Studie: Frühere Erdbeben über Magnitude 7 in den Niederlanden nachgewiesen

Um die Erdbebengefährdung in einer Region zu ermitteln, ist es wichtig zu wissen, welche Erdbeben in früheren Zeiten passiert sind und welche Folgen sie hatten. In ruhigeren Regionen, wo große Erdbeben sehr selten sind, reichen historische Aufzeichnungen für diese Einschätzung nicht. Dort muss man in den Boden schauen und hoffen, bei gezielten Grabungen Spuren von Erdbeben zu finden, die tausende Jahre alt sind. Dies wird zum Beispiel am Niederrhein seit 25 Jahren praktiziert um zu schauen, wie stark Erdbeben in vorhistorischer Zeit waren. Eine neue Studie hat nun erstmals Hinweise darauf gefunden, dass ein zuvor bereits bekanntes Beben im Süden der Niederlande vor rund 14.000 Jahren noch deutlich stärker als bisher bekannt.

Nahe der Kleinstadt Uden im Süden der Niederlande verläuft die Peelrand-Störung, einer der größten Bruchzonen am Niederrhein. Mit einer Geschwindigkeit von gerade einmal 0,1 Millimeter pro Jahr dehnt sich an dieser Störung die Erdkruste. Das heißt: Entlang der Nordwest-Südost-Achse, die dem Verlauf der Störung entspricht, wird die Erdkruste gegeneinander verschoben. Diese Bewegungen sind Teil großräumiger Prozesse, die das gesamte Niederrheingebiet umfassen. Ursächlich sind neben Fernwirkungen von der Alpenauffaltung auch durch Hebung der Eifel unter dem Druck tiefer magmatischer Prozesse sowie der Gletscherschmelze nach der letzten Eiszeit.

Verschiebungen in den Erdschichten als Überreste großer Erdbeben

Wie an fast jeder Störungszone finden solche Bewegungen nicht schleichend statt. Oft hakt es, sodass sich Spannungen über lange Zeit aufbauen können, die dann ruckartig in Form großer Erdbeben freigesetzt werden. Dann kommt es statt der jährlichen 0,1 Millimeter Bewegungsrate zu plötzlichen Verschiebungen von einem Meter, die sich über 10.000 Jahre aufgestaut haben. Und genau solche Verschiebungen lassen sich auch noch ferner Zukunft geologisch nachweisen. In Uden, zuvor als Abschnitt der Peelrand-Störung mit der höchsten Bewegungsrate identifiziert, haben Ronald Van Balen von der Universität Amsterdam und sein Team bei einer Grabung vier solcher Verschiebungen entdeckt.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Entwicklung der Peelrand-Störung und der geologischen Auswirkungen dortiger Erdbeben (aus Van Balen 2024)
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Entwicklung der Peelrand-Störung und der geologischen Auswirkungen dortiger Erdbeben (aus Van Balen 2024 unter CC-Lizenz)

Zeugnisse vier verschiedener Erdbeben in den Niederlanden, die sich in jüngerer geologischer Vergangenheit ereigneten. Den größten Versatz wies das älteste gefundene Beben mit rund 1,2 Metern auf. Mit der Radiokarbon-Methode bestimmten die Forscher ein Alter des Bebens von etwa 15.000 Jahren. Ein zweites Beben nur ein Jahrtausend später mit einem Versatz von rund einem Meter ist aber besonders hervorzuheben. Denn dieses wurde bereits durch frühere Grabungen entlang der Peelrand-Störung nachgewiesen. In den Orten Bakel (2014) und Neer (1999) im Süden der Niederlande wurden Versätze von einem, bzw. einem halben Meter nachgewiesen. Neer nahe der Stadt Roermond an der deutschen Grenze liegt 55 Kilometer von Uden entfernt.

Um über Grabungen auf die Stärke der früheren Erdbebe zu schließen, gibt es zwei Ansätze: Die Größe der gefundenen Verschiebung sowie die Länge der aktiven Störung. Hat man nur eine Grabung, die ein Erdbeben nachweist wie beim Beben vor 15.000 Jahren, ist nur der Weg über die Verschiebung möglich. 1,2 Meter entsprächen gemäß empirischer Berechnungen (Wells&Coppersmith 1994) einer Magnitude von 6.6 bis 6.9. Zur Berechnung benötigt man jedoch entweder den durchschnittlichen oder den maximalen Versatz. Bei großen Erdbeben, die über viele Kilometer reichen, wäre es großer Zufall, genau den richtigen Grabungsort zu finden, um diesen Wert zu erhalten.

Stärkstes Erdbeben in der Geschichte der Niederlande

Sicherer ist der Weg über die Länge der Störung. Der Nachweis an drei Stellen deutet darauf hin, dass der Bruch des Erdbebens alle drei Orte umfasste. Gemäß den Berechnungen ergibt sich für diese Länge, also der Distanz Uden-Neer (55 km) eine Magnitude von etwa 7.1. Van Balen spricht in seiner Veröffentlichung ebenfalls von einer Magnitude von etwa 7 für dieses Beben. Frühere Arbeiten (Van Balen 2021) schätzten das Beben mit damals vorliegenden Daten auf lediglich Magnitude 6.8. Auch das ältere vor 15.000 Jahren könnte basierend auf dessen Versatz Magnitude 7 erreicht haben. Damit sind es die stärksten bisher in den Niederlanden nachgewiesene Erdbeben, die auch Funde auf deutscher Seite gefundenen Beben übertreffen.

Die Auswirkungen eines solchen Erdbebens, dessen Bruch sich über mindestens 55 Kilometer erstreckt, zeigt folgende Karte.

Abbildung 2: Berechnete Intensität eines Erdbebens der Stärke 7 an der Peelrand-Störung zwischen Uden und Neer. Grafik und Berechnung: Erdbebennews.de
Abbildung 2: Berechnete Intensität eines Erdbebens der Stärke 7 an der Peelrand-Störung zwischen Uden und Neer im Süden der Niederlande. Grafik und Berechnung: Erdbebennews.de

Zwei weitere von Van Balen nachgewiesene Erdbeben ereigneten sich deutlich später und waren schwächer. Das jüngste Beben hinterließ dabei keinen Versatz. Stattdessen lassen Überreste eines menschengemachten Weges sowie eine zerstörte Mauer parallel zur Störung auf ein starkes Beben schließen. Die Autoren datierten diese Ruinen auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ebenso zeugen Strukturen in den Erdschichten von Druckeinwirkungen, wie es bei einem Erdbeben der Fall ist. Ein solches Beben wäre wohl vergleichbar mit dem Roermonder Erdbeben 1992 (M5.9). Dieses ereignete sich ebenfalls an der Peelrand-Störung, führte aber nicht zu einem Bruch an der Oberfläche.

Verstärkte Erdbebenaktivität in den Niederlanden durch Gletscherschwund

In Erdbebenkatalogen, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, ist ein entsprechendes Erdbeben nicht zu finden. Im Jahr 1223 kam es zwar zu einem Schadensbeben in Köln, das auch in Düren und Aachen verspürt wurde. Uden in den Niederlanden als wahrscheinliches Epizentrum liegt dafür aber dazu weit entfernt. Einen möglichen Hinweis auf ein Beben liefert lediglich die Erdbebenchronik von Sieberg aus dem Jahr 1940. Diese spricht von einem „Große[n] Erdbeben am Niederrhein, gemeldet aus Köln und Koblenz“ im August 1214.

Mit den Erdbeben vor rund 15.000 und 14.000 Jahren folgen weitere Nachweise großer Erdbeben am Niederrhein zum Ende der letzten Eiszeit. Die Autoren der Studie sehen dabei einen klaren Zusammenhang. Durch den Druck die kilometerdicken Eismassen in Nordeuropa habe sich die Erdkruste außerhalb des vergletscherten Bereichs gehoben. Mit dem Schmelzen der Gletscher, das zur Hebung in Nordeuropa führte, setzte im vormaligen Hebungsbereich Senkungs- bzw. Dehnungsbewegung ein. Diese verstärkten am Niederrhein die tektonisch bedingten Dehnung und führten kurzzeitig zu stark erhöhte Erdbebenaktivität.

Nachweise von Beben, die danach oder davor passierten, zeugen jedoch davon, dass diese Ausgleichsbewegung der Gletscherschmelze nicht der alleinige Auslöser der Erdbebenaktivität sind und so auch in Zukunft große Erdbeben zu erwarten sind, wenn auch deutlich seltener als einmal pro Jahrtausend. Mit dem Roermond-Erdbeben 1992 und dem Uden-Erdbeben (M5.0) 1932 gab es zudem im 20. Jahrhundert zwei stärkere Beben an der Peelrand-Störung

Große Erdbeben im Süden der Niederlande auch in Zukunft möglich

Mit dem Nachweis von Beben über Magnitude 7 wurde nun bestätigt, was zuvor schon vermutet wurde. Die Länge der Störungen am Niederrhein von teils über 100 Kilometern deutete bereits auf die Möglichkeit sehr großer Beben hin. Zwar bleiben noch Unsicherheiten, da auch mehrere schwächere Beben binnen sehr kurzer Zeit ursächlich für die Verschiebungen sein können. Eine ähnliche Kettenreaktion ereignete sich zum Beispiel im vergangenen Jahr in Afghanistan.

Allerdings ist es auch denkbar, dass der Bruch noch größer war und sich weiter Nach Norden über Uden hinaus erstreckt hat. Die Peelrand-Störung verläuft nachweislich bis nach Utrecht. Im Süden geht die Peelrand-Störung zudem in die Rurrand-Störung über, die auf deutscher Seite bis nach Düren verläuft. Mit den neuen Erkenntnissen sollte ein Erdbeben über Stärke 7 in den südlichen Niederlanden und angrenzenden Gebieten Nordrhein-Westfalen spätestens ab jetzt auch als realistisches Szenario für zukünftige Beben betrachtet werden.

Originalveröffentlichung

Van Balen, R. T., Lapperre, R. E., Woolderink, H. A. G., Wallinga, J., & Kasse, C. (2024). Magnitudes and surface rupture lengths of paleo-earthquakes at the NW-part of the Peel Boundary fault zone, Roer Valley Rift System. Tectonophysics, 230322. https://doi.org/10.1016/j.tecto.2024.230322

Weitere Literatur

Van Balen, R. T., Bakker, M. A. J., Kasse, C., Wallinga, J., & Woolderink, H. A. G. (2019). A late glacial surface rupturing earthquake at the Peel boundary fault zone, Roer Valley Rift System, the Netherlands. Quaternary Science Reviews218, 254-266.

Van den Berg, M., Vanneste, K., Dost, B., Lokhorst, A., Van Eijk, M., & Verbeeck, K. (2002). Paleoseismic investigations along the Peel Boundary Fault: geological setting, site selection and trenching results. Netherlands Journal of Geosciences, 81(1), 39-60.

Sieberg, A. (1940). Beiträge zum Erdbebenkatalog Deutschlands und angrenzender Gebiete für die Jahre 58 bis 1799. na.

Wells, D. L., & Coppersmith, K. J. (1994). New empirical relationships among magnitude, rupture length, rupture width, rupture area, and surface displacement. Bulletin of the seismological Society of America84(4), 974-1002.