Campi Flegrei und die Angst vor Online-Medien

Am italienischen Vulkan Campi Flegrei brodelt es weiter. Seit Jahresbeginn nahm die Erdbebenaktivität zwischen Pozzuoli und Neapel wieder zu. Spürbare Beben ereignen sich mehrmals pro Tag. Am Samstag erreichte eines der stärksten Beben bisher Magnitude 3.9. Gleichzeitig nehmen die Bodenhebungen massiv zu. Die Gefahr von Erdbeben und möglichen vulkanischen Szenarien ist real. Doch noch mehr fürchten Behörden inzwischen die Risiken aus dem Ausland. Sensationsgier und Falschmeldungen in nahezu allen Medien bedrohen die Sicherheit der Menschen. Behörden greifen im Kampf gegen den massiven Tsunami der Desinformation inzwischen zu radikalen Maßnahmen.

Im Umgang mit Naturkatastrophen und zum Schutz der Bevölkerung ist eine klare Kommunikation wichtig. Geschieht dies nicht und wenn zum Beispiel Warnungen falsch kommuniziert werden, sind Menschenleben bedroht. Werden Risiken von der Bevölkerung unterschätzt und Evakuierungsanweisungen ignoriert, verbleiben Betroffene möglicherweise in der Gefahrenzone. Werden sie überschätzt, droht bei der Evakuierung Chaos und eine rechtzeitige Flucht wird unter Umständen unmöglich. Es ist also überlebenswichtig, dass Menschen in einer Gefahrenlage genau wissen, was Sache ist und wie sie die Lage einzuschätzen haben.

Während der andauernden vulkanisch-seismischen Krise im Großraum Neapel versuchen Behörden inzwischen mit allen Mitteln, dieses Katastrophenfilm-Szenario zu verhindern. Campi Flegrei, ein Caldera-Vulkan am Rand der Millionenstadt, zeigt sich seit über einem Jahr von seiner aktiven Seite. Bereits im September 2023 kam es über Wochen zu erhöhter Erdbebenaktivität infolge hydrothermaler und magmatischer Prozesse in der oberen Erdkruste. Akute Gefahr eines Ausbruchs bestand zu diesem Zeitpunkt nie. Die Erdbeben, die am Ende Magnitude 4 erreichten, waren die größte Gefahr. Auch Erdbebennews erläuterte dies mehrfach. Nach mehreren Wochen ging die Aktivität zurück. Doch schon damals wurde die Situation in der internationalen Medienlandschaft zu einem globalen Apokalypsenszenario hochstilisiert. Stichwort: „Supervulkan“.

Auflebende Erdbebenaktivität füttert Online-Redaktionen

Nun geht es wieder los. Seit Jahresbeginn nimmt die Erdbebenaktivität wieder zu. Besonders seit Anfang April (Abbildung 2, unten) ist eine deutliche Verstärkung zu beobachten. Grund für die Aktivität, die in der Region als Bradyseismizität bekannt ist, sind erneut hydrothermale und magmatische Prozesse. Oberhalb einer Magmakammer, die in sechs Kilometern Tiefe liegt, sammeln sich in großer Menge magmatische Fluide. Diese Flüssigkeiten können aufgrund einer geologischen Sperrschicht nicht entweichen und drücken daher die oberhalb liegende Erdkruste nach oben. Eine Hebung, wie sie zur Zeit mit einer Geschwindigkeit von mehreren Zentimetern pro Monat stattfindet, ist die Folge.

Abbildung 1: Erdbeben ab Magnitude 1 in den Campi Flegrei seit Jahresbeginn 2024. Daten: Vesuv-Observatorium

Und diese Hebung ist auch die Quelle der meisten Erdbeben. Die oberen Kilometer der Erdkruste bestehen aus sprödem, festem Gestein. Wenn dieses durch einen anschwellenden Fluidkörper nach oben gebogen wird, entstehen in der Mitte und an den Rändern der Hebung, wo die Biegung der gewölbten Erdkruste am größten ist, Risse und Brüche. Dies geschieht in Form von kleinen, teils auch größeren Erdbeben. Schaut man sich die Epizentren bisher registrierter größerer Beben ab Magnitude 1.5 an (Abbildung 1), wird diese Form sichtbar.

Verstärkte Hebung verursacht Campi Flegrei – Erdbeben

Ein großer Teil der Beben ereignete sich annähernd ringförmig um das Zentrum der Hebung in Pozzuoli angeordnet. Bei den kleineren Erdbeben (Abbildung 2, oben) liegt der Schwerpunkt hingegen in der Zone zwischen der Fluidansammlung und dem Hydrothermalsystem des Solfatara-Kraters. Dort führt die vermehrte Fluidbewegung selbst, ähnlich wie zum Beispiel auch im Vogtland, zu wiederholten kurzen Schwarmbebenepisoden. Aber auch die Hebungen selbst spielen vor allem dort eine Rolle, wo sie aktive Störungszonen kreuzen, wie zum Beispiel entlang der Küste von Pozzuoli.

Anzeichen dafür, dass Magma in diese Vorgänge direkt involviert ist, gibt es zur Zeit nicht. Dies betonte auch der Leiter des Vulkanobservatoriums vor wenigen Tagen erneut. Auch die fehlenden Veränderungen anderer vulkanischer Parameter wie Temperatur oder Gasfluss sprechen gegen vermehrte magmatische Aktivität. Das bedeutet zwar erstmal, dass vom Vulkan keine akute, direkte Gefahr ausgeht. Stärker werdende Erdbeben bleiben aber ein Risiko. Auch ist die Situation dynamisch und es ist theoretisch denkbar, dass durch Hebungen Risse entstehen, durch die irgendwann auch ein Weg für Magma geschaffen wird. Zudem steigt durch die Fluidpräsenz auch die Gefahr von Dampfexplosionen durch plötzliche Ausdehnung überhitzter Fluide.

Kein Hinweis auf Magmaansammlung

Entsprechend nehmen auch die Behörden vor Ort die Gefahren sehr ernst und reagierten in den vergangenen Monaten bereits mit einer Reihe von Maßnahmen. Zum einen installiert das Vulkanobservatorium ständig neue Instrumente zur Überwachung, um mögliche magmatische Aktivität und damit früheste Anzeichen bevorstehender Vulkanausbrüche sofort zu erkennen. Zum andere wurde viel in den Schutz der Bevölkerung vor Erdbeben und Vulkangefahren investiert.

Abbildung 2: Oben: Karte aller registrierter Erdbeben in den Campi Flegrei seit Januar 2024. Mitte: Tiefenverteilung registrierter Beben. Unten: Zeitleiste und Magnituden registrierter Beben. Daten: Vesuv-Observatorium

In Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden der Campi Flegrei Region finden Evakuierungs- und Erdbebenübungen statt. Sanierungsmaßnahmen an wichtiger Infrastrukur sollen die Erdbebensicherheit erhöhen. Katastrophenschutzhelfer erhalten Schulungen. Gemeinden in der Gefahrenzone haben Evakuierungspläne überarbeitet und im Falle einer notwendigen Umsiedlung Partnerstädte gefunden, die bereit zur Aufnahme der Flüchtenden sind. Zudem werden Informationskampagnen betrieben, die die Bevölkerung über die Risiken und das notwendige Verhalten im Notfall informieren. Doch gerade dieser essentielle letzte Schritt zum Schutz der Bevölkerung wird seit Beginn der Krise von ausländischen Medien massiv und gezielt sabotiert.

In der internationalen Medienlandschaft wird die Lage in Neapel schon seit dem vergangenen Jahr mit größtmöglicher Dramaturgie kommuniziert. Auch einige nahezu alle deutschen Medien springen auf den Zug auf. Allen voran gehen Hervorhebungen, dass es sich bei Campi Flegrei um einen Supervulkan handele (was übrigens faktisch falsch ist), der beim nächsten Ausbruch ganz Europa zerstören könnte. Zudem wird jedes neue Erdbeben, jede Maßnahme von Seiten der Behörden, jeder Post eines beliebigen Neapolitaners auf Facebook als Anlass genommen, einen unmittelbar bevorstehenden Vulkanausbruch anzukündigen. Eine gezielte Kampagne der Desinformation und Dramatisierung.

Medien gefährden Katastrophenschutz

Dabei werden das Vulkanobservatorium und das INGV nicht müde zu betonen, dass ein Supervulkanausbruch kein realistisches Szenario ist. Selbst ein kleiner, lokaler Ausbruch, das wahrscheinlichste vulkanische Szenario, gilt aktuell als Unwahrscheinlich. Zudem wäre die zu erwartende Erdbebenaktivität im Falle eines sich anbahnenden großen Ausbruchs noch deutlich dramatischer als sie es aktuell ist. Doch der Kampf gegen die geldgierigen Apokalypsenprediger europäischer Medienhäuser wirkt bisher nicht. Allein in deutschen Medien, allen voran auf den Webseiten des Ippen-Verlags, aber auch in Öffentlich-Rechtlichen Medien, wird das Narrativ des bevorstehenden Supervulkanausbruchs tagtäglich weitergetragen. Dazu gibt es viele Falschinformationen und bewusste Lügen.

Das INGV und lokale Behörden in Neapel gehen inzwischen so weit, dass sie virale ausländische Meldungen gezielt und öffentlich als bewusste Falschmeldungen durch Sensationsgier deklarieren und massiv kritisieren. Ein drastischer Schritt, der für die Sicherheit der Menschen aber zunehmend notwendig ist. Denn die vielen Falschinformationen dringen natürlich auch zu den Menschen in Neapel vor (wo lokale Medien übrigens hervorragend seriös und sachlich bleiben, leider deswegen aber auch kaum Beachtung finden). Die Diskrepanz zwischen vermeintlich vertrauenswürdigen Medienberichten und offiziellen Mitteilungen führt zu Unruhe und Vertrauensverlust. Auch das Vulkanobservatorium verwies mehrfach auf die eigenen Informationskanäle und Ansprechpartner sowie angebotene Schulungen für Journalisten. Doch werden diese Angebote, vielleicht auch wegen der Sprachbarriere, von Medien außerhalb Italiens kaum beachtet.

Gegen Fake News: Bürgermeister veröffentlicht Privatnummer

Mit der sich verschärfenden Lage verschärft sich auch die Menge an Lügen und Falschdarstellungen in internationalen Medien und die Sorge in Neapel wächst, dass im Falle einer realen Gefahrensituation durch die vielen Falschinformationen der Bevölkerungsschutz leidet. Der Bürgermeister von Bacoli, einer Gemeinde am Ostrand der Vulkancaldera, reagierte ebenfalls drastisch: Er veröffentlichte seine privaten Telefonnummern und bot sich selbst als Informationsquelle für Menschen an, die Fragen zur Situation an. Der neueste Versuch, den Tsunami der Desinformation aus der Gefahrenzone fernzuhalten.

Abbildung 3: Lügen.

Doch die Mühe, die Menge an Sensationsgier zu reduzieren, scheint vergebens. Allein zum heutigen Erdbeben (M3.9) legt jede Nachrichtenmeldung den Schwerpunkt auf Begriffe wie „Supervulkan“ oder „Angst“ (fairerweise: Ist bei diesem Text nicht anders, wenn auch im anderen Kontext. „Eigene Waffen“, und so…). Von fundierter Berichterstattung kann keine Rede sein. Auch in den vergangenen Tagen war es nicht besser. Meldungen zu Campi Flegrei sind auf einen drohenden Supervulkan-Ausbruch fokussiert. Ein Szenario, das sei hier nochmals betont, welches in der aktuellen Situation quasi ausgeschlossen werden kann. Auch eine Dokumentation im Schweizer Fernsehen, die vom INGV und den Behörden wegen ihrer Falschdarstellungen öffentlich kritisiert wurde, dient weiter als Informationsquelle, u.a. in aktuellen Berichten des MDR.

Ein Narrativ der Angst und Klickgier

Sollte in naher Zukunft im Großraum Neapel tatsächlich eine Katastrophe anstehen, sei es durch ein mögliches großes Erdbeben, eine realistische Dampfexplosion oder durch einen möglichen kleinen Vulkanausbruch, stehen die Behörden vor einer harten Aufgabe: Reale Lebensgefahren an Millionen Menschen zu vermitteln, die durch monatelange Beschallung mit Apokalypsenszenarien gleichzeitig verunsichert, aber auch betäubt sind. Die durch täglich erweiterte Gräben zwischen Informationskanälen die Orientierung verloren haben. Und gleichzeitig müssen Menschen, die nicht in Gefahr sind, durch zu erwartende internationale Medienhysterie (ist diese überhaupt noch steigerbar?) geleitet werden, um Eskalation und Massenpanik während der Evakuierung zu verhindern.

Die kommende Katastrophe, ob in einer Woche oder erst in 100 Jahren, wird verheerend. Und jede jetzt veröffentlichte Supervulkan-Meldung treibt die Opferzahl in die Höhe. Jeder Medienbericht der Frankfurter Rundschau, der Mitteldeutschen Zeitung, der Berliner Morgenpost und des MDR ist ein Todesurteil für Menschen in der Roten Zone der Campi Flegrei. Kein direkter Mord, aber ein schleichender Beitrag zu einer Naturkatastrophe, deren Drehbuch Online-Redaktionen verfassten. Im postfaktischen Zeitalter könnte Campi Flegrei nicht nur zum Grab von hilflosen Menschen werden, sondern auch zur letzten Ruhestätte des seriösen Journalismus, der aus reiner Klickgier und Menschenverachtung auch sich selbst ein (leider) verdientes Ende beschert.

One thought on “Campi Flegrei und die Angst vor Online-Medien

  1. Um ein Chaos zu vermeiden wäre eine Teilevakuierung von Vorteil. Die Zoo – Insassen zu evakuieren wird sicher ein Problem.Ich hoffe nur das die Verantwortlichen Entscheider ob und wann evakuiert wird es rechtzeitig handeln. Wenn es um Leben geht ist ein Risiko nicht angebracht!

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