Fünf Sekunden, die Menschenleben retten. Mehrere Länder setzen bereits seit Jahren auf Erdbebenfrühwarnungen, um Teile ihrer Bevölkerung nötige Zeit zu verschaffen, um sich in Sicherheit zu bringen. Seit zwei Jahren verfolgt auch Google das Ziel, ein Frühwarnsystem aufzubauen. Statt hochmoderner Messgeräte kommen dabei Smartphones zum Einsatz. Was in den letzten Monaten bereits in einigen Ländern erfolgreich funktioniert hat, wird nun auch auf deutschen Android-Geräten verfügbar sein. Doch werden nicht alle Nutzer gleichermaßen davon profitieren können.
Bereits im Frühjahr wurden zahlreiche Android-Nutzer auf dem Balkan von einer Erdbebenwarnung überrascht, die nach einem Beben der Stärke 5.7 in Bosnien ausgespielt wurde. Zuvor gab es keine Ankündigung, dass das 2020 in Kalifornien gestartete Erdbebenfrühwarnsystem nun auch in Europa aktiv ist. Entsprechend verpuffte der Nutzen der Frühwarnung, weil Menschen nicht wussten, wie sie auf die Ankündigung reagieren sollte. Dennoch zeigte dieser unerwartete Testlauf, dass das System funktioniert. Nun hat Google in einer Pressemitteilung für die laufende Woche eine Ausweitung auf Mitteleuropa angekündigt. Auch Android-Smartphones in Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen künftig ihre Besitzer vor potentiell gefährlichen Erdbeben warnen.
Wie funktionieren Erdbebenfrühwarnungen?
In jedem Smartphone befindet sich ein Beschleunigungssensor. Dieser registriert jede Bewegung des Smartphones und kann sie zu verschiedenen Zwecken auswerten, unter anderem auch Erdbeben erkennen. Registrieren mehrere Smartphones, die sich in der gleichen Region befinden, zeitgleich ein Erdbeben, kann Google über ein zentrales Rechensystem diese Signale auswerten und über Standortdaten Stärke und Epizentrum des Erdbebens ermitteln. Nutzer in näheren Umgebung erhalten dann binnen Sekunden eine Benachrichtigung, in der Stärke, Epizentrum und erwartete Ankunftszeit der Erdbebenwellen mitgeteilt werden. In der Theorie sollen so einige Sekunden Vorwarnzeit gegeben sein, in der Nutzer zum Beispiel unter einem Tisch Schutz suchen können.
Je stärker ein Erdbeben ist, umso größer ist das Gebiet, in dem potentielle Schäden auftreten können. Länder wie Japan, Mexiko und China, die über ein staatliches Frühwarnsystem verfügen, wollen damit vor allem ihre Millionenstädte vor Erdbeben schützen, die in größerer Distanz auftreten. Erdbebenwellen breiten sich mit mehreren Kilometern pro Sekunde aus. Städte, die 100 Kilometer vom Epizentrum entfernt liegen, können also auf bis zu 15 Sekunden Vorwarnzeit setzen. Ähnliche Dimensionen hat auch Googles Warnsystem.
Siehe auch: „Magnitude 5.5 bis 7.8: Diese Erdbebenkatastrophen drohen in Deutschland„
Welche Regionen in Deutschland würden von einer Erdbebenwarnung profitieren?
Zwar sind große Erdbeben mit Schadensfolge in Deutschland selten, doch hat erst am Samstag das Erdbeben in Hechingen gezeigt, dass größere Erdbeben mit weitreichenden Auswirkungen auch hierzulande möglich sind. Menschen in Stuttgart zum Beispiel hätten bei diesem Erdbeben mehrere Sekunden im Voraus eine entsprechende Warnung erhalten können. Wirklich wichtig würden Warnungen erst werden, wenn Menschenleben potentiell gefährdet sind. Solche Erdbeben kommen in Deutschland durchschnittlich zweimal pro Jahrhundert vor. Vor allem die Schwäbische Alb, Regionen entlang von Rhein und Bodensee sowie der Raum Leipzig ist davon bedroht. Von Warnungen profitieren würden aber nicht alle.
Ereignet sich ein derartiges Erdbeben mit Magnitude 6.5 oder höher am Niederrhein, zum Beispiel im Raum Düren, wäre für Düren selbst keine Vorwarnzeit gegeben. Doch kann ein solches Erdbeben auch in größerer Distanz, zum Beispiel in Köln, Düsseldorf und das Ruhrgebiet, noch erhebliche Schäden anrichten. Menschen dort hätten mehrere Sekunden Zeit, Schutz zu suchen. Wie lange die Vorwarnzeit ist, hängt von der genauen Distanz zum Epizentrum ab. Je näher man dran ist, umso weniger Zeit ist gegeben. Allerdings nimmt mit zunehmender Distanz auch die Intensität des Erdbebens ab. Bei Entfernungen von über 100 Kilometern wäre eine Frühwarnung höchstens sinnvoll, um durch frühzeitige Information Panik zu vermeiden.
Nach den vielen #Erdbeben im #Zollernalbkreis der letzten Monate mal ein kleines Szenario: Was wäre, wenn sich ein Erdbeben wie 1911 (Magnitude 6.1) an gleicher Stelle wie heute in #Hechingen ereignet? Grob zusammengefasst: Die meisten Menschen in Mitteleuropa hätten was davon pic.twitter.com/pOiDL6EYVe
— Jens Skapski (@JensSkapski) July 9, 2022
Neben den Städten am Niederrhein, die je nach Lage des Epizentrums Vorwarnzeit hätten, könnten auch Orte am Oberrhein profitieren, wo ebenfalls weitreichende Schäden möglich sind. Stuttgart, zusätzlich bedroht durch die Albstadt-Scherzone im Süden, würde in allen Fällen Frühwarnungen erhalten. Auch der Süden Bayerns, wo schwere Erdbeben in den Alpen in der Vergangenheit Schäden verursacht haben, wäre Profiteur. Orte wie der Zollernalbkreis oder das Vogtland, die in unmittelbarer Nähe zur Erdbebenquelle liegen, würden bei einem großen Erdbeben in ihrer Region keine Vorwarnzeit haben.
Reicht eine Frühwarnung, um Menschenleben zu retten?
Beim Erdbeben in Bosnien hat man gesehen, dass viele Menschen auf die Warnung vor allem verwundert reagiert haben. Kaum einer hat realisiert, dass ein potentiell gefährliches Erdbeben in den nächsten Sekunden ankommt. Deutschland, ein Land, in dem Gefahren und Risiken seit Jahrzehnten systematisch ignoriert werden, dürfte ein ähnliches Szenario drohen. Nicht nur, dass viele Menschen noch immer nicht wissen, dass hierzulande gefährliche Erdbeben möglich sind. Es würde vor allem daran scheitern, dass durch fehlendes Wissen, fehlende Übung und vor allem fehlende Kommunikation kaum jemand in der Lage wäre, sich richtig zu verhalten.
Warnsysteme wie in Japan basieren darauf, dass Menschen etwas mit den Warnungen anfangen können. In Deutschland sind viele Menschen aber schon mit Unwetterwarnungen überfordert. Eine erstmalige Erdbebenfrühwarnung würde also in den meisten Fällen wirkungslos bleiben. Im schlimmsten Fall könnten Menschen in Panik geraten, weil sie die mit der Warnung versendeten Infos nicht einordnen können.
Dennoch kann mit dem vorhandenen und vor allem kostenlosen System, ein erster Schritt getan werden, um die Bevölkerung gefährdeter Regionen für Erdbeben zu sensibilisieren. Auch lokale Behörden können diese Möglichkeit nutzen, um präventiv Infomaterial zu verteilen und Katastrophenpläne an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Android-Erdbebenfrühwarnung kann also durchaus eine Chance sein, Menschenleben zu retten. Doch um diese tatsächlich zu nutzen, ist zusätzliche Arbeit notwendig.
Wie kann ich Erdbebenwarnungen auf meinem Android-Gerät erhalten?
Mit dem nächsten Systemupdate sollte die Funktion auf jedem Android-Gerät im deutschsprachigen Raum installiert und aktiviert sein. Wie Layout und Warnung am Ende tatsächlich aussehen und vor welchen Erdbeben Google warnt, wird man beim ersten Einsatz sehen. Die Einstellungen für die Erdbebenfrühwarnungen befinden sich unter „Einstellungen – Sicherheit und Notfälle“. Dort besteht die Möglichkeit, die standardmäßig aktivierte Funktion (Standortaktivierung vorausgesetzt) auszuschalten.
One thought on “Google aktiviert Erdbebenfrühwarnungen in Deutschland”
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so lange nicht die Menschen für derartige Nachrichten sensibilisiert sind und das Mobiltelefon nur zum Spielen (Zocken), oder Umhersurfen benutzen bleibt ein Erfolg ohnehin aus. Ach, ja: man/frau soll ja auch damit telefonieren können!