Nach Borkenkäfern und Waldbränden nun Erdbeben im Harz? Mit seismischer Aktivität verbindet man den Brocken und seine Nachbarn normalerweise nicht. Doch in einigen Erdbebenlisten tauchen Elbingerode und Clausthal-Zellerfeld besonders in letzter Zeit regelmäßig auf, manchmal täglich, manchmal sogar mit Magnituden an die 3. Andere Erdbebendienste schweigen – vermeintlich. Was es mit diesen Ereignissen auf sich hat und warum der Harz vielleicht doch nicht so erdbebenfrei ist.

Erdbeben im Harz
Grafik 1: Spürbare Erdbeben im Harzumfeld seit 800 n. Chr. Auszug aus dem deutschen Erdbebenkatalog (Leydecker), modifiziert durch Erdbebennews. Den Großteil der Erdbeben machen induzierte Beben in den Kalibergwerken südlich und östlich des Harz aus. Auch die Erdbeben bei Quedlinburg und Clausthal-Zellerfeld Anfang des 20. Jahrhunderts wurden durch Bergbau ausgelöst.

Wirft man einen Blick in den deutschen Erdbebenkatalog, fällt der Harz selbst vor allem durch Leere auf. Während südlich angrenzend durch den Kalibergbau immer wieder teils auch spürbare Erdbeben registriert werden, ebenso zu DDR-Zeiten in angrenzenden Gebieten Sachsen-Anhalts, sind der Harz selbst und angrenzende Gebiete Niedersachsens weitestgehend bebenfrei. Ausnahme bilden zwei wahrscheinlich durch frühen Bergbau induzierte Erdbeben 1908 in Quedlinburg und 1912 in Clausthal-Zellerfeld. Von instrumentellen Erdbeben oder gar Erdbeben der letzten Jahre keine Spur. Man sollte also eigentlich nicht erwarten, dass sich in den letzten Wochen groß was geändert hat.

Automatische Registrierung von Erdbeben im Harz

Erdbeben im Harz? Nutzer auf Telegram wittern eine Verschwörung
Grafik 2: Erdbeben im Harz? Nutzer auf Telegram verbreiten ungeprüfte Daten vermeintlicher Erdbeben im Harz mit ihren eigenen „Interpretationen“ von „Säuberungen“. Screenshot vom 7. September 2022.

Und doch machen Beiträge in Sozialen Netzwerken die Runde, die eine Häufung von Erdbeben im Harz sehen. Angehängt an diesem Beitrag (Siehe Grafik 2) ist eine vermeintliche Karte, auf der zahlreiche rote Kreise (die typische Darstellung von Erdbeben in vielen Karten, auch bei uns) im Harz zu sehen sind. Quelle dieser Karte ist eine Erdbebenapp, die keine eigenen Erdbebenregistrierungen durchführt, sondern Daten ungeprüft und automatisch von echten Erdbebendiensten kopiert. Korrekturen fließen in diesen Datenfeed nicht automatisch ein.

So werden in dieser Karte automatische Registrierungen verschiedener Erdbebendienste gesammelt, unabhängig davon, ob der jeweilige Erdbebendienst diese Detektion bestätigt oder verwirft. Letzteres passiert sehr häufig. Software, die automatisch Erdbeben registrieren soll, kann nur schlecht zwischen echten Beben und menschengemachten Erschütterungen unterscheiden. Egal, was die eigentliche Ursache ist: Das seismische Ereignis wird grob lokalisiert und veröffentlicht. Später ist es die Aufgabe von Seismologen, die echten Ereignisse herauszufiltern und durch manuelle Überprüfung Magnitude und Epizentrum exakter zu bestimmen. Alles, was kein Erdbeben ist, wird verworfen.

Und dieses „kein Erdbeben“ ist in Deutschland häufig. Seismische Ereignisse, die physikalisch erdbebenähnlich aber eben kein Erdbeben sind, umfassen unter anderem Explosionen, Erdrutsche oder unter Umständen Blitzeinschläge, Überschallknalls und sogar springende Menschen. Alles, was in diese Kategorien fällt, wird von Erdbebendiensten normalerweise rausgefiltert. Besonders häufig sind Explosionen, denn diese gehören zum Alltag in Deutschland.

Steinbrüche verursachen Fake-Erdbeben

Wer in der Nähe eines Steinbruchs wohnt, kennt das: Ein Knall, gefolgt von lautem Donnergrollen und unter Umständen leichte Erschütterungen, ausgelöst von den fallenden Gesteinsmassen. Im Vergleich zur Stärke eines Erdbebens kann ein solches Ereignis schnell Magnitude 2 oder 3 erreichen und noch in hunderten Kilometern Entfernung von Seismographen registrierbar sein. Das kann nicht nur für Anwohner wie ein Erdbeben wirken, sondern auch für seismologische Software.

Steinbrüche im Harz
Grafik 3: Luftbild vom Harz (Google Maps). Große Steinbrüche sind mit roten Kreisen markiert.

Im Harz gibt es viele Steinbrüche, wo vor allem Kalkgestein und magmatische Gesteine abgebaut werden und wurden. Schon aus der Luft sind viele dieser Steinbrüche eindeutig als große „Löcher“ in der ansonsten grünen Landschaft zu identifizieren (Rote Kreise in Grafik 3). Berücksichtigt man außerdem noch die normalen ein, zwei Kilometer Ungenauigkeit bei der Lokalisierung, entsprechen die Epizentren der vermeintlichen Erdbeben auf der Karte in Grafik 2 genau der Lage der Steinbrüche. Ein Zusammenhang ist daher mehr als naheliegend. Hinzu kommt, dass die vermeintlichen Erdbeben ausschließlich tagsüber und fast immer zur vollen oder halben Stunde auftreten, entsprechend den geplanten Sprengungen im Steinbruch.

Dass es sich bei den „Erdbeben“ in der Karte um Steinbruch-Sprengungen handelt, ist somit eindeutig nachweisbar. Auch die Quelle dieser Registrierungen ist einfach ermittelbar: Es ist das hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG), bzw. dessen Erdbebendienst. Dieser arbeitet seit einigen Wochen verstärkt mit automatischen Registrierungen. Statt manueller Auswertung, gekennzeichnet durch ein „M“, werden lediglich automatische Daten („A“) veröffentlicht und Steinbruch-Sprengungen und sonstige Falschdetektionen später manuell aussortiert. Bezieht ein Drittanbieter nun die Daten aus den automatischen Veröffentlichungen, ohne selbst zu überprüfen, kommen solche Falschdarstellungen zustande.

Erdbeben im Harz eine mögliche Spätfolge der letzten Eiszeit

Würde man alle Sprengungen als Erdbeben werten, hätte man mehrere potentiell spürbare Beben pro Woche. Statt einer weitestgehend erdbebenfreien Region, wäre der Harz die aktivste Erdbebenregion Deutschlands. Dass der Harz (so wie der Rest von Deutschland) dennoch seismologisch überwacht wird, ist aber dennoch sinnvoll. Auch wenn es in historischer Zeit kein bekanntes natürliches Erdbeben direkt im Harz gegeben hat, lassen geologische Daten darauf schließen, dass es vor 15.000 Jahren anders ausgesehen hat.

Szenario: Magnitude 6 Erdbeben im Harz, wie es möglicherweise vor 15000 Jahren passiert ist.
Grafik 4: Schweres Erdbeben im Harz, wie es möglicherweise vor 15000 Jahren passiert ist. Ein solches Erdbeben wäre, sollte es sich in Zukunft wiederholen, in fast ganz Deutschland spürbar und würde noch in Hannover, Leipzig und Kassel Schäden verursachen.

Innerhalb eines Erdfalls wurde vor einigen Jahren eine Störung entdeckt. Studien zu dieser zeigen, dass die Störung wahrscheinlich während eines Erdbebens vor rund 15.000 Jahren entstanden ist. Das war zu der Zeit, als weite Teile Nordeuropas durch den Rückgang der eiszeitlichen Vergletscherung plötzliche tektonische Veränderungen erlebten. Durch die Auflast des Eises kam es zu Bodensenkungen, angrenzend zu Bodenhebungen. Nach der Eiszeit kehrte sich dies um, was vielerorts zu schweren Erdbeben führte. Da diese Bodenbewegungen in Teilen des Kontinents bis heute andauern, wenn auch mit deutlich geringerer Ausprägung, könnten auch am Harz weitere Erdbeben in Zukunft nicht ausgeschlossen werden. So zumindest das Ergebnis einiger Studien.

Auch wenn echte Erdbeben in Zukunft wieder ein Thema werden könnten: In Gegenwart und jüngster Vergangenheit ist und war der Harz erdbebenfrei. Zwar lässt der anhaltende Bergbau im Harzumfeld gelegentlich die Erde beben, Steinbruchsprengungen sind aber mit Abstand das häufigste seismische Ereignis. Trotz physikalischer Ähnlichkeit: Echte Erdbeben sind dies nicht. Dass diese Ereignisse trotzdem als solches dargestellt werden, ist weniger ein „Säuberungsprozess“, sondern eher das Fehlen eines solchen bei der Erstellung von Erdbebenlisten. Wer dennoch lieber eigene Recherche betreiben möchte: Die Aufzeichnungen der seismologischen Station in Clausthal-Zellerfeld sind öffentlich in Echtzeit einsehbar. Wie das geht, habe ich hier ausführlich beschrieben.