Campi Flegrei: Der Vulkan, der Europa in Atem hält

Die Lage am Caldera-Vulkan Campi Flegrei nahe der italienischen Monaten Neapel hat in den vergangenen Wochen viele Menschen in Atem gehalten. Auf die seit Jahren ansteigende Erdbebenaktivität folgte eine Woche der Angst, vor allem für die unmittelbar betroffenen Bewohner. Zwischen Ende August und Anfang Oktober kam es zu dutzenden spürbaren Erdbeben. Die drei stärksten mit Magnitude 3.8, 4.2 und 4.0, ließen Gebäudeschäden zurück. Doch seit dem letzten großen Erdbeben am 2. Oktober scheint sich die Lage beruhigt zu haben. Die Ruhe vor dem Sturm? Oder ein erstes Anzeichen der Entspannung?

Abbildung 1: Erdbebenaktivität in den Campi Flegrei seit 2014. Daten: Vesuv-Observatorium
Abbildung 1: Erdbebenaktivität in den Campi Flegrei seit 2014. Daten: Vesuv-Observatorium: https://terremoti.ov.ingv.it/

Es waren Wochen der Angst. Für Menschen am Vulkan vor allem wegen der stärker und häufiger werdenden Erdbeben und der Unklarheit. Für die Menschen im restlichen Europa künstlich herbeigeführt durch Medien, die von einer Supervulkan-Apokalypse träumten – was natürlich auch Einfluss auf die Menschen vor Ort nahm. Am 2. Oktober, als ein Erdbeben der Stärke 4.0 den neapolitanischen Stadtteil Agnano im Zentrum der Caldera traf, wurden nicht nur Gebäude beschädigt: Die Ängste der Bevölkerung ließen das Vertrauen in die Behörden schrumpfen. Über soziale Netzwerke gab es erste Aufrufe zum Protest. Die Annahme: Behörden verschweigen wichtige Informationen.

Eine Eskalation, mit bis zu 270 Erdbeben pro Woche sowohl seismisch, als auch sozial. Dabei bleibt der Vulkan weiter rätselhaft. Steht ein Ausbruch bevor? Wie groß wird er? Wann wird halb Neapel evakuiert?

Zeiten der Angst und Unsicherheit

Entgegen der meisten Medienberichte können Wissenschaftler zumindest die zweite Frage mit großer Sicherheit teilweise beantworten. Mit einem Supervulkanausbruch, der halb Italien zum Katastrophengebiet machen würde, rechnet niemand. Der Maßstab ist das, was beim letzten Ausbruch des Vulkans im Jahr 1538 geschah: Ein kleiner Ausbruch, vergleichbar mit dem Ätna, der inmitten einer extrem dicht besiedelten Metropolregion dennoch zu Tod und Zerstörung führen kann. Zugegeben: Kein positiver Ausblick, aber angesichts der Kleinräumigkeit und der Evakuierungsmöglichkeiten das beste, was man erwarten darf.

Für Menschen, die sozial oder emotional nicht mit Neapel verbunden sind, aber eine Entwarnung. Obwohl schon die erste Frage, ob es in nächster Zeit überhaupt ein Vulkanausbruch bevorsteht, kaum beantwortbar ist. Denn trotz der seismischen Krise zeigt der Vulkan bisher kein Anzeichen, bald einen neuen Krater zu schaffen. Es ist nämlich nicht das Magma, das direkt die Erdbeben verursacht, wie man es von den jüngsten Erdbebenschwärmen am isländischen Vulkan Fagradalsfjall kennt: Es sind massive Hebungen des Bodens, angetrieben durch Wasser, Gase und, ja, auch Magma, die das fragile Gestein in der Region langsam brechen lassen. Schon die in den letzten Jahren normal gewordenen 15-20 Zentimeter Hebung pro Jahr klingen schon viel. Doch allein im September kamen nach Messungen des Vulkanobservatoriums vier Zentimeter hinzu, davon einer nur innerhalb von drei Tagen im Vorfeld des M4.2-Erdbebens. Eine kurzzeitige Hebungsrate, hochgerechnet, von einem Meter pro Jahr.

Extreme Bodenhebungen lassen Erde beben

Eine Eskalation, die stark an die 70er und 80er Jahre erinnert, als es bei ähnlichen Hebungsraten über Jahre hinweg massive Erdbebenschwärme und in der Folge erhebliche Gebäudeschäden gab. Evakuierungen von Pozzuoli aus Angst vor weiteren Erdbeben waren berechtigt, auch wenn der Vulkan selbst ruhig blieb.

Die seismischen Krisen der 70er und 80er, Chronologie

1970-1972: Erste bradyseismische Phase mit mäßiger Erdbebenaktivität und Hebungen von bis zu 170 Zentimetern
1972-1982: Erhöhte Aktivität mit Hebungsraten von 15 cm pro Jahr
November 1982: Zunehmende Seismizität
März 1983: Verstärkte Seismizität mit Beben bis Stärke 3, dabei zunehmende Bodenhebungen
Oktober 1983: Bodenhebungen von bis zu 5 mm/Tag mit Erdbeben bis Magnitude 4. Dadurch Gebäudeschäden in Pozzuoli, was eine Evakuierung des Stadtzentrums veranlasste.
Von 1982 bis 1984: Bodenhebung um 110 cm
Ab 1984: Rückgang der Aktivität und langsames Absinken des Bodes, weitestgehend ohne Erdbeben.

Auch in diesem Aspekt zeigt sich aktuell eine große Ähnlichkeit. Denn weder Gasausstoß, Temperatur, noch Thermalwassereigenschaften zeigen laut der jüngsten Berichte des Observatoriums Auffälligkeiten, die über den langfristigen Trend hinaus gehen würden, oder nicht auch durch die Erdbebentätigkeit erklärbar wären. Oder anders formuliert: Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass im Moment Magma auf dem Weg zur Erdoberfläche ist.

Also, Entwarnung?

Auch die letzten sieben Tage geben leisen Grund zur Hoffnung, dass sich die Situation entspannt. Nach dem Erdbeben am 2. Oktober nahm die Seismizität deutlich ab. Zwar folgte am 4. Oktober nochmals ein Erdbeben der Stärke 2.6, doch war es das erstmal mit spürbaren Erdbeben. Den deutlichen Rückgang belegen auch die Zahlen des jüngsten Wochenberichts. „Nur noch“ 104 Erdbeben wurden zwischen dem 2. und 8. Oktober registriert. Langfristig betrachtet immer noch viel, aber nach den Wochen mit mehr als 200 Erdbeben ein deutlicher Rückgang.

Entspannung in den Campi Flegrei, aber keine Entwarnung

Der Grund für den Rückgang findet sich wieder bei den Bodenhebungen. Diese waren mit rund 2-3 Millimetern in dieser Woche deutlich niedriger als zuvor.

Die Situation bleibt aber weiter komplex und es gilt, weitere Entwicklungen genau zu beobachten. Nach den Wochen intensiver Aktivität ist eine kurzzeitige Entspannung nichts ungewöhnliches. Der Vulkan atmet und damit steigen und fallen auch die Symptome seiner Aktivität. Die extrem wirkenden Wochen im September waren eine Erinnerungen an frühere Hochphasen. Die in der letzten Wochen folgende Entspannung aber nicht mehr als eine Rückkehr zum langfristigen Trend der letzten Monate, der immer noch deutlich über dem Level der Hintergrundaktivität liegt.

Die aktuelle Aktivitätsphase der Campi Flegrei, Chronologie:

seit 2002: Zunahme des Ausstoßes vulkanischer Gase
2011 bis 2012: Beginnende Hebung und zunehmende Zeichen von Aktivität in Form von Gasaustritten, kleineren Schwarmbeben und erhöhten Temperaturen: Alarmstufe des Vulkans wird auf Gelb erhöht
2014 – 2018: Zunehmende seismische Aktivität und fortschreitende Bodenhebungen
2018: Bodenhebungen seit 2011 erreichen im Peak 50 cm
Dezember 2019: Zunehmend auch spürbare Erdbeben in den Erdbebenschwärmen und kurzzeitig stark erhöhte Hebungsrarten. Bisheriger Höhepunkt: M2.8
April 2020: Erdbeben der Stärke 2.9, seitdem Hebungsrate von 13 cm / Jahr, Höhepunkt der Gasemissionen, danach leicht rückläufig
März 2022: Erdbeben der Stärke 3.5 und 3.6, stärkste Erdbeben seit 1983, wieder zunehmende Gasaustritte
Juni 2022: Kurzzeitiger Rückgang der Hebung auf 7 cm pro Jahr mit geringerer Erdbebenaktivität
Dezember 2022: Beschleunigung auf 15 cm pro Jahr. Erstmals seit 1982 mehr als 400 Erdbeben in einem Monat
11. Juni 2023: Weiteres Erdbeben der Stärke 3.6
Ende August 2023: Leichte Beschleunigung der Hebungsraten, stark zunehmende Erdbebenaktivität
7. September 2023: M3.8, stärkstes Erdbeben seit 1983, Gebäudeschäden
21.-23. September 2023: Kurzzeitig massiv beschleunigte Hebungsrate, 1 cm innerhalb von 3 Tagen.
27. September 2023: M4.2, stärkstes Erdbeben seit 1983, Gebäudeschäden
2. Oktober 2023: M4.0, Gebäudeschäden
5. Oktober 2023: Rückgang von Erdbebenaktivität und Hebungsraten

Auch die seismische Krise im Jahr 1983 endete relativ schnell. Über viele Jahre hinweg baute sich die Aktivität langsam auf und die Bodenhebungen beschleunigten sich, bis sie für eine kurze Zeit Geschwindigkeiten von 5 mm pro Tag erreichten – Erdbeben um Magnitude 4 inklusive. Doch schon kurz darauf war es wieder ruhig, die Hebungen wurden zu Senkungen und die Erdbeben waren für Jahrzehnte kein Thema war. Die Entwicklung der letzten Jahre folgte einem ähnlichen Muster, doch es ist noch viel zu früh, um davon auszugehen, dass wir bereits am Ende sind.

Parallelen zu 1983

Mit einem erneuten Aufleben der Aktivität muss also jederzeit gerechnet werden. Das Erdbeben der Stärke 1.9, das am späten Abend des 12. Oktober den Menschen in Pozzuoli erneut Einschlafprobleme bescherte, ist eine Erinnerung, dass alle Vorkehrungsmaßnahmen für den Ernstfall berechtigt sind. Denn auch wenn im Moment ein Vulkanausbruch nicht unmittelbar bevorsteht, zeigen die jüngsten Schwankungen, wie dynamisch die Situation ist und das der aktuelle Status nicht als Versprechen für die nächsten Monate genommen werden darf.

Die letzten Wochen haben gezeigt, wie schnell sich die Lage an einem Vulkan ändern kann – geologisch wie gesellschaftlich. Es ist jetzt wichtiger denn je, dass Behörden und Medien ihre Verantwortung ernst nehmen und klar, präzise und unaufgeregt informieren. Nur so kann das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und im Ernstfall, der hoffentlich nicht eintreten wird, eine Katastrophe verhindert werden.

Weitere Informationen:

Aktuelles Monatsbulletin zu Campi Flegrei (September 2023) des Vesuv-Observatorium

Aktuelles Wochenbulletin zu Campi Flegrei (2. bis 8. Oktober 2023) des Vesuv-Observatorium

Vulkanprofil der Campi Flegrei

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