In den Tagen und Wochen nach einer Erdbebenkatastrophe stehen zunächst die Opfer und ihr persönliches Leid im Vordergrund. Rettungskräfte suchen Vermisste, Hilfsorganisationen betreuen und versorgen die Menschen, die alles verloren haben. Katastrophen wie diese sind es, die nicht nur emotionale Geschichten schreiben, sondern uns immer wieder aufs Neue zeigen, was möglich ist und was man in der Vergangenheit falsch eingeschätzt hat. So wird auch das Sulawesi-Erdbeben (M7.5) vor elf Tagen seinen Beitrag zu neuen Kapiteln in diversen Lehrbüchern geleistet haben. Wichtiger noch: Einen Beitrag zur Betrachtung seismischer Gefährdung bei zukünftigen Erdbeben.

Eine der wichtigsten Lektionen lehrt uns die immense Opferzahl des Erdbebens. Mit inzwischen 2010 bestätigten Todesopfern (Stand: 9. Oktober, 17 Uhr) ist das Sulawesi-Erdbeben das weltweit tödlichste Erdbeben seit 2015 (Nepal). Bei noch tausenden vermissten Personen könnte die Opferzahl im Laufe der Woche auf über 7000 steigen. Damit müsste das Sulawesi-Erdbeben die größte Erdbebenkatastrophe der vergangenen Jahre gewesen sein. Sollte man denken.
Trotz der vielen Toten wird das Palu-Erdbeben in der Liste der verheerendsten Erdbeben 2018 zur Zeit nur auf dem zweiten Platz geführt. Mit einem Impaktwert von 3,84 liegt es noch deutlich hinter dem Lombok-Erdbeben (M6.8; 4,12) im August, hatte somit nur knapp die Hälfte der Auswirkungen. Dabei ist die Opferzahl fast viermal so hoch. Selbst wenn die Opferzahl tatsächlich auf 7000 anstiege, wäre der Impaktwert mit 4,08 noch immer niedriger als beim Lombok-Erdbeben.

Was zunächst wie ein Widerspruch erscheint, verrät viel über die Unterschiede der beiden Erdbeben und über ihre Auswirkungen. Um zu verstehen, was der Impaktwert bedeutet, muss man zunächst die Hintergründe betrachten.

Liste der Erdbeben mit dem höchsten Impaktwert seit 2017 (ohne Sulawesi-Erdbeben am 28. September 2018)

Seit 2017 wird für jedes Schadenserdbeben, das in der Earthquake Impact Database gelistet ist, ein Impaktwert berechnet. In die Berechnung fließen neben den Opferzahlen und die Anzahl der Verletzten auch die Menge der Gebäudeschäden ein, wenn auch mit einem geringeren Faktor. So entsprechen 40 zerstörte Gebäude im Moment dem Zahlenwert eines Todesopfers. Dabei sind sowohl Auswirkungen des Erdbebens, als auch aller vom Beben ausgelösten Sekundäreffekte (Tsunami, Erdrutsche, Bodenverflüssigung) berücksichtigt.
Das Wertverhältnis von Todesopfer zu zerstörten Gebäuden entspricht dem Verhältnis der vergangenen Jahre. Heißt: Seit 2013 kamen auf jeden Menschen, der bei einem Erdbeben ums Leben gekommen ist, 40 vom Erdbeben zerstörte Gebäude.

Der ungewöhnlich niedrige Impaktwert des Sulawesi-Erdbebens lässt sich also mit einer starken Abweichung vom Mittel der letzten Jahre erklären: Das Verhältnis von Todesopfern zu sonstigen Effekten ist weit vom Durchschnittswert entfernt. Diese starken Abweichungen lassen auf zwei Dinge schließen:

  1. Das Erdbeben selbst war für seine Stärke relativ harmlos
  2. Der Großteil der Todesopfer geht auf Sekundäreffekte zurück

Bereits zuvor haben nähere Auswertungen der Erdbebenschäden ergeben, dass die Intensität des Erdbebens im Umfeld der Bruchzone ungewöhnlich niedrig war. Einige Berechnungen ergeben sogar nur Intensität VII in Palu, was angesichts der Verschiebung um bis zu acht Meter an der Störung im Westen der Stadt sehr wenig ist. Grund für die geringe Intensität ist dabei der Bruchmechanismus. Bei solchen „Super Shear“ Erdbeben breitet sich der Bruch ungewöhnlich schnell mit mehreren Kilometern pro Sekunde entlang der Störung aus. Dies führt dazu, dass vergleichsweise wenig Energie in Form von kurzperiodischen seismischen Wellen freigesetzt wird, also der Wellentyp, der bei normalen und einfachen Gebäuden die meisten Schäden verursacht.

Da es also nicht die einstürzenden Gebäude gewesen sind, die zum Tod von Menschen geführt haben, bleiben nur die Sekundäreffekte. Tatsächlich sind es vor allem Erdrutsche, aber auch der getriggerte Tsunami gewesen, die das Erdbeben zu einer solchen Katastrophe gemacht haben.

In oben stehender Grafik sind die Impaktwerte aller tödlichen Erdbeben 2017 sowie einiger ausgewählter großer Beben vorangegangener Jahre gegen die Opferzahl aufgetragen. Die offiziellen (orange) und geschätzten (rot) Werte des Sulawesi-Bebens sind markiert. Zu sehen ist, dass beide deutlich vom Durchschnittswert (blaue gestrichelte Linie) abweichen und, besonders die geschätzte Opferzahl, sich der Definitionsgrenze nähern, also dem kleinstmöglichen Impaktwert bei jeweiliger Opferzahl (orangene Linie). Eine ähnliche Annäherung an diesen Wert hat es, mit Ausnahme häufigerer kleinerer Erdbeben mit indirekten Opfern durch Herzinfarkte, etc., zuletzt 2011 beim Tohoku-Erdbeben in Japan gegeben, wo rund 95% der Opfer beim Tsunami ums Leben gekommen sind.

Bei gegebenem Impaktwert müsste, gemäß dem gezeigten Mittelwert, für das Sulawesi-Erdbeben eine bereinigte Opferzahl (ohne Sekundäreffekte) von ca. 200 bis 600 zu erwarten sein. Heißt: Bei final 7000 Opfern wären 90-95% aller Toten die Folge von Erdrutschen, Bodenverflüssigung und Tsunami.

 

Die Statistik zeigt somit, dass das Sulawesi-Erdbeben selbst trotz der enormen finalen Opferzahl nicht so verwüstend war, wie vergleichbare Beben. Es waren überwiegend die Sekundäreffekte, vor allem Erdrutsche, die Gebäude zerstört und Leben gefordert haben. Eine Situation, die sich auch auf andere Erdbeben übertragen ließe und zeigt, dass die Größe eines Erdbebens selbst wenig über die Gefährlichkeit aussagen muss. Sind die Umstände ungünstig, können selbst vermeintlich harmlosere Erdbeben katastrophale Auswirkungen haben.