Studie: Riesentsunami erreichte deutsche Nordseeküste

In einer neuen Studie zeigen Forscher, dass die deutsche Nordseeküste vor 8000 Jahren von einem riesigen Tsunami betroffen war. Der sogenannte Storegga-Rutsch, ein großflächiges Abrutschen von Sedimenten im Meer vor der Küste Norwegens, führte damals zu den Riesenwellen. Diese Wellen wurden bereits in Skandinavien und auf den Britischen Inseln nachgewiesen. An der deutschen Nordseeküste wurden bislang jedoch keine Spuren des Tsunamis gefunden. Das flache Wasser galt demnach als Schutz vor Tsunamis. Neue geologische Untersuchungen auf der Halbinsel Eiderstedt in Nordfriesland legen jedoch nahe, dass der Tsunami auch diesen Küstenabschnitt erreicht haben könnte.

Karte der Nordsee mit Abbruchfläche der Storegga-Rutschung und Nachweisorten für Tsunamis. Die aktuelle Studie, der erste Tsunaminachweis in Deutschland, ist mit einem Stern markiert. Grafik aus Vött et al. (2024), CC BY 4.0

Der Storegga-Rutsch ist als eines der größten Rutschereignisse der Erdgeschichte bekannt. Die dabei abgerutschten Sedimentmassen lösten einen Tsunami in der Nordsee aus, der Küstenregionen in Norwegen, Schottland, England und Dänemark traf. Bislang nahm man an, dass die deutsche Nordseeküste durch den breiten Festlandsockel und die flachen Gewässer vor der Wucht eines solchen Tsunamis geschützt war. Die neue Studie stellt diese Annahme infrage. Forscher der Universität Mainz und anderer Institutionen entdeckten in Sedimentkernen auf Eiderstedt Hinweise auf starke Meeresbewegungen, die durch einen Tsunami verursacht worden sein könnte.

Hangrutsch vor Norwegen löste Riesentsunami aus

Die Forscher analysierten Sedimentkerne, die bis zu 20 Meter tief in den Boden der Eiderstedter Halbinsel reichen. In diesen Kernen fanden sie eine Schicht, die sie als potenzielles Überbleibsel des Storegga-Tsunamis identifizierten. Diese Schicht enthält Merkmale, die typisch für Tsunami-Ablagerungen sind: Erosive Unregelmäßigkeiten, sogenannte „rip-up clasts“ (ausgerissene Gesteinsfragmente) und eine nach oben feiner werdende Körnung. Außerdem fanden sie eine ungewöhnliche Mischung von Mikrofossilien, die darauf hinweist, dass die Ablagerungen mit großer Wucht transportiert wurden.

Auch das Alter der Sedimente, das auf rund 8000 Jahre datiert wird, korreliert mit den bisherigen Erkenntnissen zum Storegga-Rutsch, der vor etwa 8150 Jahren stattfand. Die Entdeckung dieser Schicht bei Eiderstedt ist von besonderer Bedeutung, da sie die südlichste bisher gefundene Spur des Storegga-Tsunamis darstellt. Frühere Funde wurden hauptsächlich in Dänemark und weiter nördlich gemacht. Dabei konnte unter anderem an den Küsten Schottlands nachgewiesen werden, dass der Tsunami Wellenhöhen von über 25 Metern erreichte.

Diese Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die potenzielle Gefahr von Tsunamis in der Nordsee. Die bisherige Annahme, dass der flache Schelf die Energie eines Tsunamis ausreichend dämpfen würde, scheint nicht haltbar zu sein. Der Storegga-Tsunami könnte sich weiter ins Landesinnere ausgebreitet haben, als bisher angenommen. Die Fundstelle bei Eiderstedt befindet sich rund 14 Kilometer von der damaligen Küstenlinie entfernt. Vermutlich drang der Tsunami über den Flussverlauf der Eider so weit ins Landesinnere vor.

Tsunami drang 14 Kilometer ins Landesinnere vor

Die Entdeckung stellt auch ein Warnsignal für die heutige Zeit dar. Obwohl Tsunamis in der Nordsee selten sind, zeigen diese neuen Erkenntnisse, dass solche Ereignisse nicht ausgeschlossen werden können. Hangrutschungen vor der norwegischen Küste sind durch zunehmende Instabilität infolge steigender Meerestemperaturen sowie durch starke Erdbeben auch in Zukunft möglich. Mit der Nyegga-Rutschung, die sich vor 20.000 Jahren an ähnlicher Stelle ereignete, ist ein weiteres solches Ereignis aus der geologischen Vergangenheit bekannt. Für die deutsche Nordseeküste bestünde bei einem solchen Tsunami aufgrund der Distanz und des flachen Wassers, was die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Tsunamis verringert, das Potential für Frühwarnungen.

Vor allem in den Mündungsbereichen (Ästuaren) der größeren Flüsse wie Elbe, Ems und Weser besteht eine besondere Gefährdung. Durch die trichterförmige Küstenform würde zum einen der Tsunami ähnlich wie eine Sturmflut aus Nordwesten kanalisiert und damit verstärkt werden. Wie die Funde an der Eider zeigen, könnte ein Tsunami zudem über diesen Weg auch küstenferne Städte wie Hamburg erreichen.

Die neue Studie zeigt, dass die deutsche Nordseeküste nicht so sicher vor Tsunamis ist, wie bisher angenommen. Der Storegga-Tsunami vor rund 8000 Jahren hat möglicherweise deutliche Spuren in Nordfriesland hinterlassen und weite Küstenabschnitte überschwemmt. Diese Erkenntnisse könnten unser Verständnis der Tsunamigefährdung in dieser Region grundlegend verändern und sollten in zukünftigen Risikobewertungen berücksichtigt werden.

Originalveröffentlichung:

Vött, A.; Hadler, H.; Willershäuser, T.; Slabon, A.; Slabon, L.; Wahlen, H.; Fischer, P.; Bungenstock, F.; Röbke, B.R.; Frechen, M.; et al. Possible Indication of the Impact of the Storegga Slide Tsunami on the German North Sea Coast around 8150 cal BP. Geosciences 202414, 262. https://doi.org/10.3390/geosciences14100262