Manuelle vs. automatische Erdbebenauswertung: Warum sich Magnitude, Ort und Tiefe unterscheiden

Kurzfassung

Automatisch = sehr schnell, aber vorläufig.
Manuell = langsamer, dafür verlässlicher.
Deshalb können sich Magnitude, Ort und Tiefe nachträglich ändern.

Was bedeutet „automatische Auswertung“?

Software erkennt nahezu in Echtzeit, dass mehrere Messstationen ein Signal registriert haben, ordnet Wellenphasen zu und berechnet daraus Herdzeit, Epizentrum, Tiefe und eine Magnitude. Das geschieht ohne menschliches Eingreifen und liefert in Minuten Informationen für Warnungen und erste Meldungen.

Automatik ist unverzichtbar – aber vorläufig: Sie berücksichtigt lokale Besonderheiten nur eingeschränkt, kann Störsignale fehlinterpretieren und arbeitet mit dem, was in den ersten Minuten an Daten vorliegt.

Wie läuft die manuelle Auswertung?

Seismologinnen und Seismologen prüfen die Aufzeichnungen im Detail: Sie korrigieren Ankunftszeiten der Erdbebenwellen (P/S-Picks), schließen Störsignale (z. B. Sprengungen) aus, fügen weitere Stationen hinzu und passen Geschwindigkeitsmodelle an. Dabei wird häufig:

  • die Magnitude neu berechnet (mehr/bessere Daten, keine falschen Daten, lokal angepasste Skala),
  • die Tiefe präziser,
  • der Ort leicht versetzt (genauere Daten, bessere Abdeckung)

Unterschiede auf einen Blick

Kriterium Automatisch Manuell
Geschwindigkeit Minuten Stunden bis Tage
Datenbasis Frühe, teils unvollständige und fehlerhafte Daten Vollständige, qualitätsgeprüfte Daten
Ort/Tiefe Grobe Einschätzung, für Erstinfo meist ausreichend Präziser durch bessere Picks/Modelle
Magnitude Erstschätzung Neu berechnet, ggf. andere Skala
Falschdetektionen Können durchrutschen Erkannt/ausgeschlossen

Warum weichen Angaben ab? 10 typische Gründe

  1. Verschiedene Magnitudenskalen: ML (Lokal), Mw (Moment), mb, Ms – jede misst etwas anderes und wird für andere Werte verwendet; Werte sind nicht 1:1 vergleichbar.
  2. Unterschiedliche Stationenauswahl: Netzwerke haben andere Geometrien/Abstände; nahe Stationen prägen Ergebnisse stark, werden von der Automatik aber manchmal „übersehen.
  3. Phase-Picks: Automatisch vs. manuell gesetzte Ankunftszeiten verändern Ort/Tiefe der Ortung und damit die Magnitude.
  4. Geschwindigkeitsmodelle: Regional angepasste Modelle liefern oft bessere Tiefen als generische.
  5. Datenqualität: Gesättigte oder verrauschte Stationen verzerren Amplituden. Diese Störsignale werden bei der manuellen Kontrolle entfernt → Magnitude ändert sich nach Korrektur.
  6. Filter & Fensterung: Unterschiedliche Frequenzbänder bei der manuellen Auswertung können das Erdbeben einfacher erkennbar machen, womit die Ortung genauer wird
  7. Event-Typ: Sprengungen können automatisch als „Beben“ auftauchen und werden manuell reklassifiziert und aus Erdbebenlisten entfernt.
  8. Fixwerte: Tiefe wird in Automatiklösungen teils auf 5, 10 oder 20 km fixiert; dies soll extreme Falschortungen verhindern. Manuell wird sie korrekt geortet
  9. Nachträgliche Daten: Nicht alle Erdbebenmessstationen senden in Echtzeit. Später eintreffende Stationsdaten verbessern die Lösung – Werte ändern sich.
  10. Rundung & Darstellung: Unterschiedliche Rundungsregeln erzeugen sichtbare, aber unkritische Differenzen.

Was bedeutet das für Leserinnen und Leser von Erdbebennews?

  • Automatische Ortungen machen wir als solche kenntlich. Werte können sich nach manueller Überprüfung ändern – das ist völlig normal. Auch größere Änderungen sind möglich. Erdbebennews überprüft alle automatischen Ortungen vor der Veröffentlichung auf dieser Website auf Plausibilität. Aber eine präzise Fehlerabschätzung können nur die jeweils zuständigen Erdbebendienste durchführen.
  • Lokale Netzwerke sind oft genauer bei kleinen/regionalen Ereignissen; globale Dienste sind unschlagbar schnell und bei großen Erdbeben auch in der Automatik recht zuverlässig. Für kleinere Erdbeben (Magnitude 5 oder weniger) können jedoch durch verwendete globale Standards größere Unsicherheiten entstehen.
  • Vergleiche nur Gleiches mit Gleichem: Achte auf die angegebene Quelle und verwendete Magnitudenskala und ob es sich um eine automatische oder manuelle Lösung handelt. Bei lokalen Quellen und lokalen Erdbebendiensten wird in der Regel die Lokalmagnitude ML verwendet. Auch regional angepasse Formen wie Mj (in Japan) sind gängig. Diese sind ähnlich zur bekannten, aber nur noch selten genutzten Richter-Skala, welche quasi die regionale Lokalmagnitude für Südkalifornien darstellt. Internationale Erdbebendienste arbeiten in der Automatik in der Regel mit mb, korrigieren später meist auf Mw.

Unser Vorgehen auf Erdbebennews

Wir berichten zunächst mit den verfügbaren automatischen Angaben, kennzeichnen sie als vorläufig und aktualisieren den Beitrag, sobald manuelle Lösungen vorliegen. Wo möglich, bevorzugen wir regionale Auswertungen (z. B. Landes-/Uninetzwerke) bei kleinen, lokalen Ereignissen – und ergänzen internationale Kataloge bei größeren oder weiter entfernten Beben. Oft gibt es zwischen den kleinen, lokalen und großen, internationalen Netze erhebliche Unterschiede bei der Magnitude. Entsprechend können die Erdbebennews-Meldungen von den Daten großer Erdbebendienste wie EMSC, USGS oder GFZ abweichen. Sofern nicht anders gekennzeichnet sind unsere Magnitudenangaben ML (bei kleineren Erdbeben) oder Mw (bei größeren Erdbeben).

Häufige Fragen (FAQ)

Warum hat sich die Magnitude später geändert?

Mit mehr Stationen, besserer Erkennung der Ersteinsätze der Erdbebenwellen und ggf. einer anderen Magnitudenskala wird die Magnitude neu berechnet. Zudem werden Störsignale, die automatische Bestimmungen beeinflusst haben können, bei der manuellen Überprüfung entfernt. Abweichungen von 0,1–0,3 sind bei kleinen Beben häufig.

Was bedeutet „vorläufige Auswertung“?

Automatisch von einer Software ermittelt, noch nicht manuell überprüft. Angaben können sich nachträglich ändern.

Welche Angabe ist „die richtige“?

Die manuelle Lösung des zuständigen regionalen Netzwerks ist in der Regel die verlässlichste Quelle für Ort/Tiefe/Magnitude eines lokalen Ereignisses. Automatische Ortungen können sehr präzise sein, sind aber meist nicht so zuverlässig wie die menschliche Überprüfung. Bei unterschiedlichen Erdbebendaten von unterschiedlichen Erdbebendiensten ist in der Regel die des örtlichen Erdbebendienstes die beste Quelle. „Richtig“ ist jedoch keine Lösung, da jede Erdbebenortung, ob automatisch oder manuell, prozessbedingten Unsicherheiten unterliegt. Diese Fehler gibt es immer. Daher können zwei benachbarte Erdbebendienste bei einem Erdbeben im Grenzbereich unterschiedliche Lösungen haben.

Warum nennen verschiedene Dienste unterschiedliche Orte?

Weil andere Stationen, Modelle und Rundungen genutzt werden. Der Unterschied sind meist wenige Kilometer und fachlich unkritisch.

Wie lange dauert eine manuelle Auswertung?

Jeder Erdbebendienst hat gewissse Vorgaben, welche Erdbeben in welcher Zeit manuell ausgewertet und an Behörden gemeldet werden müssen. Bei Beben unterhal diesser Meldeschwelle kann die Auswertung je nach Verfügbarkeit der Seismologen mehrere Tage dauern. Große, bedeutende Erdbeben oberhalb der Meldeschwelle sollten „so schnell wie möglich“ ausgewertet werden. Was dies genau bedeutet, ist situationsabhängig. Der reine Auswerteprozesss dauert ca. 10 Minuten.