Die Kölner Bucht gehört als Teil des Niederrheingrabens zu den seismisch aktivsten Regionen Mitteleuropas. Durch paläoseismologische Studien ist bereits nachgewiesen worden, dass es in der Vergangenheit in der heute dicht besiedelten Region zu schweren Erdbeben über Magnitude 6, teils über Magnitude 7 gekommen ist. Besonders von einem solchen Erdbeben betroffen sein könnte die Millionenstadt Köln. Eine neue Studie des Geoforschungszentrums Potsdam hat nun eines Szenario eines solchen Erdbebens erstellt und die möglichen Auswirkungen berechnet.

Ausgangspunkt des Szenarios ist der Erftsprung westlich von Köln. Diese Störung gehört zu den größten am Niederrhein und verläuft vom Tagebau Garzweiler im Norden bis nach Meckenheim im Süden und hat eine Gesamtlänge von rund 50 Kilometern. In historischer Zeit kam es hier zu zahlreichen kleineren Erdbeben. Ein großes Beben über Magnitude 6 ist aus den Aufzeichnungen jedoch nicht bekannt. Anhand der paläoseismologischen und geologischen Daten ist zu erwarten, dass Beben bis Stärke 7.1 an dieser Störung möglich sind, wenn auch mit einer durchschnittlichen Wiederkehrzeit von mehreren Zehntausend Jahren.
In der Studie unter der Leitung von Marco Pilz wurde ein schwächeres und entsprechend häufigeres Erdbeben simuliert: Magnitude 6.5 am Erftsprung auf Höhe der Kölner Innenstadt, nur rund 15 Kilometer vom Kölner Dom entfernt. In der gesamten Niederrheinregion kommen solche Beben im Durchschnitt alle 500 bis 3000 Jahre vor. Aus historischer Zeit (die letzten ca. 1200 Jahre) ist keines solcher Beben bekannt.

Um die Auswirkungen eines solchen Erdbebens realistisch zu simulieren, wurde zunächst anhand der geologischen und geophysikalischen Daten die Intensität eines solchen Erdbebens im Kölner Stadtgebiet berechnet. Im Mittel ergibt sich für das östliche Stadtgebiet und die Innenstadt Intensität VII auf der EMS-98 Skala, Intensität VIII für den Südwesten von Köln. Eine ähnlich hohe Intensität ist in weiten Teilen des südlichen Niederrhein-Gebietes zu erwarten, einschließlich Teilen von Düsseldorf und Bonn.

Berechnete Intensität (EMS-98) bei einem schweren Erdbeben am Erftsprung im Regierungsbezirk Köln, Pilz et al. 2020. Der bereich sehr hoher Intensität nordwestlich des Epizentrums ist eine Falschberechnung aufgrund der künstlich veränderten Topographie am Braunkohletagebau Garzweiler.

Zur Ermittlung der wahrscheinlichen Gebäudeschäden wurde im nächsten Schritt auf die Gebäudedatenbank zurückgegriffen, um für jeden Kölner Ortsteil die Häufigkeit verschiedener Gebäudetypen zu schätzen. So kann für jeden Gebäudetyp anhand der zuvor berechneten Intensität die Wahrscheinlichkeit von Schäden eines bestimmten Schweregrades (z.B. nicht-strukturelle Schäden, strukturelle Schäden und Einstürze) berechnet werden.
Im Mittel ergibt sich so eine wahrscheinliche Gesamtanzahl von 75.000 Gebäuden im Kölner Stadtgebiet, die bei dem berechneten Erdbeben Schäden erleiden könnten, davon 6000 mit strukturellen Schäden oder kompletter Zerstörung.
Besonders hoch ist die Wahrscheinlichkeit auf größere, strukturelle Schäden demnach im Stadtzentrum, in Lindenthal, Lövenich, Ehrenfeld, Nippes und Chorweiler mit insgesamt 6000 Gebäuden mit 20%+ Wahrscheinlichkeit. Bei etwa 800 Gebäuden, überwiegend am Rand der Innenstadt, ist mit 5% Wahrscheinlichkeit komplette Zerstörung zu erwarten.

Komplett sicher ist bei einem solchen Erdbeben nichts: Fast jedes Kölner Gebäude hat eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 10%, zumindest leichte Schäden zu erleiden.

Wahrscheinlichkeit von Schäden infolge des simulierten Erdbebens für jedes Gebäude im Kölner Stadtgebiet, Pilz et al. 2020

Ob und zu wie vielen Todesopfern ein Erdbeben führt, hängt neben den Gebäudeschäden (der Hauptursache tödlicher Verletzungen) auch stark von der Uhrzeit ab und auch davon, welche Gebäude welche Schäden erleiden. Es gab Erdbeben, zum Beispiel das Christchurch-Erdbeben 2011, bei denen ein einzelnes eingestürztes Gebäude ursächlich für hunderte Todesfälle ist. Entsprechend ist auch die Ermittlung der wahrscheinlichen Opferzahl mit großer Unsicherheit verbunden.
Als Grundlage für die Berechnung in der Studie von Pilz et al. wurde die Bevölkerungsdichte sowie die Todesrate bei berechneter Intensität in vergleichbaren Ländern genommen – für Deutschland liegen aufgrund fehlender tödlicher Erdbeben in moderner Zeit keine Vergleichswerte vor. Auch andere Städte des Regierungsbezirks Köln mit einer Gesamtbevölkerung von über 4 Millionen wurden hierbei berücksichtigt. Als Ereigniszeit wurde ein Montagmorgen in Mai gewählt, der wahrscheinliche Worst Case.

Daraus ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 60%, dass es zu 100 bis 1000 Todesfällen kommt. Mit mehr als 10% Wahrscheinlichkeit sind auch über 1000 Todesopfer möglich. Weniger als 10 Opfer sind hingegen nahezu auszuschließen.

Mittlere berechnete Opferzahl beim simulierten Erdbeben in jeder Gemeinde des Regierungsbezirks Köln, Pilz et al. 2020

Ein Erdbeben der Stärke 6.5 am Erftsprung könnte also gemäß den Ergebnissen der Studie nicht nur zehntausende Gebäude teils erheblich beschädigen, sondern auch eine hohe Opferzahl fordern und eine der tödlichsten Naturkatastrophen der jüngeren deutschen Geschichte werden.
Viele Faktoren beeinflussen die tatsächlichen Auswirkungen eines solchen Erdbebens: Die Tageszeit, die Anzahl der Personen in (gefährdeten) Gebäuden, mögliche Vorbeben, aber auch vor allem das Bewusstsein der Gefahr in der Bevölkerung. Die Autoren empfehlen daher, das Bewusstsein der Bevölkerung und der Politik für eine solche Katastrophe zu stärken, um durch bauliche Veränderungen und dem Üben von Verhaltensweisen die Verluste zu reduzieren. Zudem sollen genauere Szenarien für kritische Infrastruktur entwickelt werden, da diese in der aktuellen Arbeit nicht optimal berücksichtigt wurden.

Es ist nicht möglich, den Zeitpunkt eines solchen Erdbebens vorherzusagen. Das in der Studie behandelte theoretische Erdbeben wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit irgendwann in naher oder nicht allzu ferner Zukunft eintreffen. Es ist aber definitiv nicht das einzige mögliche Szenario für ein schweres und zerstörerisches Erdbeben in Deutschland.

Originalveröffentlichung:

Marco Pilz, Cecilia Nievas, Karsten Prehn, Hoby Razafindrakoto, Danijel Schorlemmer, Graeme Weatherill (2020), Seismic risk analysis in Germany: an example from the Lower Rhine Embayment. Final report. Scientific Technical Report STR 20/02, Potsdam: GFZ German Research Centre for Geosciences.
DOI: https://doi.org/10.2312/GFZ.b103-20026

 

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes wurde die wahrscheinliche Gesamtanzahl beschädigter Gebäude mit etwa 46.000 angegeben. Dies ist jedoch lediglich die Zahl der Gebäude mit erwarteten geringen Schäden. Die Zahl aller beschädigten Gebäude liegt bei 75.000.