Der Südosten Europas erlebt zur Zeit einige sehr unruhige Tage. Nach dem verheerendsten Erdbeben in Albanien seit über 80 Jahren, bei dem mindestens 27 Menschen ums Leben gekommen sind, erschütterten zwei weitere Beben die Region: Ein Beben der Stärke 5.2 nahe der bosnischen Stadt Mostar, das landesweit stärkste Erdbeben seit 10 Jahren, das Gebäudeschäden und zwei Verlezte hinterlies, sowie ein starkes Beben mit Stärke 6.0 vor der Küste von Kreta, welches ebenfalls Gebäudeschäden verursachte.
Drei solcher Erdbeben innerhalb von rund 30 Stunden sind selbst für den seismisch aktiven Südosten Europas kein Alltag. Daher stellt sich vielen die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen diesen Erdbeben gibt.
Hintergründe zum Albanien-Erdbeben (zum besseren Verständnis des weiteren Textes zu empfehlen)
Errechnetes Schüttergebiet des Albanien-Erdbebens. Es umfasst unter anderem auch die Region um Mostar.
Grundsätzlich gilt: Alle starken Erdbeben sind dazu in der Lage, weitere Erdbeben auszulösen. Meist beschränkt sich dies auf Nachbeben in der direkten Umgebung, wie bei (fast) jedem großen Erdbeben auftreten. Dabei sind Nachbeben in der Regel eine Art „Nachrutschungen“ von Gesteinsmassen, die beim Hauptbeben nicht oder nicht vollständig verschoben wurden und so aufgrund des Drucks des umgebenden Gesteins wenig später folgen müssen. Da sich die Verschiebung eines Erdbebens auch noch Tage nach dem Ereignis als sogenanntes „postseismisches Kriechen“, das von Menschen nicht wahrgenommen werden kann, fortsetzt, können dadurch zusätzlich Nachbeben begünstigt werden. Dies kann innerhalb der Bruchfläche passieren oder an unmittelbar angrenzenden Störungen.
Das Albanien-Erdbeben geht auf eine Überschiebungszone („Dinarischen Kollisionszone“) zurück, die von Griechenland entlang der Westküste des Balkan bis zu den Alpen verläuft. Das heutige Kreta-Erdbeben geht zum Teil auch auf eine Überschiebung zurück, nämlich auf die Hellenische Subduktionszone, die unmittelbar im Süden an die Dinarischen Kollisionszone anschließt. Von direkter Nachbarschaft kann bei diesen beiden Erdbeben dennoch nicht die Rede sein, da die Epizentren über 700 Kilometer auseinander liegen. Näher zusammen aber immer noch in guter Distanz zueinander liegen Albanien und das Mostar-Erdbeben mit rund 200 Kilometern. Für direkte Nachbeben immer noch zu weit weg. Zudem geht das Mostar-Erdbeben nicht direkt auf die Dinarischen Kollisionszone zurück, sondern auf eine horizontale Verschiebung im Inland der Balkan-Halbinsel.
Datum | Magnitude | Ort | Intensität |
12. Oktober 1851 | 6.8 | Vlora | IX |
März 1270 | 6.7 | Durres | X |
17. Oktober 1851 | 6.6 | Beres | IX |
5. April 1701 | 6.6 | Gjirokastra | IX |
1. Juni 1905 | 6.6 | Shkodra | X |
Die fünf stärksten Erdbeben in Albanien in historischer Zeit (Magnitude geschätzt)
Die Erdbeben in Bosnien und Kreta als Nachbeben zu bezeichnen, ist somit falsch. Jedoch gibt es noch zwei andere Möglichkeiten, wie ein Erdbeben ein anderes verursachen kann:
So wie Nachbeben auf einen begrenzten Raum nahe des ursprünglichen Erdbebenherdes beschränkt ist das sogenannte Static Triggering. Das Prinzip basiert darauf, dass durch die plötzliche (dauerhafte = static) Verschiebung im Gestein in benachbarten Regionen die Spannungsverhältnisse geändert werden. Dies kann, abhängig von Erdbebentyp und Störungsgeometrie, in eine Richtung die Gefahr eines weiteren Erdbebens drastisch reduzieren und in eine andere das genaue Gegenteil bewirken. Dieser Vorgang kann selbst bei „kleineren“ Erdbeben im Bereich von Magnitude 5 auftreten, wobei die Größe des beeinflussten Gebietes proportional zur Erdbebenmagnitude ist (die Magnitude des getriggerten Bebens wird aber nicht beeinflusst). Beispiele für Static Triggering sind zum Beispiel die Erdbebensequenz in Mittelitalien 2016 oder zahlreiche oberflächennahe Erdbeben in Japan nach dem Tohoku-Beben 2011, unter anderem direkt am Mt. Fuji.
Solche getriggerten Erdbeben können auch Monate, teils Jahre nach dem Hauptbeben auftreten. Denn die Spannungsänderung löst nicht unmittelbar Erdbeben aus, sondern bringt nur die unter Spannung stehende Störung näher ans Bruchkriterium. Die Wahrscheinlichkeit von Static Triggering nimmt mit zunehmender Entfernung zum Epizentrum schnell ab und kann somit zumindest beim Kreta-Erdbeben nicht mehr als Begründung herhalten. Und auch für das Bosnien-Erdbeben wird es sehr unwahrscheinlich.
Das zweite Prinzip, das Dynamic Triggering, ist grundsätzlich nicht räumlich beschränkt, doch treten die getriggerten Erdbeben meist binnen Stunden oder weniger Tage nach dem ursprünglichen Erdbeben auf. Damit Dynamic Triggering erfolgen kann, muss zum Einen vom Ursprungsbeben eine immense Energie in Form von seismischen Wellen abgestrahlt werden (=sehr hohe Magnitude). Zum Anderen muss die Störung des zu triggernden Bebens bereits sehr stark unter Spannung stehen, sodass ein dortiges Beben in naher Zukunft sowieso passiert wäre.
Sind beide Kriterien erfüllt, geschieht Folgendes: Vom Ursprungsbeben, das deutlich stärker als Magnitude 7 ist, werden seismische Wellen um den Globus geschickt. Diese führen zu Schwingungen in der Erdkruste (=dynamic), die von Menschen als das eigentliche Erdbeben wahrgenommen werden können (in diesem Fall ist zu differenzieren zwischen dem „Erdbeben“, was die menschlichen Wahrnehmungen beschreibt, und dem „Erdbeben“, was die tektonischen, bzw. geophysikalischen Prozesse beschreibt, die ursächlich für die Erschütterungen sind). Treffen diese Schwingungen auf eine andere Störung, kann dort, abhängig von Schwingungsrichtung, Frequenzbereich, Energie und Störungsgeometrie, eine Spannung induziert werden. Befindet sich die zu triggernde Störung bereits kurz (Wochen, Monate) vorm Versagen (=Erdbeben), kann diese geringe Spannungsänderungen ausreichen, um das Erdbeben zu triggern.
Beispiele für durch Dynamic Triggering ausgelöste Erdbeben sind mehrere starke Erdbeben in Mexiko am 11. und 12. April 2012 (Ursprungsbeben: M8.6 Indonesien), oder in jüngerer Zeit ein Erdbebenschwarm am Vulkan Tenorio in Costa Rica, getriggert durch ein M7.5 vor der honduranischen Küste Anfang 2018.
Dieses Dynamic Triggering tritt besonders nach Strike-Slip Erdbeben (Blattverschiebung a la San Andreas Störung) auf, wobei getriggerte Erdbeben bevorzugt in Gebieten hoher geothermaler, bzw. vulkanischer Aktivität auftreten (Fluide in der Erdkruste spielen eine große Rolle). Als indirekter Weg ist auch das dynamische Triggern von Slow Slip Erdbeben, die wiederum große Erdbeben auslösen können, nachgewiesen.
Die Region um Mostar ist ein Gebiet, dass immer wieder von kleineren Erdbebenschwärmen erschüttert wird, man also von einer wahrscheinlich vorhandenen hydrothermalen Aktivität in der Erdkruste ausgehen kann, in der zudem die Störungszonen unter großer Spannung stehen. Eine kleine Spannungsänderung, zum Beispiel beim Durchlauf von seismischen Wellen des Albanien-Erdbebens, könnte also ausreichend gewesen sein, um „das Fass zum Überlaufen“ zu bringen.
Um mögliche Zusammenhänge zwischen Erdbeben zu diskutieren, muss man jedoch auch die Gegenseite betrachten: Zufall. Was spricht dagegen, dass es zufällig und unabhängig zwei starke Erdbeben innerhalb kurzer Zeit in benachbarten Regionen gibt?
Zunächst einmal nichts. Das unregelmäßige Auftreten von Erdbeben weltweit ermöglicht so manche seltsam anmutenden Konstellationen mit weltweit fünf schweren Erdbeben innerhalb von zwei Wochen und zu anderen Zeiten weltweit kein schweres Erdbeben für mehr als 6 Monate. Da erscheinen die Ereignisse in Südosteuropa weniger seltsam.
Für Bosnien und Albanien gilt: Beide Erdbeben waren die jeweils stärksten in ihrem Land seit 10, bzw. 52 Jahren. Dass beide am selben Tag innerhalb weniger Stunden auftreten, ist sehr unwahrscheinlich (aber nicht unmöglich), was der Theorie eines möglichen Zusammenhangs zumindest nicht entgegenspricht.
Anders sieht es beim Erdbeben auf Kreta aus. Zwar sind auch hier Erdbeben der Stärke 6 nicht unbedingt häufig. Doch fünf dieser Beben in den vorangegangenen 10 Jahren lassen ein zufälliges Zusammentreffen mit dem Albanien-Beben schon deutlich wahrscheinlicher werden.
Zusammengefasst: Das Mostar-Erdbeben war das landesweit stärkste seit 10 Jahren und ereignete sich nur wenige Stunden nach dem Albanien-Erdbeben, das in Mostar ebenfalls zu spüren war. Die Region ist bekannt für schwarmartig auftretende Erdbebenaktivität, auch in den vergangenen Monaten, was auf vorhandene Spannung und Störungen in der Kruste hindeutet. Die seismischen Wellen des Albanien-Erdbebens könnten also das letzte Bisschen an fehlender Spannung hinzugefügt haben, um ein größeres Erdbeben auszulösen, bzw. dessen Eintreffen zu beschleunigen.
Das Kreta-Erdbeben traf die seismisch aktivste Region Europas nur einen Tag nach dem Erdbeben in Albanien. Rund um Kreta kommt es alle paar Jahre zu schweren Erdbeben. Die große Distanz zu Albanien lässt es sehr unwahrscheinlich erscheinen, dass dieses rund um Kreta noch irgendwelche Einflüsse hatte.
Es gibt somit berechtigten Grund zur Annahme, dass es sich beim Erdbeben in Bosnien um ein vom Albanien-Erdbeben getriggertes Ereignis handelte. Anders beim Erdbeben auf Kreta, wo das meiste dagegen spricht und ein zufälliges Auftreten wahrscheinlicher ist.
Mit absoluter Sicherheit wird sich aber nicht bestimmen können, ob die Erdbeben getriggert wurden oder nicht.