Erdbeben treten unregelmäßig auf. Mal gibt es tage- oder wochenlang überhaupt keine Meldungen, mal hört man täglich von großen, zerstörerischen Beben. Die letzten Tage gehören in die zweite Kategorie. Nach dem katastrophalen Erdbeben auf der indonesischen Insel Java am Montag folgte in der vergangenen Nacht eines mit ähnlicher Stärke im Nordwesten der Türkei. Zwei Erdbeben mit sehr ähnlichen Eigenschaften: Magnitude knapp unter 6, sehr oberflächennah, hohe Bevölkerungsdichte am Epizentrum und Blattverschiebung. Doch könnten die Schäden kaum unterschiedlicher sein: Während auf Java Zehntausende Häuser beschädigt und über 300 Todesopfer befürchtet werden, bleiben die Auswirkungen in der Türkei hinter den Befürchtungen zurück. Woran liegt das?

Sowohl die indonesische Insel Java als auch die Türkei blicken auf eine lange Geschichte an Erdbebenkatastrophen zurück. Beide Regionen werden jedes Jahr von über einem Dutzend Schadensbeben heimgesucht, nicht selten mit Todesopfern. Die Gründe: Neben sehr hoher Erdbebenaktivität in geringer Tiefe vor allem die hohe Bevölkerungsdichte und vielerorts alte, nicht erdbebensichere Gebäude. Bei Düzce und Cianjur, der am Montag verwüsteten Stadt auf Java, kommt der Beckeneffekt hinzu. Beide Städte sind inmitten von Bergen auf einer Ebene mit sehr weichen und nassen Böden errichtet. Bedingungen, die Erdbebenwellen verstärken.

Vergleich der ShakeMaps der Erdbeben von Düzce (Mw5.9, links) und Cianjur (Mw5.6, rechts). Hohe Intensität jeweils innerhalb der Sedimentbecken, auf denen die Städte errichtet sind.

So geschehen bei beiden Erdbeben am Montag und Mittwoch, die sich jeweils nur rund 10 Kilometer von der entsprechenden Stadt entfernt ereigneten. Hinzu kommt eine sehr geringe Tiefe zwischen 5 und 10 Kilometern, was zu sehr hohen Intensitäten führte. Während über 8000 Häuser in Cianjur einstürzten und rund 300 Menschen in den Trümmern starben, sprechen erste Meldungen aus Düzce von nur einem (indirekten) Todesopfer durch Herzinfarkt, 68 Verletzten und mehreren Tausend Häusern, die auf Schäden untersucht werden. Davon wohl nur ein kleiner Anteil mit kompletter Zerstörung. Auffällig: Sowohl die Verletzten in Düzce als auch die Todesopfer in Cianjur waren überwiegend junge Menschen.

Ähnliche Erdbeben mit unterschiedlichen Auswirkungen

Zwar ist die Bevölkerungsdichte rund um Düzce etwas geringer als rund um Cianjur, allerdings nicht gering genug, um den großen Unterschied zu erklären. Auch der USGS-PAGER, ein Tool zur schnellen Abschätzung von Erdbebenschäden und -opfern, ging zunächst von einer zwei- bis dreistelligen Opferzahl in Düzce aus.

Das Erdbeben in Düzce ereignete sich an einem Abzweig der Nordanatolischen Verwerfung, eine große Störungszone, die die geologische Grenze zwischen Anatolien und Eurasien bildet. Seit 1943 kam es entlang der Störung zu einer Reihe schwerer Erdbeben über Magnitude 7. Das bisher letzte ereignete sich im November 1999 genau unterhalb von Düzce. Durch dieses und ein weiteres Beben weiter westlich drei Monate zuvor wurden in Düzce viele Gebäude zerstört und Hunderte Menschen starben. In der Folge kam es zu Wiederaufbau eines Großteils der Stadt und umliegender Dörfer. Strikte Baurichtlinien wurden eingeführt. Zudem führen Schulen und Behörden regelmäßig Erdbebenübungen durch. Mindestens 80% der Gebäude gelten als erdbebensicher.

Auch Cianjur hat eine Erdbebenvergangenheit. Die am Montag reaktivierte Störung gehört zu einem lokalen aber relativ komplexen Bruchsystem im Westen Javas. Dort kommt es infolge der Kollision (Subduktion) der Indischen und der Sunda-Platte vor der Südküste der Insel zu Deformation der Kruste. Cianjur und umliegende Orte werden durchschnittlich alle 20 Jahre von Beben um Magnitude sechs getroffen. Das bisher letzte im Jahr 2000 zerstörte rund 2000 Gebäude.

Lehren aus 1999, Unkenntnis über 2000

Doch anders als in Düzce fand der Wiederaufbau unkontrolliert statt. Es gab keine staatlichen Vorgaben zur erdbebensicheren Bauweise. Gleichzeitig herrschte durch das starke Bevölkerungswachstum (+25% seit 2005) ein großer Siedlungsdruck. Die Folge war, dass viele Gebäude ohne Beachtung des Erdbebenrisikos neu errichtet wurden. Fehlende Bildung und oft auch Unkenntnis über die Gefahr trugen ebenfalls dazu bei. Viele junge Menschen oder Neubürger seien sich nicht bewusst gewesen, dass solche Erdbeben überhaupt möglich sind. Zwar würden regelmäßig schwache Erdbeben von der Subduktionszone kommend verspürt. Doch hätte deren harmloses Erscheinungsbild zum Trugschluss vermeintlicher Sicherheit geführt.

Neben unzureichender Bauweise fehlte somit auch das Wissen, wie man im Falle eines Erdbebens die Überlebenschancen maximiert. So waren es vor allem Kinder und junge Erwachsene, die Opfer des Erdbebens wurden, weil sie in neuen, unsicheren Häusern lebten oder nicht wussten, wie sie sich schützen können. Ähnlich übrigens in der Türkei: Auch dort fehlte vor allem bei jungen Menschen trotz Erdbebenübungen die Erfahrung im Umgang mit Erdbeben. Die Konsequenz: Mindestens 68 verletzte meist junge Menschen, die in Panik gerieten, stürzten oder aus großer Höhe sprangen, statt im (sicheren) Gebäude zu bleiben.

Anders als in Cianjur wurden die Menschen in Düzce zudem im Schlaf überrascht. Einerseits führte dies zu mehr Panikreaktionen. Andererseits befanden sich aber auch die meisten Menschen in (sicheren) Gebäuden).

Gebäudesicherheit und Verhaltensweisen erhöhen Überlebenschance

Die unterschiedlichen Auswirkungen zweier ähnlicher Erdbeben sind auf die Faktoren zurückzuführen, die am Ende über Leben und Tod entscheiden. Bewusstsein des Risikos, Vorbereitung (sichere Gebäude), richtiges Verhalten (Panik) und am Ende auch Glück (Tageszeit). Zwar lässt sich Letzterer nicht beeinflussen. Doch ist bei den Übrigen entscheidend, ob Staat und Bevölkerung aus der Vergangenheit lernen. Berücksichtige ich beim Bau das Erdbebenrisiko? Kläre ich die Bevölkerung über die Risiken auf? Baue ich die weggespülten Gebäude wieder direkt am Ufer der Ahr neu?
Während in der Türkei vor 23 Jahren die richtige Entscheidung getroffen wurde, hat man sich auf Java acht Monate später fürs Vergessen entschieden.

Katastrophen der Vergangenheit sind oft einschneidende Erlebnisse für die Bevölkerung und im Extremfall auch für die gesamte Entwicklung einer Region. Statt diese Erlebnisse zu verdrängen, sollte man aus ihnen lernen und für die Zukunft planen, um bei sicheren Wiederholungen Menschenleben zu retten. Erdbeben wie 1999 waren ein Weckruf für Düzce, Istanbul und andere Städte im Norden der Türkei. Für die Menschen auf Java, die trotz vieler Katastrophen der Vergangenheit kaum Resilienz entwickelt haben, müsste spätestens seit Montag klar sein, dass Änderungen nötig sind.

Hinweis: Stand der Daten in diesem Text ist der 23. November, 10:30 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt waren noch keine genauen Zahlen zu den Schäden in Düzce bekannt, auch die Verletztenzahl war vorläufig. Jedoch sprach alles dafür, dass die Auswirkungen deutlich geringer waren, als in Cianjur und als vom USGS-Pager vermutet.