheten, die an ihrer Theorie festhalten und dies mit vermeintlichen Argumenten stützen wollen, betreiben lediglich Cherrypicking und suchen sich die Korrelationen heraus, die statistisch bedingt sind. Längere Messreihen, die die Theorie klar widerlegen, werden ignoriert. Dabei ist es eindeutig: Der Mond, bzw. der Mondzyklus, hat keinen Einfluss auf das Eintreffen von starken Erdbeben.

Statistik eindeutig: Kein Einfluss des Mondes auf große Erdbeben

Bezüglich Mikrobeben und seismischen Ereignissen in hydrothermalen Systemen gibt es wie gesagt noch Unklarheiten. Doch haben diese keinen Einfluss auf mögliche Gefährdungen durch Erdbeben und sind daher für den Aspekt der Erdbebenvorhersage irrelevant.

Und andere Planeten?

Wer auf der Schiene der Erdbebenvorhersage durch astronomische Konstellationen fährt, wird nicht beim Mond anhalten, sondern mindestens bis zum Saturn weiter reisen und sich immer weiter vom Boden der Tatsachen entfernen. Dabei könnte man das gleiche Argument bringen. Doch reicht auch reine Logik: Der Mond ist der Himmelskörper mit dem (mit Abstand) größten gravitativen Einfluss auf die Erde. Ebbe und Flut sind die bekanntesten Folgen der Mondanziehung. Auswirkungen der Gravitation von Mars, Venus oder gar Saturn auf unsere Gezeiten gibt es nicht. Und wenn der Mond, der Ozeane bewegt, nicht stark genug ist, um Erdbeben auszulösen, wie sollte es dann der Saturn schaffen, dessen Gravitation auf unserem Planeten nicht mal mehr messbar ist?

Fazit: Der Mond trägt nicht dazu bei, große Erdbeben auszulösen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Vollmond, Neumond oder Sonnenfinsternis ist. Dies ist einfach zu überprüfen, indem man langjährige Daten (die öffentlich verfügbar sind) mit den jeweiligen Ereignissen (deren Zeiten ebenfalls einfach nachzuschlagen sind) vergleicht. Dabei zeigt sich deutlich, dass keine Korrelation und erst recht keine Kausalität besteht. Durch Cherrypicking lassen sich Zusammenhänge suggerieren. Dies wird auch häufig zu manipulativen Zwecken eingesetzt. Doch ist dies lediglich ein Beweis dafür, dass entsprechende Menschen nicht an Fakten interessiert sind, sondern lediglich ihr eigenes Spiel spielen wollen. Von ernsthafter Erdbebenvorhersage abseits der Selbstdarstellung kann keine Rede sein.

Weiterführende Literatur und Quellen:

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