Magnitude 9.0 Campi Flegrei: Falschmeldung zur falschen Zeit

Jeder Mensch macht Fehler. Oft sind es kleine Fehler, aus denen man lernen kann, um größere Probleme zu vermeiden. Doch es gibt auch diese Fehler, die so unangenehm sind, dass man am liebsten in den nächsten Vulkan springen möchte. Beim italienischen Erdbebendienst INGV gibt es nun sicher die ein oder andere Person, für die dies nach einem verlockenden Ausweg klingt. Denn über die Erdbeben-Feeds des INGV ging am Montagabend eine Meldung, die sich absolut niemand wünscht: Ein vermeintliches Erdbeben der Magnitude 9.0 in den Campi Flegrei. In dem Vulkangebiet, das gerade den größten Erdbebenschwarm seit Jahrzehnten erlebt.

Quelle: Twitter / Lars Wienand

Die Meldung des Erdbebens verbreitete sich über Plattformen wie das EMSC und diverse Drittanbieter-Erdbebenapps automatisch binnen Sekunden an Millionen Nutzer weltweit. Viele erhielten aufgrund der App-Einstellungen sogar eine Push Benachrichtigung. So war das Übel in der Welt, obwohl das INGV selbst nur Sekunden brauchte, diesen Fehler zu korrigieren. Auch das EMSC zog blitzschnell hinterher und entfernte die Meldung. Doch viele andere Erdbebenapps sind nicht so schnell.

Wie kann man ein Erdbeben falsch detektieren?

Die meisten Erdbebendienste arbeiten mit einem automatischen System, das rund um die Uhr in Echtzeit die seismologischen Daten aller Stationen im Interessengebiet scannt. Findet dieses System an einer Station ein Signal, das ein Erdbebensignal sein könnte, setzt es hier einen sogenannten Pick. Tritt ein solches verdächtiges Signal an mehreren Stationen nah beieinander auf, werden überall Picks gesetzt und die Software fängt an, über die Zeiten der Picks zurückzurechnen, wo dieses vermeintliche Erdbeben stattgefunden hat und wie stark dieses war. Je mehr automatische Picks existieren, umso sicherer wird in der Regel die Berechnung.

Manche Erdbebendienste vertrauen so auf das automatische System, dass sie dessen Berechnungen direkt ungeprüft veröffentlichen und erst später korrigieren. Das birgt das Risiko für Fehler. Denn wie es der Zufall so will, kann es an mehreren Stationen zeitgleich zu falschen Signalen kommen, etwa Erschütterungen, die durch Industrie, umstürzende Bäume oder vorbeilaufende Tiere verursacht werden. Da das System nicht zweifelsfrei zwischen echten Erdbeben und sonstigen Signalen unterscheiden kann, wird in einem solchen Fall dennoch ein Epizentrum und eine Magnitude bestimmt. Je nachdem, wie stark die Störsignale sind und wie weit die Stationen auseinander liegen, kann es dabei auch zu Falschmeldungen von recht starken Beben kommen.

INGV prüft automatische Daten

Das INGV ist aber eigentlich kein Erdbebendienst, der ungeprüfte Daten lokaler Beben veröffentlicht und damit sehr zuverlässig. Beim INGV gibt es immer eine Person, die die automatischen Detektionen prüft und korrigiert, bevor sie an die Empfänger der Datenfeeds weitergeleitet werden. Hier muss also der kuriose Fall vorliegen, dass zum einen die Automatik einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat, und zum anderen der Mensch, der es überprüfen sollte, aus Versehen diese Daten freigegeben hat.

Tatsächlich gab es zur Zeit des vermeintlichen 9.0-Erdbebens wirklich ein Beben in den Campi Flegrei, mit Magnitude 0.9 aber um einiges schwächer. Das heißt, die Automatik hat wohl dieses Erdbeben gefunden und dessen Magnitude massiv überschätzt. Gründe dafür können zum Beispiel ein zeitgleicher technischer Defekt an einem Seismometer oder eine zeitgleiche (aus Sicht des Seismometers) extrem starke Erschütterung, z.B. ein Steinschlag direkt aufs Gerät gewesen sein. Das würde dafür sorgen, dass die gemessene Amplitute der Erschütterung an einer Station extrem hoch ist und so die Gesamtmagnitude, meist ein statistisches Mittel aus allen Stationsmagnituden, massiv hochgezogen wurde.

Auch wenn es hier nahe liegt: Ein Zahlendreher z.B. beim Abtippen der Magnitude kann eigentlich ausgeschlossen werden, da alle Daten ohne menschlichen Eingriff durch den Auswerteprozess geführt werden.

Technisches Problem UND menschlicher Fehler

Und dieses falsch eingeschätzte Erdbeben ging dann aufgrund von Unachtsamkeit oder Müdigkeit einer oder mehrerer Personen als manuell bestätigt durch. Nicht nur, dass hier ein extrem unwahrscheinlicher Fehler passiert ist.  Er kommt auch zur genau falschen Zeit. Die Campi Flegrei werden seit Tagen von einem massiven Erdbebenschwarm erschüttert. Es kommt fast im Minutentakt zu kleinen Erdbeben, mehrmals pro Stunde sind sie spürbar. In der vergangenen Nacht (16. / 17. Februar) erreichten zwei Beben die Magnitude 3.9, führten zu Gebäudeschäden und Wasserrohrbrüchen und trieben hunderte Anwohner aus ihren Häusern.

Es ist der dritte größere Erdbebenschwarm in drei Jahren und für Anwohner und die Weltöffentlichkeit wächst damit auch wieder die Sorge vor möglichen starken Erdbeben und vulkanischen Prozessen. Hinzu kommen die (von Campi Flegrei unabhängigen) vulkanisch-seismischen Krisen in Äthiopien und auf der griechischen Insel Santorin, durch die das Thema sowieso seit Wochen internationale Medienpräsenz erhalten hat. Eine Push-Benachrichtigung über ein katastrophales Magnitude 9 Erdbeben am Rand von Neapel trägt da natürlich nicht zur Entspannung bei.

Dennoch: Fehler passieren und das INGV hat perfekt reagiert, indem es den Fehler in Sekundenschnelle korrigiert hat. Der an eine solche Falschmeldung hängende Rattenschwanz kann aber nicht mehr vom INGV beseitigt werden. Da liegt es nun an den Betreibern von Erdbebenapps, die Daten des INGV beziehen, schnell zu handeln. Zudem sollte volle Transparenz, eine Erklärung des Fehlers von Seiten des INGV und der Datenverteiler, im Mittelpunkt stehen.

Update:
Das INGV hat bestätigt, dass der Fehler tatsächlich aufgrund eines Tippfehlers zustande kam. Bei der Versendung der Daten war eine manuelle Eingabe erforderlich, wodurch dieser Fehler möglich wurde.

12 thoughts on “Magnitude 9.0 Campi Flegrei: Falschmeldung zur falschen Zeit

  1. Auch ich habe diese Eilmeldung gestern um 18.46 Uhr erhalten und bin fast vom Stuhl gekippt. Ich arbeite als Reiseleiter, habe einen geophysikalischen Hintergrund und bin gerade in der Vorbereitung für Reisen in die Region. Das war ein echter Schock, wohlwissend was dies bedeutet hätte…10.000de Tote, möglicher Tsunami im gesamten Mittelmeerraum und ggf. eine getriggerte Eruption der Phlegräischen Felder, die Eruption auf die alle Warten + weitere Tsunamis durch eine potentielle Eruption.

    Als Reiseleiter stelle ich tatsächlich fest, dass es eine veränderte Wahrnehmung gibt. Wurde man vor Jahren noch verspottet, wird dies heute viel ernster genommen. Evakuierungs-Routen werden angelegt (auch auf Sizilien und den Äolischen Inseln), es gibt Evakuierungs-Szenarien und Übungen. Ja, letztes Jahr wurde ein Vertrag geschlossen mit einer Gemeinde in Latium, die sich nun darauf vorbereitet „Evakuierte“ in großen Zahlen aufnehmen zu können.

    Ob das ausreichen wird, ist natürlich fraglich. Ich kann nur hoffen, dass man rechtzeitig beginnt, um so viele wie möglich in Sicherheit zu bringen. Überzeugt davon bin ich allerdings nicht. Es bleibt spannend.

  2. Der Ausbruch wird passieren ist nur die Frage wann… Meine Befürchtungen ist dass wir es damit hunderttausenden von Toten zu tun haben werden.. weil es noch keine konkreten Evakuierungspläne gibt und die Vorwarnzeit nicht wirklich lange ist wenn überhaupt Vorwarn Zeit gibt.
    ich möchte nicht dort wohnen oder Urlaub machen ich wollte mir immer Neapel, Pompeii, Salerno und Paestum anschauen….. mal schauen ob ich da irgendwann noch Gelegenheit zu finde…

    1. Es gibt ziemlich detaillierte Evakuierungs- und Umsiedlungspläne für den Fall eines Vulkanausbruchs. Auch ist das Monitoring gut genug, dass Vorwarnzeit ermöglicht werden kann. Ob das reicht, um alle Menschen in der Gefahrenzone zu evakuieren, ist eine andere Frage. Aber eine sechsstellige Opferzahl ist nicht realistisch.

  3. Zum Glück nur eine Falschmeldung. Ich habe eine Pushnachricht erhalten. Tja dann saß ich erst sekundenlang geschockt im Bett und hab dann laut fluchend versucht herauszufinden, ob das wirklich stimmt.

    1. ging mir genauso, die Meldung 9.0 schockte mich, bis ich herausfand, dass es -glücklicherweise- Falschmeldung war.

  4. Ich greife jetzt mal vor und behaupte, dass bei einem Erdbeben der Magnitude 9 nicht nur weder Pozzouli weder Neapel nicht mehr stehen würde; die Energie würde vermutlich ausreichen, um im unter Wasser liegenden Gebiet der phlegräischen Felder einen Hangrutsch auszulösen, bei dem eine daraus resultierende Flutwelle große Küstengebiete überschwemmt. Also, würde die utopische Meldung stimmen, hätten wir jetzt viel größere Probleme.

    1. Ich habe auch eine Erdbeben App und habe eine Nachricht bekommen das eine Erdbeben von der stärke von 9 ausgelöst wurde sofort dachte ich an den Vulkan Campi weil ich das schon seit 1 Jahr beobachte zum Glück war das eine falsch Meldung.

  5. Wie gut, dass das eine Fehlmeldung war!

    Aber um mal ganz nerdig zu fragen:
    Mit welcher Magnitude wäre ein M.9-Beben bei Neapel eigentlich in Deutschland, sagen wir mal unmittelbar nördlich der Alpen und eher zentral (z.B. München, Frankfurt/M.) zu spüren gewesen?
    Das lässt sich doch berechnen. Oder?

  6. Wenn es ein Beben der Stärke 9.0 gewesen wäre, so wäre dies von der Dynamik automatisch mit einem katastrophalen Ausbruch sei es phreatischer oder plinianischer oder sogar plinianisch-phreatischer Natur im Zusammenhang einer Eruption der Stärke VEI 7,5 oder mehr geschehen. Dann wäre auch eine weitere Aufzeichnung unmöglich gewesen. Das wäre dann kein einfaches Erdbeben mehr sondern der zu erwartende Ausbruch eines Supervulkans gewesen. Dann stünde Europa vor massiven Herausforderungen. Abwarten und verifizieren sollte bei jeder APP und journalistischen Arbeit Grundregel sein. So kann schnell sonst Panik entstehen.

    1. Dass ist genau der Balance-Akt zwischen Geschwindigkeit der Meldung, wobei ich denken würde, dass dies Betroffenen auch nichts mehr helfen würde und gesicherten Informationen. Was mich persönlich interessieren würde, ob solch ein Ereignis eine automatische nationale oder gar europäische Notfallkette auslösen würde… vermute mal… leider nein. Das wichtigste in dem Moment wäre vermutlich nur noch eine Tsunami-Warnung…

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