Stellungnahme: „Allgäuer Zeitung“ zweifelt Erdbebenmeldung an

Update 6. Januar:
Die „Allgäuer Zeitung“ hat auf diese Stellungnahme reagiert und ihre Berichterstattung korrigiert.

Originalbeitrag:

In dem Beitrag der Allgäuer Zeitung, der um 15 Uhr online ging und um 17 Uhr hinter der Paywall verschwand, wird über eine „kuriose Vermutung“ gerätselt, in Oberstdorf habe es gestern ein leichtes Erdbeben gegeben. Grund für die Rätselraterei ist neben bewusstem Auslassen von Fakten durch die Redaktion eine „Erdbebennews“-Meldung, deren Wahrheitsgehalt in dem Beitrag angezweifelt wird. Dazu ein paar Worte in eigener Sache.

Ein Erdbeben wird gemeldet und niemand aus meiner Bubble hat es gespürt. Muss also Fake sein. Genau dieser Gedankengang hat dazu geführt, dass ich gestern nicht nur über Facebook einige sehr unschöne Kommentare zu lesen bekam, sondern nun auch die Allgäuer Zeitung die Seriösität von Erdbebennews in frage stellt. Auslöser ist diese Meldung zu einem leichten Erdbeben auf dem Gemeindegebiet von Oberstdorf, das sich am Mittwochmorgen ereignete. In dem Beitrag schrieb ich, dass das Erdbeben wahrscheinlich rund um das Epizentrum verspürt wurde. Dies ergeben meine Modellrechnung, basierend auf Magnitude und Tiefe des Bebens, die zu diesem Zeitpunkt automatisch vom Schweizerischen Erdbebendienst (SED) gemeldet wurden.

Das Erdbeben in Oberstdorf, aufgezeichnet von der Bayernnetz-Station in Oberstdorf

Gleichzeitig erwähne ich, dass die Daten noch manuell überprüft werden müssen (wie es bei Erdbeben normal ist) und dass selbst in dem ursprünglichen Fall wohl nur eine handvoll Menschen (wenn überhaupt) das Beben gespürt haben, da das Epizentrum abseits des Stadtzentrums in den Bergen lag. Und offenbar war es am Ende so, dass wirklich niemand das Erdbeben gespürt hat. Zumindest niemand, der mit der „Allgäuer Zeitung“ gesprochen hat. Die Redaktion fragte laut Artikel bei Feuerwehr, Polizei und im Rathaus nach, wo auch niemand etwas von einem Erdbeben wusste. Stattdessen Spekulationen über Baggerarbeiten und am Ende die Schlussfolgerung der Redaktion, dass es für das Erdbeben ja keine offizielle Bestätigung gibt. Durch den Verweis auf den fehlenden offiziellen Status von „Erdbebennews“ und den gesamten Textaufbau und die Wortwahl wird damit suggeriert, „Erdbebennews“ würde Falschmeldungen verbreiten.

Damit schließt sich die „Allgäuer Zeitung“ – bewusst oder unbewusst – inhaltlich einer Reihe von Facebook-Kommentaren auf einer lokalen Medienseite an, die die „Erdbebennews“-Meldung nicht nur verspotteten, sondern auch Panikmache und Falschmeldungen aus Klickgier unterstellten und mich auch persönlich angriffen.

Dazu ein paar Dinge:

1. Mit einem Redakteur der Zeitung habe ich am Morgen gegen 9 Uhr kurz telefoniert. Er rief mich an und hat nach ein paar generellen Dingen zu Erdbeben im Allgäu gefragt, ich habe geantwortet. Nichts spezielles, ein normales Interview mit freundlichem und respektvollem Umgangston. Dass die Existenz des Erdbebens in seinen Augen überhaupt zur Debatte steht oder dass er meine Aussagen anzweifelt, wurde nicht ein einziges Mal erwähnt. Er hat auch bei meinen Aussagen nie nach Details oder Herkunft der Daten gefragt, obwohl ich unter anderem auch auf einige Publikationen verwiesen habe.

+++ NACHTRAG: Fehler meinerseits. Das Interview fand mit einem Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung statt. Da beide Medien zum selben Konzern gehören, ging ich von einem Zusammenhang und Absprache aus. Die Augsburger Allgemeine hat aber inzwischen unabhängig davon einen vollkommen sauberen Artikel mit meinen Aussagen veröffentlicht. Daher fand zwischen beiden Redaktionen offenbar keine Kommunikation statt. Weitere Kritikpunkte sind jedoch von möglichen Interview-Aussagen unabhängig, werfen stattdessen sogar die Frage auf, warum eine solche Nachfrage nicht stattfand +++

2. In dem Gespräch hatte ich erwähnt, dass das Erdbeben sehr wohl offiziell bestätigt ist. Sowohl der Bayerische Erdbebendienst als auch der Österreichische Erdbebendienst haben das Erdbeben registriert und manuell überprüft mit leicht abweichenden Ergebnissen. Originalquelle SED hat ebenfalls manuell ausgewertet, das Beben danach aber aus dem Katalog entfernt, da das Epizentrum außerhalb ihres Arbeitsgebietes lag. Alles drei offizielle Stellen. Dass hier Aussagen von Feuerwehr, Polizei und Rathausmitarbeitern über die Daten von Erdbebendiensten gestellt werden, ist nicht logisch nachvollziehbar, zumal die Redaktion spätestens nach dem Telefonat mit mir davon gewusst haben muss. In dem Artikel der Zeitung wird auch nicht auf die Erdbebendienste verwiesen.

3. In der „Erdbebennews“-Meldung erwähne ich, dass das Erdbeben wahrscheinlich spürbar war. Darauf lässt die automatische Magnitudenauswertung des Schweizerischen Erdbebendienstes (zu dem Zeitpunkt einzige Quelle) schließen. Die Magnitudenberechnung aus Österreich bestätigt diese Einschätzung. Die Berechnung des Bayerischen Erdbebendienstes würde ein Beben unter der Spürbarkeitsschwelle bedeuten. ABER: In der Originalmeldung von „Erdbebennews“ erwähne ich auch, dass das berechnete Schüttergebiet des Erdbebens weitestgehend unbesiedelte Gebiete westlich von Oberstdorf umfasst, nicht aber den Ortskern, bzw. größere Siedlungsgebiete. Gleichzeitig liegt die berechnete Intensität bei II, was in der Regel bedeutet, dass nur ein kleiner Teil der rund 500 Menschen in dem berechneten Gebiet wirklich etwas verspürt hat. Alles Informationen, die in dem Artikel der „Allgäuer Zeitung“ nicht auftauchen. Ebenso die generelle Unsicherheit durch (zu dem Zeitpunkt) ungeprüfte Daten und die generelle Unsicherheit des Modells.

Fazit: Die „Allgäuer Zeitung“ schließt sich Spekulationen aus Sozialen Netzwerken an, die die Aussagen von Erdbebennews anzweifeln, einfach mit der Begründung „Was ich nicht sehe, existiert nicht“. Dazu werden offizielle Daten bewusst ignoriert und sich stattdessen auf Spekulationen von Feuerwehr, Polizei und Rathausmitarbeitern berufen – allesamt mutmaßlich keine Erdbebenexperten. Am Ende wird den Lesenden vermittelt, es habe kein Erdbeben gegeben, weil es vermeintlich keine offiziellen Daten gibt und Verbreiter solcher Meldungen (also „Erdbebennews“) seien ja nicht offiziell und daher nicht glaubwürdig.

Danke, „Allgäuer Zeitung“, für dieses Lehrbuchbeispiel, wie Journalismus nicht funktioniert.