Das heutige Erdbeben in Albanien ist eines der stärksten (und verheerendsten) der jüngeren Geschichte des Landes. Magnitude 6.4, mehrere Todesopfer, hunderte Verletzte und viele zerstörte Gebäude. Besonders die Lage des Epizentrums in der dicht besiedelten Hauptstadtregion zwischen Tirana und der Hafenstadt Durres machte das Erdbeben so gefährlich.
Doch das heutige Hauptbeben war nicht das erste. Die zugehörige Erdbebensequenz, die sich nun als Vorbeben herausstellen, begann bereits im Juli 2018 und hat schon zu dieser Zeit erste Schäden angerichtet.

Ein Blick auf die Hintergründe des Erdbebens, die Auswirkungen und einen möglichen Ausblick:

Intensitätsverteilung (ShakeMap) des heutigen Erdbebens: Leichte Erschütterungen waren in weiten Teilen der Balkan-Halbinsel und Italiens zu spüren. Noch in Mazedonien, Montenegro und im Kosovo war das Beben so stark, dass kleinere Schäden denkbar sind.

Tektonische Hintergründe

Albanien liegt an der Übergangszone von der Kalabrischen und Hellenischen Subduktionszone zur nördlich gelegenen Dinarischen Kollisionszone. Letztere bildet die tektonische Grenze zwischen der Eurasischen Platte und der kleinen Adriatischen Platte, welche als Teil der Afrikanischen Platte angesehen wird. Die Adriatische Platte weist unter dem Druck des südlichen Afrikanischen Kontinents eine Nord-Nord-Ost gerichtete Bewegung auf und stößt damit im Norden (Slowenien) mit der nach Osten driftenden Eurasischen Platte zusammen. Die Kollision setzt sich entlang der westlichen Balkan-Halbinsel nach Süden fort, so zusätzlich zur Kollision auch ein horizontaler Versatz zu beobachten ist. Ein Bewegungssinn, der sich exakt mit dem des heutigen Erdbebens deckt.

Diese tektonischen Prozesse und weitere, indirekte Dehnungsprozesse innerhalb der Balkan-Halbinsel führten zum heutigen Erscheinungsbild der Region mit lang gestreckten Tälern, Gebirgsketten und Inseln, die sich parallel zur Kollisionszone anordnen.

Die Landschaft rund um Durres und Tirana ist von den tektonischen Prozessen geprägt: NNW – SSE verlaufende Gebirgsketten und Täler entstanden aus zahlreichen geologischen Falten und Überschiebungen; ein Produkt der kontinentalen Kollisionszone, die entlang der westlichen Balkanhalbinsel von Griechenland bis hoch zu den Alpen verläuft. Karte: Google Maps

 

Historische Aktivität
Albanien gehört naturgemäß zu den seismisch aktivsten Ländern in Europa und wurde in der Vergangenheit immer wieder von schweren Erdbeben getroffen, auch wenn die vergangenen Jahrzehnte insgesamt eher niedrige Aktivität aufwiesen. Bedeutend ist besonders das Erdbeben in der südalbanischen Stadt Vlore (ca. M6.8) im Jahr 1851, bei dem tausende Menschen ums Leben kamen. Weitere verheerende Erdbeben trafen das Land unter anderem 1905 und 1967. Besonders beachtenswert ist eine Sequenz von über 10 starken Erdbeben, die Albanien Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb nur weniger Jahre erschütterte. Darunter mehrere Erdbeben in der heutigen Grenzregion zu Mazedonien , ein schweres Beben mit hunderten Toten nahe Himara sowie mindestens drei starke Erdbeben in Durres.
Überhaupt gehört die aktuell betroffene Region um Durres zu den am häufigsten von Erdbeben betroffenen Städten Albaniens. Schon zu römischen Zeiten, damals unter dem Namen Dyrrachium, wurde die Stadt wiederholt erheblich beschädigt, unter anderem in den Jahren 57, 334 und vor allem 346 sowie erneut 522. Im Mittelalter (u.a. rund um 1270) gab es weitere Erdbeben. Aus dieser Zeit bestehen allerdings Aufzeichnungslücken.

Keines der historischen Erdbeben war nachweislich stärker als Magnitude 7 (auch wenn bekannte Auswirkungen dies nicht kategorisch ausschließen). Das heißt das heutige Erdbeben gehörte zu den stärksten Beben in der Geschichte des Landes.

Historische Beispiele zeigen auch, dass Sequenzen mit mehreren schweren Erdbeben innerhalb kurzer Zeit keine Seltenheit waren, sondern eher die Regel. So wie auch 2019 im Ansatz zeigt.

Die aktuelle Sequenz

Ähnlich wie in historischer Zeit befinden wir uns auch aktuell in einer Sequenz, deren bisheriges Hauptbeben am 26. November auftrat.
Begonnen hat die Aktivität bereits im Juli 2018, damals noch relativ harmlos mit einem Erdbeben der Stärke 4.9 von Durres. Dieses hat bereits zu massiver Panik geführt, da es eine starke Vor- und Nachbebensequenz hatte. Die Schäden hielten sich in Grenzen. Nur einige Gebäude nahe Durres waren betroffen.

Erneut lebte die Aktivität im März 2019 mit mehreren kleinen Erdbeben innerhalb einiger Tage auf. Schäden verursachten diese nicht.

Das stärkste Vorbeben ereignete sich am 21. September 2019 und erreichte Magnitude 5.8. Dort waren die Auswirkungen bereits stärker. Über 600 Gebäude in Durres, Tirana und umliegenden Städten erlitten teils schwere Schäden, einige wurden komplett zerstört. Mehr als 130 Menschen wurden bei diesem verletzt. Die Schäden, die dieses Beben verursachte, waren der wunde Punkt, der die Auswirkungen des heutigen Bebens zusätzlich verschlimmerte.
Auch das Erdbeben im September war Teil einer intensiven Vor- und Nachbebensequenz.

So ist es auch wenig überraschend, dass dem Beben am 26. November ebenfalls einige Vorbeben vorausgingen, die bereits am 24. November einsetzten und vor allem in Durres und Tirana ob ihres wiederholten Auftreten für Panik sorgten und vielleicht Menschenleben retteten.
Die Bruchzone des heutigen Erdbebens erstreckte sich von Durres aus über eine Länge von rund 20 Kilometern parallel zur Küste und umfasst damit auch die Epizentralregionen aller Vorbeben.

Natürlich gibt es keine Möglichkeit, ein Vorbeben als solches zu identifizieren, bis das Hauptbeben eintritt. So war es nicht absehbar, dass sich diese monatelange Aktivität (zwischendurch kam es immer wieder zu kleineren Erdbeben, die vor allem auch schwarmartig auftraten) zu einem großen Ereignis mit potentiell katastrophalen Auswirkungen steigerten. Doch lässt diese Entwicklung bisher auch für die Zukunft ein unsicheres Gefühl.

Nachbebenprognose bis einschließlich Mittwochmorgen. Potentiell gefährliche Nachbeben über Intensität VI sind großräumig sehr wahrscheinlich. Entsprechende Vorkehrungen sollten getroffen werden. 

Weiterer Ausblick

Historische Beispiele mit mehreren schweren Erdbeben innerhalb einer Sequenz, kontinuierliche Aktivitässteigerung seit Monaten und eine sehr starke Nachbebensequenz (mit bereits einem Beben über Stärke 5.5) sind natürlich kein Versprechen dafür, dass das schlimmste nun vorbei ist. Und nein, es ist nicht möglich, eindeutig zu sagen, dass das heutige Erdbeben das endgültige Hauptbeben war. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den kommenden Tagen, Monaten, Jahren weitere schwere Erdbeben folgen, kann nicht angezweifelt werden. Doch ist sie nach Magnitude 6.4 zumindest nicht all zu hoch. Ob und wann ein weiteres schweres Erdbeben kommt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Es werden mit Sicherheit Gerüchte aufkommen (wie sie in vielen Erdbebenregionen weltweit immer wieder auftauchen), ein solches Erdbeben stünde unmittelbar bevor. Wichtig ist, diesen Behauptungen nicht zu glauben, sondern offiziellen Hinweisen zu folgen. Wenn es weitere große Erdbeben geben sollte, hilft es nur, zu wissen, wie man sich verhält. Dazu gehört das strikte Meiden bereits beschädigter Gebäude. Zudem sollte an der Küste immer die mögliche Tsunami-Gefahr berücksichtigt werden. Auch bei normalen Nachbeben können beschädigte Gebäude jederzeit einstürzen und so zu einer lebensgefährdenden Falle werden. Anwohner, die die Möglichkeit dazu haben, sollten deshalb zumindest die nächsten Tagen im Freien verbringen und auch danach immer auf ein schweres Erdbeben vorbereitet sein. Touristen sollten die Region verlassen.

Ebenso ist es (wie bei allen starken Erdbeben) denkbar, dass auch abseits der Epizentralregion Nachbeben getriggert werden. Dies sind in der Regel direkt angrenzende Gebiete. Besonders in solchen, wo zuletzt erhöhte Erdbebenaktivität verzeichnet wurde, kann diese nochmals aufleben. Aber auch „neue“ Beben in anderen Teilen der Balkan-Halbinsel sind denkbar. Solche getriggerten Erdbeben sind aber in den meisten Fällen eher relativ klein und treten auch nur nach wenigen starken Erdbeben auf.

 

Zunächst ist es in der Region wichtig, die Opfer zu versorgen und verschüttete Menschen zu retten. Insgesamt 22 Menschen konnten am Morgen bereits lebend aus den Trümmern eingestürzter Gebäude gerettet werden. Die Opferzahl ist bis 10 Uhr auf insgesamt sieben gestiegen. Rund 400 Menschen wurden verletzt. Zur Anzahl der zerstörten Gebäude gibt es noch keine Daten. Doch dürfte diese im dreistelligen Bereich liegen. Für Albanien ist es die schlimmste Erdbebenkatastrophe seit mindestens 52 Jahren. Internationale Hilfe wurde bereits von mehreren Ländern, darunter Griechenland, Kosovo und Deutschland, zugesagt. Bis das genaue Ausmaß feststeht, werden noch einige Tage vergehen.