Erdbebenkrise auf Santorin verschärft sich: Eine Risikoeinordnung
Auf der griechischen Vulkaninsel Santorin hat die seit über eine Woche andauernde seimische Krise einen neuen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Erdbeben über Magnitude ereigneten sich in den letzten 24 Stunden und hinterließen kleinere Schäden sowie zahlreiche Erdrutsche auf dem felsigen Eiland. Viele Einwohner und Touristen versuchen, Santorin per Schiff und Flugzeug zu verlassen. Die Angst vor einem schweren Erdbeben oder sogar einem Vulkanausbruch ist groß. Doch bleibt es völlig unklar, was passieren wird. Eine Einordnung.
Rund 600 Erdbeben konnten griechische Behörden seit Beginn der seismischen Krise am 24. Januar lokalisieren. Die reale Anzahl der Erdbeben dürfte wohl bereits in die Hunderttausende gehen. Der Erdbebenschwarm, der nordöstlich von Santorin seinen Ursprung nahm, hat am Montag extreme Ausmaße angenommen. 21 mal bebte es (Stand 14 Uhr MEZ) seit Mitternacht mit Magnituden jenseits von 4.0. Zwei Beben erreichten Magnitude 5. Unterhalb von Magnitude 4 ist aufgrund der schieren Menge an Beben eine komplette Auswertung schon nicht mal mehr möglich. Dem Gutenberg-Richter-Gesetz entsprechend, wonach mit jeder Magnitude weniger sich die Erdbebenzahl innerhalb eines Schwarms verzehnfacht, müssten schon mehr als 2000 Erdbeben über Magnitude 2 aufgetreten sein. Innerhalb von 14 Stunden.

Da viele dieser Erschütterungen, wenn auch überwiegend schwach, auf Santorin zu spüren sind, ist die Angst unter den Einwohnern riesig. Alle Flüge und Fähren von der Insel weg sind ausgebucht, wie griechische Medien berichteten. Griechische Behörden haben Vorkehrungen für den Katastrophenfall eingeleitet. Es wird angenommen, dass der Erdbebenschwarm sich weiter steigern könnte und zu einem großen Erdbeben führt, das auf Santorin ernste Schäden anrichtet.
Sorge vor Erdbebenkatastrophe wie 1956
Die Erdbeben ereignen sich entlang einer Störungszone, die von Santorin aus nach Nordosten verläuft. Diese Störungszone war im Jahr 1956 Ausgangsort eines Erdbebens der Stärke 7.6, das auf den Dodekanes-Inseln schwere Schäden anrichtete und einen Tsunami auslöste, der auf der Insel Amorgos Wellenhöhen von mehr als 20 Metern erreichte. Ein solches Erdbeben hätte heutzutage in den touristisch erschlossenen Gebieten der Dodekanes-Inseln und an der Nordküste von Kreta katastrophale Auswirkungen.
Über die Wahrscheinlichkeit einer solchen Erdbebenkatastrophe gibt es aktuell sehr viele Spekulationen und widersprüchliche Meldungen. Efthymios Lekkas, Professor für Katastrophenschutz und Tektonik der Universität Athen, schloss in Interviews mit griechischen Medien aus, dass der aktuelle Erdbebenschwarm zu einem solch großen Erdbeben führt. Da sich seit 1956 noch nicht so viel Spannung entlang der Störung angesammelt habe, sei kein Erdbeben über Magnitude 6 möglich.
Akis Tselentis, Professor für Seismologie an der Universität Athen, kritisierte in einem Social Media Beitrag die Aussage von Lekkas sowie die generell Öffentlichkeitsarbeit der Behörden zu diesem Thema und warf ihm indirekt vor, im Sinne der Tourismusbranche Falschdarstellungen zu verbreiten. Tselentis schloss aufgrund der Dimensionen nicht aus, dass es zu einem schweren Erdbeben kommt und rief Anwohner und Touristen auf, sich auf den möglichen Fall eines solchen Bebens und folgenden Tsunamis vorzubereiten. Dabei wies er auf Probleme mit der Bausubstanz vieler Häuser auf Santorin hin. Auch einen mögliches Zusammenspiel mit möglicher vulkanischer Aktivität hielt er nicht für unmöglich.
Diplomatisch formulierte es auch Manolis Skordilis, Seismologie-Professor der Universität Thessaloniki, der deutlich machte, dass eine weitere Entwicklung des Erdbebenschwarms nicht absehbar sei und die Vergangenheit zeigte, dass auch katastrophale Entwicklungen im Bereich des Möglichen sind. Dabei betonte er, dass die Erdbeben tektonischen Ursprung seien und nicht mit vulkanischer Aktivität zusammenhingen.
Einordnung von Erdbebennews:
Grundsätzlich gilt: Erdbeben sind nicht vorhersehbar, auch nicht innerhalb einer Erdbebensequenz. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich ein solcher Erdbebenschwarm verhält und welche Maximalmagnituden erreicht werden. Modelle geben zwar einen Überblick darüber, was theoretisch möglich ist. Ob dieses in Realität aber auch eintrifft, ist nicht modellierbar. Durch das Erdbeben 1956 kennt man ein Worst Case Szenario. Und die Aussage von Professor Lekkas ist dahingehend korrekt, dass es normalerweise deutlich länger als 70 Jahre dauert, bis sich genug tektonische Spannung für ein neues Erdbeben dieser Art aufgebaut hat. ABER es gab auch schon Sonderfälle, wo mehrere große Erdbeben in sehr kurzer Zeit auftraten, weshalb das Ausschließen eines solchen Erdbebens fahrlässig ist.
Der aktuelle Erdbebenschwarm ist jedoch nicht mit 1956 vergleichbar. Damals war es ein einzelnes Hauptbeben, dem eine sehr intensive Nachbebenserie (u.a. ein M7.2) folgte. Aktuell ist es ein Erdbebenschwarm, der langsam begann und sich im Laufe weniger Tage kontinuierlich steigerte. Dabei zeigen sich nicht zur zunehmende Magnituden, sondern auch eine Verlagerung der Epizentren Richtung Nordosten, ein klarer Beleg dafür, dass große Mengen an Fluiden (Wasser und Gase) den Treiber der Erdbebenaktivität bilden. Diese Fluide haben horizontal bereits eine Distanz von rund fünf Kilometern zurückgelegt. Ortungen der Tiefe sind zu ungenau für vergleichende Aussagen. Fluide alleine reichen nicht, um sehr große Erdbeben auszulösen. Dazu benötigt es die angesprochene tektonische Spannung entlang der Störungszone.

Da wir es mit einem extremen Erdbebenschwarm aufgrund von Fluidbewegung zu tun haben, stellt sich auch die Frage nach einem vulkanischen Ursprung. Fluide haben, wenn sie in großen Mengen auftreten, oft eine magmatische Quelle. Ausgangspunkt des Schwarmes war der Unterwasservulkan Kolumbos, von wo sich die Erdbebenaktivität ausbreitete. Verstärkte hydrothermale Aktivität oder vielleicht sogar eine kleine Magmaintrusion könnten für die Freisetzung der Fluide verantwortlich sein. Eindeutige Hinweise darauf gibt es jedoch nicht. Fest steht: Die Erdbeben selbst gehen nicht auf Magmabewegungen zurück. Das schließt erhöhte vulkanische Aktivität und damit einen möglichen Vulkanausbruch in naher Zukunft aber nicht aus.
Zusammenfassung:
Die Lage auf Santorin ist beängstigend für Anwohner und Touristen und wird durch übliche Dramatisierung in Medien weiter verstärkt. Inkonsequente und ungeschickte Krisenkommunikation griechischer Behörden verstärkt den Effekt. Dabei ist es völlig unklar, wie sich die Situation weiter entwickeln wird. Das Risiko, dass der Erdbebenschwarm zu einem potentiell katastrophalen Erdbeben mit Tsunami führt, ist real aber nicht besonders hoch. Eine genaue Einschätzung ist nicht möglich. Aufgrund des hohen Gefahrenpotentials sind jedoch Vorkehrungsmaßnahmen dringend erforderlich. Auch um mögliche spätere vulkanische Risiken besser erfassen zu können. Die größte Gefahr geht aber definitiv von möglichen großen Erdbeben und ab etwa Magnitude 6.5 von Tsunamis aus.
Touristen, die innerhalb der nächsten Wochen eine Reise nach Santorin planen, sei hiermit dringend empfohlen, auf diese Reise zu verzichten.
2 thoughts on “Erdbebenkrise auf Santorin verschärft sich: Eine Risikoeinordnung”
Comments are closed.
Es müsste wohl im Text nicht statt „… zunehmende Magnituden, sondern auch eine Verlagerung der Epizentren Richtung Nordwesten, ein klarer Beleg…“ heißen: „…Richtung Nordosten…“, oder?
Ja, danke! Wird korrigiert