Kein Vogtland-Erdbebenschwarm der letzten 60 Jahre konnte über einen solch langen Zeitraum nachgewiesen werden. Auch wenn der Klingenthal-Erdbebenschwarm, der seit dem 17. März ununterbrochen aktiv ist, bisher keine wirklich hohen Magnituden brachte: Bezüglich seiner Hartnäckigkeit ist er in den letzten Jahrzehnten einzigartig. Zum 40 tägigen Jubiläum schauen wir daher nochmal genauer auf die Entwicklung des Schwarms und auf die Gründe, die den Klingenthal-Schwarm so besonders machen.

Live-Ticker zum Erdbebenschwarm in Klingenthal

In den ersten zwei Wochen seiner Lebenszeit war der Klingenthal-Erdbebenschwarm keine große Hausnummer. Lediglich ein Erdbeben überschritt die Schwelle von Magnitude 1 und konnte auch von Anwohnern leicht verspürt werden. Doch schon zu diesem frühen Zeitpunkt überraschte der Schwarm mit seiner hohen Dichte kleinster Mikrobeben. Anders als beim kleinen Klingenthal-Schwarm in Dezember lag die Gesamtzahl registrierter Beben schnell im dreistelligen Bereich, unüblich für Schwärme solch geringer Magnituden. Zu dieser Zeit konzentrierte sich der Schwerpunkt der Erdbebenaktivität auch noch nicht auf Klingenthal selbst sondern auf den tschechischen Ort Bublava.

Abbildung 1. Oben: Epizentren registrierter Klingenthal-Beben seit Dezember 2023. Mitte: Tiefe verorteter Klingenthal-Beben. Unten: Zeitlicher Verlauf und Magnitude georteter Klingenthal-Beben. Daten: Seismo-Verbund Mitteldeutschland. Durch unterschiedliche Ortungsmethoden und angepasster Modelle im Verlaufe des Schwarms kommt es zu unsicheren und teils voneinander abweichenden Lokalisierungen. Zudem konnten die meisten Erdbeben unter Magnitude 0 noch nicht lokalisiert werden. Auch bei größeren Beben gibt es noch Datenlücken.
Abbildung 1. Oben: Epizentren registrierter Klingenthal-Beben seit Dezember 2023. Mitte: Tiefe verorteter Klingenthal-Beben. Unten: Zeitlicher Verlauf und Magnitude georteter Klingenthal-Beben. Daten: Seismo-Verbund Mitteldeutschland. Durch unterschiedliche Ortungsmethoden und angepasster Modelle im Verlaufe des Schwarms kommt es zu unsicheren und teils voneinander abweichenden Lokalisierungen. Zudem konnten die meisten Erdbeben unter Magnitude 0 noch nicht lokalisiert werden. Auch bei größeren Beben gibt es noch Datenlücken.

Im Laufe der Tage verlagerten sich die Epizentren der Beben leicht nach Südwesten. Auch von früheren Erdbebenschwärmen im Vogtland ist bekannt, dass die Erdbebenherde im Laufe der Zeit wanderten. Grund dafür ist der dynamische Ursprung der Erdbeben. Schwarmbeben sind eine direkte Folge von Fluidbewegungen in der Erdkruste. Natürlich vorkommende Gase und Wasser steigen von einer Magmakammer in rund 30 Kilometern Tiefe auf und bewegen sich durch Risse und Spalten im Gestein. Dabei wirken die Fluide wie ein Schmiermittel und führen zu ruckartigen Bewegungen, die in den oberen 15 Kilometern der Kruste als Erdbeben detektierbar sind.

Langsamer Start, kontinuierliche Steigerung

Je höher der Druck der Fluide, umso schneller können sie sich im Gestein fortbewegen und umso häufiger und größer werden die Erdbeben. Dabei kann es aber vorkommen, dass der gerade Weg nach oben blockiert ist. In dem Fall können die Fluide und damit auch die Erdbeben einen Zick-Zack-Kurs einlegen. Zunächst zeigte sich eine konstante Verlagerung von Bublava nach Südwesten. Währenddessen nahm die Tiefe der Beben geringfügig ab, die Fluide stiegen somit auf. Die erste Wendung in diesem Kurs erfolgte am 1. April und war gleichzeitig der Beginn der stärkeren Aktivitätsphase.

Etwa mit dem Überschreiten der deutschen Grenze erreichten die ersten Beben Magnitude 2. Dabei schienen die Fluide relativ ortsfest in der Grenzregion zu bleiben. Ein Steckenbleiben, das wohl zum Druckanstieg und damit zu höheren Magnituden führte. Der erste Höhepunkt waren der 10. und 11. April mit zwei Beben der Magnitude 2.7. Eine Schwelle, die auch bisher nicht mehr überschritten wurde. Bis zum 18. dauerte die bisher stärkste Aktivitätsphase an, während der es weitere Beben um Magnitude 2 und zum Schluss nochmals Magnitude 2.7 gab. Im Anschluss verlagerten sich die Epizentren leicht in nordwestliche Richtung und die Erdbebenaktivität ging etwa auf das Niveau der ersten Aprilwoche zurück. Weiterhin gab es sehr viele Mikrobeben, teils hunderte pro Tag. Aber keines erreichte die Spürbarkeitsschwelle, die im Laufe des Schwarms bei ca. Magnitude 1.6 für Erschütterungen und 1.3 für akustische Wahrnehmungen lag.

Erdbeben folgen Bewegungen der Fluide

Ein erneuter Wendepunkt kündigte sich bereits am 24. April an, als die Mikrobeben stärker und häufiger wurden und eine Verlagerung der Epizentrum nach Nordosten einsetze. Gleichzeitig begann auch im äußersten Südosten des aktiven Gebietes und damit auf Tschechischer Seite ein Aufleben der Mikrobebenaktivität. Ob es sich dabei um ein Aufteilen der Fluide auf zwei Störungsabschnitte oder einen neuen Aufstieg weiterer Fluide handelte, bleibt wegen der ungenauen Tiefenortung kleinerer Beben bisher unklar. Jedenfalls war es der südliche Cluster, der am frühen Morgen das erste Mal seit zwei Wochen mit Magnitude 2.5 ein spürbares Beben hervorbrachte.

<strong>Abbildung 2:</strong> Zeitlicher Verlauf und Magnituden des Klingenthal-Schwarms seit März 2024. Daten: Seismo-Verbund Mitteldeutschland. Durch unterschiedliche Ortungsmethoden und angepasster Modelle im Verlaufe des Schwarms kommt es zu unsicheren und teils voneinander abweichenden Lokalisierungen. Zudem konnten die meisten Erdbeben unter Magnitude 0 noch nicht lokalisiert werden. Auch bei größeren Beben gibt es noch Datenlücken.
Abbildung 2: Zeitlicher Verlauf und Magnituden des Klingenthal-Schwarms seit März 2024. Daten: Seismo-Verbund Mitteldeutschland. Durch unterschiedliche Ortungsmethoden und angepasster Modelle im Verlaufe des Schwarms kommt es zu unsicheren und teils voneinander abweichenden Lokalisierungen. Zudem konnten die meisten Erdbeben unter Magnitude 0 noch nicht lokalisiert werden. Auch bei größeren Beben gibt es noch Datenlücken.

Aktuell (am 26. April) hält die Erdbebenaktivität auf recht hohem Niveau an und ist vergleichbar mit der Phase Mitte April. Vor allem durch einige Beben um und über Magnitude 1 werden die Parallelen sichtbar. Lokalisierungen für die neuesten Erdbeben liegen noch nicht vor, daher ist noch offen, ob diese Beben Teil des südlichsten oder des nördlichsten Clusters sind. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Aktivität während des gesamten Aprils hoch war und gerade im Bereich niedriger Magnituden wenig Veränderung zeigte. Lediglich größere Beben über Magnitude 1.5 verteilten sich zeitlich ungleichmäßiger. Die Gesamtzahl der Erdbeben, einschließlich solcher, die wegen ihrer geringen Größe unlokalisiert blieben, liegt bei über 10.000.

Zehntausend Erdbeben in Klingenthal seit Schwarmbeginn

Insgesamt folgen die Hypozentren ungefähr dem Verlauf einer Nordwest-Südost orientierten und nach Nordosten einfallenden Störung. Auf eine solche Störung weisen auch die geophysikalisch ermittelten Herdmechanismen hin. Das heißt, dass die Fluide ungefähr den Verlauf der Bergen-Klingenthal-Chodov Störung folgen. Auch der Erdbebenschwarm in Dezember 2023 liegt in diesem Verlauf. Bisher haben es die Fluide entsprechend den Erdbebentiefen nicht geschafft, in die oberen neun Kilometer der Erdkruste vorzustoßen. Zudem besteht zwischen dem aktuellen Schwarm und dem Schwarm 2023 noch eine Lücke. Eine Ausbreitung der Fluide und damit einhergehende Erdbebenaktivität ist also denkbar. Ein Aufstieg in geringere Tiefen könnte zudem auch eine Zunahme der Magnitude bedeuten. Von anderen Schwarmbeben im Vogtland ist bekannt, dass die stärksten Erdbeben meist in Tiefen zwischen 6 und 8 Kilometern auftreten.

Abbildung 3: Magnitudenverteilung (entsprechend Gutenberg-Richter-Darstellung) des Klingenthal-Schwarms seit März 2024. Daten: Seismo-Verbund Mitteldeutschland. Durch unterschiedliche Ortungsmethoden und angepasster Modelle im Verlaufe des Schwarms kommt es zu unsicheren und teils voneinander abweichenden Lokalisierungen. Zudem konnten die meisten Erdbeben unter Magnitude 0 noch nicht lokalisiert werden. Auch bei größeren Beben gibt es noch Datenlücken.
Abbildung 3: Magnitudenverteilung (entsprechend Gutenberg-Richter-Darstellung) des Klingenthal-Schwarms seit März 2024. Zu erwarten wäre eine kontinuierliche und (in dieser Darstellung) lineare Abnahme der Erdbebenzahl mit zunehmender Magnituden. Hier zeigen sich bei höheren Magnituden deutliche Lücken. Daten: Seismo-Verbund Mitteldeutschland. Durch unterschiedliche Ortungsmethoden und angepasster Modelle im Verlaufe des Schwarms kommt es zu unsicheren und teils voneinander abweichenden Lokalisierungen. Zudem konnten die meisten Erdbeben unter Magnitude 0 noch nicht lokalisiert werden. Auch bei größeren Beben gibt es noch Datenlücken.

Statistisch zeigt der Klingenthal-Schwarm auch gewisse Hinweise auf noch mögliche größere Beben. Bei den Magnituden unter 1 gibt es einen großen Überschuss allein bei den ausgewerteten Beben. Eine hohe Zahl noch unausgewerterter Beben unter M0.5 erhöht diesen Überschuss weiter. Im Vergleich gibt es ziemlich wenige Beben über Magnitude 1 und auch einige Lücken bei Beben über Magnitude 2. Dem Gutenberg-Richter-Gesetz folgend, wonach die Erdbebenanzahl mit steigender Magnitude um einen konstanten Faktor abnimmt, wären also weitere Erdbeben über Magnitude 2, wahrscheinlich sogar bereits ein Erdbeben über Magnitude 3, notwendig, um den Erwartungswert zu erfüllen. Jedoch ist das Gutenberg-Richter-Gesetz nicht mehr als eine Orientierung, die in vielen Fällen und langfristig so eintrifft, aber in Einzelfällen auch abweichen kann. Eine garantierte Aussage lässt sich somit nicht treffen.

Potential für weitere Erdbeben in Klingenthal vorhanden

Insgesamt konnten im Verlauf des Erdbebenschwarms bisher 27 Erdbeben verspürt werden, was angesichts der Dauer im Vergleich zu früheren Schwärmen auf tschechischer Seite der Grenze sehr wenig ist. Große Ähnlichkeit im Verlauf besteht zum Klingenthal-Erdbebenschwarm 1962, der letzte große Schwarm auf deutscher Seite, der drei Monate andauerte und um zweiten Monat auch mehrere Erdbeben über Magnitude 3 hervorbrachte. Ob der aktuelle Schwarm sich weiter angleicht, stärker wird und möglicherweise noch weitere Monate andauert, ist natürlich unklar. Doch zeigen die Entwicklungen bisher und vor allem in den letzten 48 Stunden, dass die Situation weiter dynamisch ist. Zudem gibt es sowohl statistische als auch geologische Argumente, die weitere Erdbeben über Magnitude 2 erwarten lassen.

Große Unterschiede zeigen sich zu den Luby-Schwärmen der letzten Jahre, wie zuletzt im November 2023. Unterschiede, die sich vor allem durch die tektonischen Bedingungen erklären lassen. Die Erdbebenherde zwischen Luby und Novy Kosten liegen im Bereich der Schnittstelle zweiter großer und relativ junger Störungen: Die Marienbader Störung und die Počátky-Plesná Störung. Beide Störungen, sind etwa Nord-Süd-orientiert, fallen weitestgehend senkrecht ein und weisen offenbar eine hohe Leitfähigkeit für Fluide auf. Das heißt, Gase und Wasser haben es auf dem Weg nach oben sehr leicht, stoßen auf wenige Hindernisse und treffen auf eine tektonische Zone mit hoher Anfälligkeit fürs Triggern von Erdbeben. Somit gibt es kürzere, aber intensivere Erdbebenschwärme.

Geologische Hürden unter Klingenthal machen Schwarm langlebig

Anders sieht es bei den Schwärmen weiter nördlich aus. Diese treten an Störungen auf, die Nordwest-Südost verlaufen und in einem weniger steilen Winkel einfallen. Zudem sind diese Störungen älter und nur passiv aktiv. Heißt: Spannungen an diesen Störungen werden nur indirekt über die Bewegungen der Nord-Süd-orientierten Störungen aufgebaut. Neben den schwierigen Aufstiegsbedingungen, die die Bewegung der Fluide verzögern und große Erdbebenschwärme damit in die Länge ziehen, werden Erdbeben auch schwieriger ausgelöst, sodass größere Beben im Vergleich seltener sind.

Wie lang sich der Erdbebenschwarm noch zieht, ist unklar. Potential für weitere aktive Wochen ist gegeben und auch Vergleiche mit dem Schwarm 1962 lassen diese Option offen. Intensive Phasen wie bei früheren Schwärmen, die Anwohnern oft schlaflose Nächte bereiteten, blieben in den bisherigen 40 Tagen aus. Ein gnädiger Schwarm für die Menschen im Vogtland, der auf seine Art besonders und seine Entwicklung weiter spannend zu verfolgen ist.

 

One thought on “40 Tage Klingenthal: Entwicklung eines Erdbebenschwarms

Comments are closed.