Erdbebenvorhersage

Die Suche nach einer verlässlichen Methode, um Zeitpunkt, Ort und Stärke eines Erdbebens verlässlich vorherzusagen, beschäftigt Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten. Leider ohne Erfolg. Geologische Prozesse, die für die Entstehung eines Erdbebens ursächlich sind, bleiben bis heute weder genau mess- oder modellierbar, sodass eine exakte Prognose unmöglich ist. Dennoch gibt es viele Menschen, die von sich behaupten, eine Methode zur Erdbebenvorhersage entdeckt zu haben.

Besonders nach dem großen Erdbeben in der Türkei Anfang 2023 machte ein vermeintlicher Wissenschaftler auf sich aufmerksam, der angeblich das Erdbeben (und später angeblich auch das tödliche Erdbeben in Marokko) vorhergesagt hat. Viele internationale Medien haben ihm daraufhin viel Aufmerksam geschenkt. In Pakistan führte Anfang Oktober eine seine Vorhersagen, die in den Medien verbreitet wurde, zu Panik. Ein wenig später folgendes, katastrophales Erdbeben in Afghanistan wurde als „erfolgeiche Vorhersage“ deklariert.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind für eine „erfolgreiche“ Erdbebenvorhersage jedoch eben diese drei Dinge, Ort, Zeit und Stärke, erforderlich. Nur so ist es möglich, Menschen auch gezielt zu warnen und Schutzmaßnahmen zu treffen. Bei Menschen, die von sich selbst behaupten, Erdbeben vorhersagen zu können, fehlt diese Präzision.

Nur präzise Erdbebenvorhersagen haben einen Wert

Kein Wunder, denn die zugrunde liegende „Wissenschaft“ von vermeintlichen Vorhersagemethoden ist in der Regel aus wissenschaftlicher Sicht haltlos oder inzwischen komplett widerlegt. So ist es nachgewiesen, dass zum Beispiel astronomische Konstellationen keinen messbaren Einfluss auf die Erdbebenaktivität haben, womit die Theorie des genannten Scharlatans Frank Hoogerbeets nutzlos ist.

Dass es aber dennoch, bei egal welcher Methode zur Vorhersage, immer wieder zu kleinen Erfolgen kommt, ist aber nicht nur dem Zufall geschuldet. Vorhersager nutzen in der Regel geschickte Manipulationen, um ihre Erfolgschancen zu erhöhen. So wird selten nur für ein spezifisches Gebiet, sondern oft für eine gesamte Region (z.B. Südasien) gewarnt. Auch werden Zeitraum und Magnitude variabel gehalten. Und natürlich erhöht auch die Anzahl der Vorhersagen selbst die Anzahl der Erfolge.

Um die Effekte dieser Manipulationstaktik zu zeigen, haben wir folgendes Tool entwickelt. Hier könnt ihr euch die Wahrscheinlichkeit für ein Erdbeben bestimmter Stärke in einem bestimmten Zeitraum und einer bestimmten Region anzeigen lassen. Eine Erdbebenvorhersage, die nicht auf pseudowissenschaftlichen Methoden basiert, sondern rein auf Statistik. Denn wenn man weiß, wie oft Erdbeben in einer bestimmten Region auftreten, kann man abschätzen, wie wahrscheinlich ein weiteres Erdbeben dort in einem bestimmten Zeitraum ist.

Statistik kann helfen, Trefferquote zu erhöhen

Zum Zwecke der Frühwarnung ist diese Methode natürlich nicht geeignet. Aber sie zeigt, wie durch geschickte Auswahl von Regionen und Zeiträumen die Trefferquote von unfundierten (oder auch: geratenen) Erdbebenvorhersagen maximiert werden kann. Würde man zum Beispiel für Pakistan und Afghanistan vor einem Erdbeben der Stärke 5 innerhalb der nächsten 30 Tage warnen, läge die Trefferquote bei ziemlich hohen 26%.

Gleichzeitig bietet dieses Tool noch einen netten Effekt für Reisende: So könnt ihr schauen, wie wahrscheinlich es ist, im Urlaub an einem bestimmten Ort von einem Erdbeben überrascht zu werden. So besteht während eines einwöchigen Urlaubs auf Kreta eine durchschnittliche Wahrscheinlichkeit von 7%, ein Erdbeben der Stärke 4 zu erleben.

Erdbebenwahrscheinlichkeit für jeden Ort berechnen





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Wie funktioniert diese Berechnung?

Zugrunde liegen zwei Faktoren: Die langfristige Erdbebenaktivität der letzten Jahrzehnte sowie die aktuellen Erdbeben. Aus den langfristigen Daten seit 1960 wird ermittelt, wie groß die durchschnittliche Wiederkehrperiode eines Erdbebens der jeweiligen Stärke ist. Zum Beispiel: Gab es in der ausgewählten Region seit 1960 60 Erdbeben der Stärke 5, liegt die Wiederkehrperiode solcher Erdbeben bei ungefähr einem Jahr. Im nächsten Schritt wird eine Poisson-Verteilung angenommen, sodass über die erwartete Wiederkehrperiode auf den gewählten Zeitraum die Eintreffwahrscheinlichkeit hinuntergerechnet werden kann.

Zudem berücksichtigt das Modell Nachbebenaktivität. Kommt es in einer Region zu einem großen Erdbeben, zum Beispiel mit Magnitude 7, ist es sehr wahrscheinlich, dass es in den Folgewochen kräftige Nachbeben gibt. Hier greifen wir auf das Reasenberg-Jones Modell zurück, dass die erwartete Anzahl von Nachbeben bestimmter Stärke in einem bestimmten Zeitraum beschreibt. Dabei greift unser Modell zunächst auf generische Werte zurück. Eine Anpassung der Werte an jeden spezifischen Fall anhand von Echtzeitdaten mithilfe des Nelder-Mead-Verfahrens ist in Planung.

Welche Unsicherheiten gibt es?

Natürlich liefern beide Berechnungen keine exakt präzisen Daten. Viele Unsicherheiten, zum Beispiel unvollständige Erdbebenkataloge, unregelmäßige Erdbebenereignisse und auch variable Nachbebenserien, können nicht beseitigt werden. Daher soll das Ergebnis lediglich als Orientierung dienen, wie hoch das Erdbebenrisiko generell und verstärkt durch aktuelle Ereignisse momentan ist.