Seit der Katastrophe in der Türkei und in Syrien ist das Thema Erdbeben wieder in aller Munde. Jeder ist von den Bildern schockiert. Viele fragen sich, wie so etwas geschehen kann, wer verantwortlich ist und wie man sowas in Zukunft verhindert. Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Und dort, wo der Bedarf an einfachen Antworten nicht professionell gedeckt werden kann, gibt es die Menschen, die mit geschickten Methoden versuchen, diese Lücke und die Unwissenheit der Fragesteller auszunutzen. Erdbebenvorhersage. Einfach gemacht, mit Treffergarantie und ganz sicher massentauglich. Die Geschichte des neuen Twitter-Phänomens. Ein Kommentar, der nicht an jeder Stelle ernst gemeint ist.

Am 27. August 2013 schrieb der damals noch 19-jährige Jens auf seiner recht jungen Hobby-Website „Erdbebennews“ folgende Zeilen:

„In den letzten Jahrzehnten gab es kaum Beben über Stärke 5. Es ist ruhig, So ruhig wie seit Jahrhunderten nicht. Irgendwann wird auch diese Ruhe enden, die nächste Katastrophe wird Damaskus, Aleppo, Homs und Hamah heimsuchen“

ganz ganz alter Text auf Erdbebennews, der heute zum Glück kaum noch auffindbar ist und hoffentlich auch von niemandem mehr gelesen wird… bitte!

Ganze 3450 Tage später war es soweit: Ein Erdbeben mit Magnitude 7.8 traf die syrisch-türkische Grenzregion, verwüstete Städte und tötete über 20.000 Menschen. Eine Katastrophe für beide Länder.

Weniger Tage zuvor: Ein Niederländer, der auf Twitter hobbymäßig Dinge zu Erdbeben veröffentlicht, postet einen Beitrag, weil es im Süden der Türkei ein kleineres Erdbeben gegeben hatte.

„Früher oder  später wird ein ~M7.5 Erdbeben in dieser Region (Süd-Zentral-Türkei, Jordanien, Syrien, Libanon) passieren.

Inhaltlich sind beide Beiträge ziemlich ähnlich. Inhaltlich beschreiben beide, dass am Ostufer des Mittelmeeres in nicht allzu ferner Zukunft ein schweres Erdbeben passieren wird. Denn es passierte in der Geschichte mehrfach. Das letzte ist auch schon eine ganze Weile her.

„Erdbebennews“ hat das Türkei-Erdbeben schon vor neun Jahren vorhergesagt!!1!

Während der Beitrag von Jens in neun Jahren gerade mal von etwa 500 Menschen gelesen wurde, schaffte es der Niederländer namens Frank Hoogerbeets, innerhalb von sechs Tagen ganze 52 Millionen Nutzer zu erreichen. Weil zwischen Franks knapper, aber realistischer Einschätzung der Erdbebengefährdung und dem tatsächlichen Eintreffen der Katastrophe keine drei Tage lagen, denken viele, Frank wäre in der Lage, Erdbeben vorherzusagen.

Zugegeben: Frank behauptet dies von sich selbst. Schaut man sich weitere seiner Tweets an, fällt auch, dass er aus Vorhersagen ein richtiges Business gemacht hat. Planetenkonstellationen und anderes astronomisches Gedöns verraten ihm und seiner Organisation SSGEOS angeblich, wann und wo das nächste Erdbeben kommt. In hoher Frequenz werden auf allen Social Media Kanälen entsprechende Hinweise veröffentlicht. Scrollt man ein wenig zurück, findet man Vorhersagen, die in vager Formulierung verfasst sind. Von den jüngsten Vorhersagen eingetroffen: Keine. Vermutlich. Denn die Formulierungen bieten Interpretationsspielraum.

Aber was man auf jeden Fall nicht findet: Eine Vorhersage, dass Anfang Februar ein schweres Erdbeben den östlichen Mittelmeerraum heimsucht. Denn der oben gezeigte Post von Frank, war keine dieser Vorhersagen, sondern lediglich eine Beschreibung der Gefährdungssituation.

„Früher oder später wird ein ~M7.5 Erdbeben in dieser Region (Totes Meer) passieren.“

Was viele Menschen aber nicht realisierten und ihm nun trotzdem folgen. Einige werden wahrscheinlich bereits realisiert haben, dass seine Vorhersagen mindestens mal nicht immer eintreffen. Und was macht man, wenn man seine fünf Minuten Ruhm zu verlieren droht: Man versucht um jeden Preis einen neuen Erfolg. Und wie macht man das, wenn es um Erdbebenvorhersage geht, obwohl Erdbebenvorhersage, da sind sich alle ernsthaften Wissenschaftler einig, weder durch Planetengucken noch durch echte Forschung möglich ist? Richtig!

[Gezeigt ist ein violetter Streifen auf einer Weltkugel, der von Westrussland über Japan, die Philippinen bis nach Indonesien und Australien reicht]

„Potential für stärkere seismische Aktivität nahe des violetten Bandes in den nächsten 1-4 Tagen. Das ist eine Schätzung. Andere Regionen sind nicht ausgeschlossen.“

Frage 1: Was heißt „stärkere seismische Aktivität“? Magnitude 6 aufwärts?

Frage 2: Schätzung?? Ich dachte, ihr könnt mit den Planeten sprechen, die euch das genau sagen?

Frage 3: Andere Regionen? Warum dann nicht gleich den ganzen Pazifik violett färben?

Frage 4: Bedeutet das Wasserzeichen, dass ich wegen des Screenshots jetzt eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung fürchten muss?

Ein langer, violetter Streifen, der durch die erdbebenreichsten Gebiete der Welt führt. Eine Region, wo Magnitude 6 aufwärts fast einmal die Woche auftritt. Vor allem, wenn man die Grenzen des violetten Bandes nicht so ernst nehmen soll. Oder anders formuliert:

EINE ERDBEBENVORHERSAGE, DIE GANZ SICHER EINTREFFEN WIRD!

Denn auch, wenn es nicht unbedingt ein M7.8 im Zentrum von Sulawesi wird: Nach den genannten lockeren Formulierungen würde auch ein M5.5 bis 6.0 auf Kamtschatka, Sumatra oder wahrscheinlich auch noch Papua als Treffer durchgehen. Je nachdem, was der Verfasser genau meint. Aber das werden wir erst erfahren, wenn es in seiner Entscheidungsgewalt liegt, sich für diese „Vorhersage“ feiern zu lassen. Denn solche Erdbeben sind in diesem Gebiet schon rein statistisch so häufig, dass ein Nichteintreten schon (für Frank und Anhänger) äußerst peinlich wäre.

Präzision rettet leben, aber nicht den Ruf als Erdbeben-Hellseher

Und so, liebe Kinder, wird Erdbebenvorhersage ganz einfach. Von Absicht, auch solche Vorhersagen abzugeben, die Menschenleben retten könnten, war nie die Rede. Aber es reicht, um Menschen, die nicht vom Fach sind, auf Twitter zu überzeugen. Und wenn ihr noch nicht überzeugt seid: Hier ein paar EIGENE Vorhersagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen:

  • Magnitude 5.5 bis 6.0 zwischen Fidschi und Vanuatu innerhalb der nächsten sieben Tagen
  • Magnitude 4 bis 4.5 in Kalifornien innerhalb der nächsten sieben bis zehn Tagen
  • Magnitude 6 in Japan im Laufe des Monats
  • Magnitude 5 in Afrika innerhalb der nächsten zwei Wochen
  • Magnitude 7 im Umfeld des Pazifischen Ozeans innerhalb der nächsten sechs bis acht Wochen
  • Früher oder später: ~M7.5 in der Region Türkei, Syrien, Libanon, Israel, Jordanien

Sind diese Vorhersagen auch nur annähernd nützlich? Nein.
Kann man mit diesen Vorhersagen 52 Millionen Nutzer erreichen? Vielleicht. (Also…. Nein)

Bei der Katastrophe in der Türkei und in Syrien sind mindestens 20.000 Menschen gestorben. Eine schlimme Tragödie, unter der Millionen Menschen direkt leiden. Dieses Leid, die Angst und die Wut durch etwas wie vermeintliche Erdbebenvorhersagen auszunutzen, um selbst Profit zu machen, ist in meinen Augen moralisch höchst verwerflich. Dieser Beitrag, auch wenn humoristisch gestaltet, möchte diese Situation in keinem Fall verharmlosen. Doch manchmal hilft das satirische Stilmittel mehr als trockenes Debunking. Vor allem, wenn die Kritikpunkte so offensichtlich sind. Und nein, „Erdbebennews“ hat das Erdbeben vor neun Jahren nicht vorhergesagt. Denn wie der 19-jährige Jens damals schon schrieb:

„Wann es [das Erdbeben] so weit ist, wird bis zum Schluss ein Geheimnis bleiben“

One thought on “Kommentar: Wie Erdbebenvorhersage ganz einfach wird

  1. Hallo, ich vermisse die Aluhutfraktion wo auf deinen Beitrag antworten.
    was ist da los?
    sind die Aluhüte ausgegangen 🙂
    Dir Jens ein Danke für deine sachliche, auch für Laien wie mich verständliche Beiträge!.
    Schaue fast jeden Tag bei dir rein.
    P.S bin gespannt wann bei mir wieder mal die Erde wackelt.( zwischen Schwarzwald und schwäbischer Albwohnend.

Comments are closed.