Weite Gebiete Nordosteuropas sind seismisch kaum oder nahezu komplett inaktiv. Es gibt nur wenige aktive Störungszonen und nur noch selten Auswirkungen der Bodenhebungen infolge der letzten Eiszeit. Größere oder deutlich spürbare Erdbeben sind selten und eine Besonderheit. So auch ein vermeintliches Erdbeben, das sich am Sonntagvormittag (21. Mai) in Belarus (Weißrussland) ereignet haben soll.

Grafik 1: ShakeMap eines angeblichen Erdbebens am Sonntagvormittag in Belarus. Die Erschütterungen wären bis nach Polen, Litauen sowie in die Hauptstadt Minsk zu spüren gewesen.

Registriert vom GFZ soll ein Beben mit Magnitude 4.2 um 10:02 Uhr im Nordwesten des Landes nahe der Grenze zu Litauen aufgetreten sein. Eine Tiefenangabe gibt es nicht – die vom GFZ genannte Tiefe von 10 Kilometern ist durch die Ergänzung „f“ als „automatisch gesetzt und nicht lokalisiert“ gekennzeichnet. Die Erschütterungen des Bebens wären bis nach Polen und Litauen zu spüren gewesen. Ein solches Erdbeben wäre nicht nur das stärkste in Belarus seit vielen Jahrzehnten, sondern wahrscheinlich auch das stärkste, jemals instrumentell registrierte.

Seismologische Daten zeigen kein Erdbeben

Doch zeigen seismologische Daten, dass das heutige Beben so nicht stattgefunden hat. Magnitude 4.2 wäre verbreitet von Erdbebendiensten in Osteuropa erfasst worden. Aufzeichnungen mehrerer Stationen in Polen und im Baltikum geben jedoch keinen Hinweis auf irgendein Erdbeben.

Grafik 2: Aufzeichnungen verschiedener seismologischer Stationen im Umkreis von 700 Kilometern um das vermeintliche Epizentrum in Belarus. Ein echtes Beben der Stärke 4.2 wäre von allen Stationen registriert worden.

Somit kann ein Erdbeben und jedes andere seismische Ereignis (Explosion, Sprengung, Waffentest, Meteoriteneinschlag, etc.) komplett ausgeschlossen werden. Die Meldung des GFZ ist falsch, ein computerbedingter Fehler, der noch nicht von einem Seismologen überprüft und korrigiert wurde. Solche Computerfehler kommen vor und werden in den meisten Fällen vor Veröffentlichung rausgefiltert, um Falschinformationen zu vermeiden. Diesmal ist leider ein Fehler durch den Filter gerutscht.

Reale Erdbeben durch Salzbergbau und Bodenhebungen

Doch tatsächlich hat es heute bereits ein Erdbeben in Belarus gegeben. Etwa vier Stunden früher registrierte der Ukrainische Erdbebendienst (MCSM) ein Beben der Stärke 2.3 im Süden des Landes. Dieses dürfte rund um das Epizentrum schwach verspürt worden sein und ist für die Region auch garnicht ungewöhnlich. Denn das Epizentrum befindet sich in einer Region mit andauerndem Salzbergbau, der zudem innerhalb der tektonisch aktiven Prypjat-Störungszone stattfindet. Infolge dessen kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu hunderten Erdbeben, teils bis über Magnitude 3.

Grafik 3: ShakeMap eines realen Erdbebens am Sonntagmorgen im Süden von Belarus. Das Epizentrum lag nahe eines Salzbergwerks, das für induzierte Seismizität bekannt ist. Die ShakeMap basiert auf Daten des Ukrainischen Erdbebendienstes, der eine Tiefe von 9 Kilometern ermittelte. Man muss davon ausgehen, dass diese Tiefenangabe grob unsicher ist, da induzierte Beben meist in geringerer Tiefe auftreten.

Neben dem Bergbau waren auch die klimatischen Bedingungen in der Vergangenheit Auslöser für seismische Ereignisse in Belarus. Einige der wenigen historisch überlieferten Beben gingen nach neuesten Forschungen auf Frostbeben zurück. Zudem liegt vor allem der Norden des Landes noch im Einflussbereich der Bodenhebungen, die nach der Gletscherschmelze am Ende der letzten Eiszeit einsetzen. Dabei wurden in weiten Teilen Nordeuropas alte Störungszonen reaktiviert und teils massive Erdbeben getriggert. Geologische Spuren solcher Erdbeben finden sich auch im Umfeld von Belarus. Auch für die Zukunft sind Beben infolge der Bodenhebungen nicht ausgeschlossen.

Belarus ist somit ein Land, in dem Erdbeben auftreten können. Rein tektonische Beben sind dabei die Ausnahme. Die heutige Registrierung im Nordwesten des Landes ist jedoch einem Computerfehler geschuldet.