Nach dem Erdbeben auf der Insel Lombok hat Indonesien nun mit den Folgen einer zweiten geologischen Katastrophe zu kämpfen. Nun, am zweiten Tag nach dem Erdbeben, ist klar, dass die Folgen um ein Vielfaches schlimmer sind als vor sechs Wochen auf Lombok. Dabei ist das gesamte Ausmaß noch völlig unklar. Ebenso bleiben noch viele Fragen zu Faktoren offen, die die Katastrophe maßgeblich beeinflusst haben.
Im Folgenden eine Zusammenfassung der Ereignisse, der Entstehungsgeschichte und den Gründen, warum dieses Erdbeben so katastrophale Auswirkungen hatte.


Der Ort

Sulawesi ist eine der nördlichen Inseln von Indonesien. Mit etwa der halben Fläche von Deutschland gehört sie zu den größten Inseln des Archipels, die etwa 17 Millionen Einwohner hat Die meisten Menschen leben in den größeren Städten der Insel, vor allem auf der Minahasa-Halbinsel im Norden sowie in der Inselhauptstadt Makassar. Aber auch Palu, die Stadt, die von Erdbeben und Tsunami betroffen war, gehört zu den Ballungszentren.

Im Gegensatz zu den Inseln des Sunda-Bogens (Sumatra, Java, Lombok, etc.) liegt Sulawesi nicht an einer größeren Subduktionszone. Entsprechend gibt es auch kaum aktive Vulkane. Die Ausnahme stellt der Nordosten der Minahasa-Halbinsel dar.
Erdbebengefahr geht auf Sulawesi vor allem von den Störungszonen im Inland aus. Die größte Störungszone, die Palu-Koro-Störung (PKS), verläuft von der Westküste Minahasas bis ins Zentrum Sulawesis, wo sie in die nach Südosten abzweigende Matano-Störungszone übergeht.

Bei beiden Störungszonen handelt es sich um sinistrale Strike-Slip Verschiebungen. Das heißt, dass sich der östliche Teil der Insel entlang dieser Störungen relativ nach Norden, bzw. Nordwesten verschiebt.
Da beide Störungszonen sehr groß sind und keine reine Horizontalverschiebung vorliegt, haben sich im Laufe der Zeit einige Abschiebungen gebildet, woraus sich durch starke Erosion breite Flusstäler gebildet haben.

Auch das Tal des Palu, an dessen Mündung die gleichnamige Großstadt liegt, hat sich aufgrund des komplexen Störungssystems gebildet, ebenso die zugehörige Mündungsbucht (Ästuar). Zahlreiche tektonische Strukturen und historische Erdbebenaktivität belegen, dass die PKS aktiv ist und eine recht hohe Versatzrate aufweist. Hinzu kommt die große Länge der Störung, was sehr große Erdbeben ermöglicht.

Die Erdbebensequenz

Erdbebensequenz auf Sulawesi mit Lage der Palu-Koro-Störungszone

Bereits am 21. September und damit eine Woche vor dem Hauptbeben begann an der PKS eine Vorbebensequenz, die noch immer einige Fragen aufwirft. Die ersten Erdbeben wurden nicht in der Nähe des Hauptbebenherdes an der Westküste Minahasas registriert, sondern über 100 Kilometer weiter südlich nahe der Stadt Palu. Mit unter Magnitude fünf blieben diese Erdbeben ohne nennenswerte Auswirkungen. Sie trugen jedoch später dazu bei. binnen kurzer Zeit die Ausmaße des Hauptbebens abzuschätzen.
Das „richtige“ Vorbeben ereignete sich knapp vier Stunden vor dem Hauptbeben und hatte sein Epizentrum im Donggala-Distrikt nördlich von Palu. Mit Mw 6.0 ist es bislang das zweitstärkste Beben der Sequenz. Es führte zu einigen Schäden in nahe gelegenen Dörfern. Mehrere Dutzend Gebäude seien eingestürzt, wodurch eine Person ums Leben gekommen ist und zahlreiche weitere verletzt wurden, wie der Katastrophenschutz drei Stunden nach dem Beben mitteilte. Eine genaue Auswertung der Vorbebenschäden wurde durch das Auftreten des Hauptbebens verhindert.
Um 12:02 Uhr MESZ am 28. September kam es zur Katastrophe mit Magnitude 7.5, die ihren Ursprung ebenfalls im Donggala-Distrikt nahm. Von dort breitete sich das Erdbeben entlang der PKS nach Norden und Süden aus.

Ob andere tektonische Ereignisse, möglicherweise ein großräumiges Slow-Slip Ereignis aufgrund von Fluidbewegungen in der mittleren Erdkruste Vor- und Hauptbeben ausgelöst haben, ist bisher nur Spekulation, würde aber die doch ungewöhnliche Vorbebenaktivität erklären.

Berechnungen des USGS noch am selben Tag ergaben eine ungefähre Länge des Bruchs von 160 Kilometer, wobei eine gleichmäßige Ausbreitungslänge in beide Richtungen angenommen wurde.
Andere Modellierungen lassen auf eine überwiegende Ausbreitung nach Süden hin schließen. Genauere Berechnungen stehen noch aus.


Nicht einbezogen sind bisher mögliche weitere Brüche entlang der kleineren Abschiebungen.
Was durch geodätische Daten und Felduntersuchungen inzwischen klar ist, dass sich der Bruch bis über Palu hinaus nach Süden erstreckte. Durch die Lage der Vorbeben hat sich dies bereits angedeutet, womit unmittelbar nach dem Beben klar war, dass die Großstadt trotz der gewissen Distanz zum Epizentrum die vollen Auswirkungen zu spüren bekommen hat.

Die Lage der Nachbeben bestätigt diese Beobachtungen, wobei sich große Unsicherheiten ergeben. Mit Ausnahme der ersten Stunden ist die Nachbebenaktivität sehr gering. Besonders am Sonntag wurden nur noch sehr wenige Nachbeben aufgezeichnet, was für ein Hauptbeben dieser Stärke sehr überraschend ist, aber nicht bedeutet, dass sich diese geringe Aktivität in den kommenden Wochen fortsetzt.
Die südlichsten Nachbeben traten bis zu 180 km südlich vom ursprünglichen Erdbebenherd auf, die nördlichsten nur 40 Kilometer nördlich. Eine Bruchlänge von 220 Kilometern scheint aufgrund der ermittelten Magnitude von Mw 7.5 und des beobachteten Versatzes äußerst unwahrscheinlich. Wo genau die Grenzen des Erdbebens lagen, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
Somit scheint es sicher, dass viele der Nachbeben im Inselinneren getriggerte Erdbeben sind, wahrscheinlich sogar an anderen Störungszonen als der PKS. Dies dürfte das Risiko neuer starker Erdbeben in diesen Regionen zudem deutlich erhöht haben. In naher Zukunft besonders gefährdet ist das südlichere Segment der PKS, das nicht im aktuellen Erdbeben involviert gewesen ist.

Der Tsunami

Kurz nach dem Erdbeben war durch Berechnungen bekannt, was durch die tektonische Situation bereits angedeutet wurde: Der Versatz entlang der Störung war überwiegend horizontal (strike-slip). Ein Bruchmechanismus, bei dem in der Regel (!) kein nennenswerter Tsunami generiert wird.
Die von der Indonesischen Meteorologiebehörde unmittelbar nach dem Erdbeben veröffentlichte Tsunami-Warnung wurde entsprechend schnell wieder aufgehoben.

Überraschend und tragisch, dass sich die Regel hier nicht bestätigte: Mindestens vier Tsunami-Wellen, wobei scheinbar die dritte die größte gewesen ist, haben über einen Zeitraum von rund 30 Minuten die Stadt Palu getroffen. Eine Wellenhöhe von vier bis sechs Metern wird geschätzt, was sogar die initiale Warnung übertreffen würde.

Unabhängig von den (gravierenden) Folgen des Tsunamis bleiben zur Zeit noch viele Fragen zur Entstehungsgeschichte der Wellen offen. Drei mögliche Szenarien zum Bruchverhalten und möglichen Sekundäreffekten, die zur Entstehung beigetragen haben könnten, ergeben sich zur Zeit:

    1. Tsunami durch horizontale Verschiebung
      Auch wenn es nur selten vorkommt, kann auch eine horizontale Verschiebung unter dem Meer zu einem kleineren Tsunami führen. Risklayer hat (nach dem Beben) einen solchen Fall modelliert, der den realen Beobachtungen relativ nahe kommt. In diesem Fall haben die topographischen Bedingungen, also der sich nach Süden schließende Ästuar, zu einer signifikanten Verstärkung des ursprünglich kleinen Tsunamis geführt. Bis Palu, welches am Ende des Ästuars liegt, habe die Welle eine Höhe von mehreren Metern erreicht.

    2. Untermeerischer Erdrutsch
      Die Topographie sowohl an Land als auch vor der Küste ist sehr steil. Das Erdbeben führte auf der Insel zu zahlreichen Erdrutschen. Möglich (bzw. wahrscheinlich) sind daher auch Erdrutsche im Meer. Bei besonders massereichen Erdrutschen kann ein Tsunami entstehen, der auch für Küsten gefährlich wird. Die Meteorologiebehörde simulierte diesen Fall mit einem untermeerischen Hangrutsch im Bereich des Epizentrums. Auch hier hätte die Form des Ästuars zur Höhe der Welle beigetragen, während sonstige Küsten quasi verschont geblieben wären.

    3. Tsunami durch Abschiebung
      Ein noch nicht modelliertes aber angesichts der komplexen Tektonik denkbares Szenario wäre, dass der Tsunami durch Versatz an einer Abschiebung im Bereich des Epizentrums oder des Ästuars ausgelöst worden ist. Die dabei auftretende vertikale Verschiebung des Gesteins führt zur Bildung der Wellen. Ähnliches ist beim Kaikoura-Erdbeben in Neuseeland 2016 aufgetreten, wo mehrere Störungen beim Erdbeben gebrochen sind.
      Dass beim Sulawesi-Erdbeben mehrere Störungen aktiv gewesen sind, gilt als wahrscheinlich, wurde aber noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen.

Es wird Zeit brauchen, bis die Ursache des Tsunamis abschließend geklärt ist. Dass hier eine Tsunami-Warnung möglicherweise zu früh aufgehoben wurde, ist den nur schwer kalkulierbaren Umständen geschuldet. Umstände, die Menschenleben gekostet haben, aber für die Zukunft eine Warnung sein werden.

Erdrutsche

Nicht nur ein möglicher tsunamigenerierender Erdrutsch steht bei diesem Erdbeben im Fokus. Bilder von massiven Bodenbewegungen, die Häuser versetzen und Infrastruktur zerstören, werden im Internet verbreitet. Hinzu kommen die vielen kleineren ungefilmten Massenbewegungen, die dazu führten, dass noch immer ein Großteil der betroffenen Region von der Außenwelt abgeschnitten ist und auch zwei Tage nach Beginn der Katastrophe noch nicht für Rettungskräfte erreichbar gewesen ist. Einer der Hauptgründe, warum noch Wochen vergehen könnten, bis das volle Ausmaß der Katastrophe bekannt sein wird.

Ein besonders spektakulärer lateraler Erdrutsch wurde hier gefilmt und zeugt von einer extrem hohen Erdbebenintensität.

Solch horizontale Erdrutsche entstehen durch Verflüssigung von tieferen Bodenschichten infolge der starken Erdbebenwellen. Dies führt dazu, dass die oberhalb liegende Schicht selbst bei nur sehr geringer Hangneigung in Bewegung geraten kann. Im Gegensatz zu Erdrutschen an Steilhängen ist die Bewegung relativ langsam.

Satellitenaufnahmen belegen weitere Erdrutsche, überwiegend in unbesiedelten Waldgebieten.

Weiterhin bleibt aber auch hier der Status, dass die Situation in vielen Gebieten bisher unbekannt ist. Es kann also sein, dass Erdrutsche katastrophalen Vorfällen ähnlich wie in Japan vor vier Wochen geführt haben. Das Potential dafür (Siedlungen an Steilhängen) ist im Erdbebengebiet gegeben.

Oberflächenverschiebungen

Die tektonischen Prozesse eines Erdbebens sind besonders spektakulär (und verheerend), wenn sie ganze Landstriche sichtbar verschieben.
In den zuvor vorgestellten Modellierungen des Bruchs wird eine überwiegend horizontale Verschiebung des Gesteins um rund sieben Meter angenommen. Ein Versatz, der nur bei sehr großen Erdbeben erreicht wird. Solch große Erdbeben haben die Eigenschaft, dass sich der Bruch über die seismogene Zone (ca. 2 bis 15 Kilometer tief in der Kruste) hinaus fortsetzt und so auch die Oberfläche entlang einer sichtbaren Kante (Störung) verschieben kann. Dies geschah ebenfalls beim Sulawesi-Erdbeben. Dort, wo die Störung an Land verläuft, ist dieser Versatz sichtbar. In diesem Fall am Stadtrand von Palu, wie folgende Satellitenaufnahmen zeigen.

Nicht nur direkt im Bereich der Störung hat diese massive Bewegung zur Zerstörung der Infrastruktur beigetragen.
Neben den sichtbaren horizontalen Bewegungen kam es zudem zum Absenken einiger Gebiete, die dadurch teilweise vom Meer überschwemmt wurden.

Die Auswirkungen

In einer am Sonntagmorgen (30. September, MESZ) durchgeführten Pressekonferenz sprach der Katastrophenschutz von insgesamt 832 bestätigten Todesopfern. Das ist schon jetzt das weltweit tödlichste Erdbeben seit 2015 (damals in Nepal). 821 der Opfer stammten demnach aus Palu. Nicht, weil Palu als einziger Ort schwer betroffen war. Sondern weil Palu als einziger Ort über genug verbliebene Infrastruktur verfügt, um die Arbeit der Rettungskräfte zu ermöglichen. Und selbst dort gelten noch viele Menschen als vermisst. Menschen, die vom Tsunami fortgespült wurden. Menschen, die unter den Trümmern tausender zerstörter Gebäude begraben sind. Opfer, die auch in hunderten anderen kleineren Siedlungen zu beklagen sein dürften, wovon die Weltöffentlichkeit bisher nichts weiß. Hunderte, vielleicht tausende Opfer, die noch in keiner offiziellen Statistik vertreten sind.

Die Erdbebenkatastrophe von Lombok mit über 500 Toten, die vor nicht mal zwei Monaten (auch wegen der touristischen Bedeutung der Insel) weltweit in den Schlagzeilen war, wurde hier um ein Vielfaches überboten. Für Indonesien ist es die größte Katastrophe seit dem Erdbeben in Yogjakarta 2006, möglicherweise seit dem Tsunami 2004.
Zu diesen verheerenden Auswirkungen beigetragen haben neben dem eigentlichen Erdbeben die gesamte Bandbreite von Sekundäreffekten am oberen Ende der potentiellen Zerstörungskraft: Von einem relativ überraschend starken Tsunami, über massive Erdrutsche, horizontale Oberflächenverschiebung, Subsidenz bis zu Bodenverflüssigung. Alles, was ein Erdbeben zur Katastrophe werden lassen kann. Alles in einer dicht besiedelten Großstadt.