Die Millionenstadt Goma in der Demokratischen Republik Kongo befindet sich im Katastrophenmodus: Vulkanausbruch, Erdbeben, giftige Gase und soziale Instabilität setzen den Menschen zu. Es fehlt an der Grundversorgung, der Flughafen war zwischenzeitlich geschlossen und Häuser werden zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Dabei machen aktuelle Daten wenig Hoffnung: Der Boden hebt sich, Magma bewegt sich und die Erdbeben werden stärker. Eine Verschärfung der Lage ist zu befürchten. 

Nach der Eruption des Vulkans Nyiragongo am 22. Mai, bei der in der Millionenstadt Goma hunderte Häuser zerstört und mehrere Menschen getötet wurden, setzte eine bis heute andauernde, intensive Erdbebenaktivität ein. Mehrere Hundert verspürte Erdbeben binnen weniger Tage, darunter welche über Magnitude 5, die Gebäude zerstörten. Zudem gibt es Berichte über zahlreiche Verletzte und einige Todesopfer infolge der Beben. In Goma und den angrenzenden Orten in Ruanda, vor allem im Gisenyi und Rubavu, bildeten sich meterlange Risse im Boden, die weitere Häuser und Straßen beschädigen.

ShakeMap des bisher stärksten Erdbebens der Sequenz: Magnitude 5.3 nur wenige Kilometer südöstlich von Goma

Viele Menschen, die nach der Eruption flüchteten und inzwischen zurückkehrten, fürchten sich aufgrund der andauernden Erdbeben vor weiteren Vulkanausbrüchen, aber auch vor stärkeren Erdbeben. Einige haben die Stadt bereits wieder verlassen. Unsicherheit, aber auch Unklarheit über die aktuelle Situation treiben zur Flucht, da von offizieller Seite nur wenige Informationen bis zu den Menschen durchdringen und stattdessen Gerüchte und Falschmeldungen die Runde machen. Der Finanzierungsstop des Vulkanobservatoriums im vergangenen Jahr trug ebenso dazu bei, dass Informationsmangel besteht und die Vulkanologen in ihrer Arbeit eingeschränkt werden. Inzwischen wurde die Finanzierung von staatlicher Seite wieder hergestellt und die Überwachung intensiviert.

Mit Satellitendaten und internationalen Netzwerken war es bereits möglich, erste Zusammenhänge zu ermitteln. Es zeigen sich teilweise starke Ähnlichkeiten mit dem Eruptionsverlauf des Vulkans Nyiragongo im Jahr 2002. Allerdings deutet sich auch an, dass für Goma weiterhin große Gefahr besteht. Aktuelle Todesfälle auch nach der Eruption zeigen, dass viele Gefahren auch von der Bevölkerung unterschätzt oder nicht bedacht werden.

Der aktuelle Ausbruch selbst begann gegen 19 Uhr am 22. Mai, als ohne Vorwarnung aus einer Spalte am Osthang des Vulkans Lava austrat. Dabei handelte es sich wohl zunächst um Lava, die sich zuvor im Lavasee im Krater des Vulkans befunden hat. Seismische Signale, die einige Tage vor dem Ausbruch aufgezeichnet wurden, deuteten aber auf den Zustrom frischer Lava hin, die möglicherweise ebenfalls involviert war.
Aus der ersten Spalte am Osthang floss die Lava zunächst nach Osten, erreichte die Grenze zu Ruanda und zerstörte auf ihrem Weg einige Häuser und landwirtschaftliche Felder. Später drang sie noch ein wenig nach Süden vor, stoppte aber weit vor den Toren Gomas.

Anders Lava aus einer zweiten Spalte, die sich kurz nach der ersten am Südhang öffnete. Von dort floss die Schmelze mit relativ hoher Geschwindigkeit in die nördlichen Vororte der Stadt, wo zuvor bereits die panikartige Evakuierung einsetzte. Verkehrsunfälle aufgrund der Panik führten zu Todesopfern. Noch am Sonntagabend gegen 21 Uhr erreichte die Lava Häuser der Siedlung Monigi. Auf dem Weg nach Süden wurden mindestens 900, möglicherweise über 2000 Häuser komplett zerstört. 17 Dörfer wurden verwüstet, mehrere Menschen und viele Nutztiere, die nicht flüchten konnten, verbrannten. Den Stadtkern von Goma hat die Lava nicht erreicht. Gegen Mitternacht stoppte der Strom. Flughafen und wichtige Infrastruktur blieben zunächst unbeschadet, eine große Katastrophe wurde es somit zunächst nicht.

Dennoch liest sich die Opferbilanz verheerend: 30 Tote, sieben verbrannt durch Lava, 14 während der Flucht, vier während eines Aufstands in einem Gefängnis bei der Evakuierung, drei weitere später durch Gase beim Überqueren der erkalteten Lavaströme. Dazu tausende, vielleicht zehntausende Obdachlose, hunderte Vermisste durch Evakuierung und Versorgungsengpässe durch die Zerstörung wichtiger Straßen.

Dann kamen die Erdbeben.

Mit dem Überwachungsnetz der Virunga-Vulkane, zu denen der Nyiragongo gehört, hat die Umgebung von Goma eigentlich eines der dichtesten seismologischen Observationsnetze in Afrika. Aufgrund der finanziellen Lage gibt es aber auch da aktuell Probleme. Zudem befinden sich kaum Stationen der internationalen Erdbebendienste in der Region, was dazu führt, dass nur sehr wenige der eigentlichen Erdbeben von USGS, Geofon und co. erfasst werden können. Diese sind dann noch meist ungenau lokalisiert. Mit dem lokalen Erdbebendienst von Ruanda steht jedoch eine einigermaßen verlässliche und vor allem aktuelle Quelle zur Verfügung.

Dieser Erdbebendienst beobachtet seit Sonntag die massiv angestiegene Erdbebentätigkeit. Waren es anfangs noch kleine Erdbeben, kam es inzwischen zu mindestens fünf Erdbeben über Magnitude 5 und zu dutzenden über Magnitude 4. Die Epizentren liegen vor allem in Ruanda, aber auch im nordöstlichen Teil des Kiwusees. Problematisch ist bei diesen Erdbeben nicht nur ihre Häufigkeit, sondern vor allem die Nähe zu dicht besiedelten Gebieten und die geringe Tiefe, was zu hoher Intensität und zahlreichen Schäden führt. Sowohl in Ruanda als auch rund um Goma stürzten Gebäude ein, Menschen wurden verletzt, Todesopfer befürchtet. Trotz zahlreicher Meldungen über vermeintliche Opfer gibt es noch keine bestätigten Todesfälle.


Ansteigende Erdbebenaktivität nach einem Vulkanausbruch ist eher unüblich, am Nyiragongo jedoch bereits bei den Ausbrüchen 1977 und 2002 beobachtet worden. 2002 war die Ursache der Erdbeben (und des Vulkanausbruchs) eine Magmaintrusion in mehreren Kilometern Tiefe, die sich über eine Länge von 10 Kilometern vom Nyiragongo nach Süden erstreckte. Diese Intrusion mit einem Volumen von mehreren Millionen Kubikmetern hob den Boden rund um den nördlichen Kivusee großflächig an, Dezimeter bis mehrere Meter Deformation konnten satelliten- und pegelgestützt nachgewiesen werden. Die Anfangsphase dieser großen Intrusion, von der kleinere in geringeren Tiefen abzweigten, initiierte damals auch den Vulkanausbruch, der, ebenso wie 2021, mit Lava aus dem Lavasee begann.

Und ebenso wie 2002 haben wir es nun wieder mit massiven Bodendeformationen zu tun. Erste Messungen seit Beginn der Eruption zeigen, die sich ausgehend von einer Linie, die sich in Nord-Süd-Richtung von Goma erstreckt, Teile von Ruanda schneidet und vermutlich in den Kiwusee weiter verläuft, stattfindende Bodendeformation über eine große Fläche. Östlich dieser Linie wurde der Boden in den letzten sieben Tagen, wahrscheinlich auch erst seit Eruptionsbeginn um über 20 Zentimeter angehoben, bzw. in östliche Richtung verschoben. Im Westen das umgekehrte Bild, hier fand Bewegung nach Westen, bzw. Absenkung statt. Der Gradient zwischen beiden gegensätzlichen Bewegungen ist extrem steil. Die Bodenrisse, die quer durch Goma verlaufen und Häuser zerstören, sind das sichtbare Zeichen, dass die Stadt innerhalb weniger Tage um bis zu einen Meter auseinandergerissen worden ist.

So wie 2002, nur lief es damals in umgekehrte Richtung ab: Der Westen wurde nach oben gedrückt, der Osten (mit Goma) senkte sich ab. Damals entsprang die massive Erdbebenserie dem westlichen Teil des Riftsystems, der durch den zusätzlichen Druck von Unten massiven Spannungszuwachs erlebte. Heute erlebt der Osten die Hebung und den Druck von Unten. Somit ist es wenig überraschend, dass aktuell fast alle Erdbeben im östlichen Teil bei Ruanda, bzw. im Kiwusee stattfinden.

Ein ähnliches Deformationsmuster mit ähnlicher Seismizität: Auch 2021 scheint eine massive Magmaintrusion direkt unterhalb von Goma stattzufinden und momentan noch anzudauern. Über die Tiefe des Magmas, das in der Kruste aufsteigt, kann nur spekuliert werden. Die großflächige Deformation spricht für eine relativ tiefe Quelle. Das äußerst diffuse Deformationsmuster direkt in Goma lässt aber auch oberflächennahe Magmakörper möglich erscheinen. Dass diese Magmaintrusion, die wohl in der vergangenen Woche begonnen hat, auch den Ausbruch am Samstag ausgelöst hat, ist sehr wahrscheinlich und in dem Fall müsste die Intrusion zumindest direkt unterhalb des Vulkans das vorhandene oberflächennnahe Magmareservoir erreicht haben.

2002 blieb das Magma größtenteils in der Kruste stecken, anstatt zu einer weiteren katastrophalen Spalteneruption, diesmal mit Lavaaustritt quer durch Goma zu führen. Stattdessen füllte sich im späteren Verlauf der Lavasee erneut und auch das Eruptionsverhalten des Nachbarvulkans Nyamulagira wurde beeinflusst.
Nun schwebt Goma erneut wenige Kilometer über der Spitze von Millionen Kubikmetern geschmolzenen Gesteins. Die weiter andauernden Erdbeben lassen auf eine stetige Bewegung oder sogar Zunahme des Magmas schließen. Eine neue Spalteneruption, möglicherweise genau in Goma oder in Gisenyi, kann zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, aber auch ein neuer Lavaaustritt am Berg ist denkbar.

Ein drittes Szenario könnte ein Lavaaustritt am Grund des Kiwusees sein. Was zunächst nach einer dankbareren Lösung klingt, da Goma zumindest von der Lava verschont bliebe, stellt sich angesichts des Chemismus des Kiwusees als nicht ungefährlich heraus: Das Wasser des Sees ist stark geschichtet und in den unteren Wasserschichten sammelt sich Methangas an. Ein großflächiger Lavaaustritt könnte diese Schichtung stören und dafür sorgen, dass große Mengen Gas möglicherweise explosionsartig aus dem See strömen. Neben möglicher Tsunami-Gefahr für umliegende Ufer könnte das Gas zu massiver Erstickungsgefahr führen, was im Falle von Goma wohl den Tod tausender Menschen bedeuten würde.

Szenario vier, wie 2002, das Steckenbleiben des Magmas in der Kruste, wäre das harmloseste und wohl auch das wahrscheinlichere. Möglichen Einfluss auf die eruptive Tätigkeit beider Vulkane in den kommenden Jahren inklusive. Aber auch mit dieser Option bliebe der Region noch ein Problem: Die Erdbeben.

2002 fand die Seismizität, konsistent mit der Hebung, am relativ dünn besiedelten Westufer des Kiwusees statt. Goma, Rubavu und Gisenyi waren weniger stark betroffen. Die Aktivität gipfelte in einem Erdbeben der Stärke 6.2, das in Goma zwar hunderte Häuser einstürzen ließ, aufgrund der Distanz von rund 30 Kilometern zum Epizentrum aber nicht seine volle Zerstörungskraft entfaltete.
2021 liegt der Schwerpunkt der Aktivität fünf Kilometer von Goma entfernt, direkt unterhalb von Rubavu und Gisenyi. Magnitude 3 an diesem Ort ist deutlich zu spüren. Magnitude 4 verursacht Schäden. Magnitude 5, wie zuletzt mehrfach gesehen, bringt Gebäude zum Einsturz. Noch stärkere Erdbeben könnten zu einer Katastrophe führen, die die Auswirkungen des aktuellen Vulkanausbruchs übersteigt.

Solange weiter Magma nach oben drückt, wird die Bodendeformation andauern und damit auch die Wahrscheinlichkeit für weitere, stärkere Erdbeben steigen. Die Möglichkeit eines neuen Vulkanausbruchs mit allen mehr oder weniger katastrophalen Facetten bleibt bestehen. Anwohner und lokale Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft. Der kritischste Bereich innerhalb Gomas ist seit Montag eine Sperrzone und nationale und internationale Hilfsmaßnahmen laufen langsam an, um die Auswirkungen der bisherigen Katastrophe abzufedern. Für alles, was kommt oder was nicht kommt, bleibt für alle Beteiligten nur das Hoffen auf einen milden Ausgang.

One thought on “Magmaintrusion unter Goma: Erdbeben und Vulkanausbruch drohen

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