Startseite » Island » Starkes Erdbeben (M5.2) am Fagradalsfjall: Wie Island auf den Vulkanausbruch wartet

Island wartet auf den dritten Vulkanausbruch in drei Jahren: Rund eine Woche nach Beginn der seismischen Krise am Fagradalsfjall soll das Magma nur noch wenige Hundert Meter unter der Oberfläche stecken. Doch der Zielspurt scheint schwierig zu sein. Statt spektakulärer Lavafontänen und eines Tourismus-Booms, den sich in Island und auch außerhalb wohl viele erhofft haben, gibt es widersprüchliche Zeichen. Zum einen eine seit Tagen rückläufige Erdbebenaktivität. Zum anderen das mit Abstand stärkste Erdbeben seit Aktivitätsbeginn. Zudem zeigte auch ein Nachbarvulkan Lebenszeichen und die Warnungen für Fagradalsfjall sind deutlicher als in den Vorjahren. Ein Überblick.

ShakeMap (Berechnete Intensität des Erdbebens in Island):


Epizentrum, ShakeMap und historische Erdbeben der Region auf interaktiver Karte anzeigen

Zunächst zu den Erdbeben: In der vergangenen Nacht (10. Juli) hat sich auf der Reykjanes-Halbinsel südwestlich der Hauptstadt Reykjavik das stärkste Beben dieser Aktivitätsphase ereignet. Es erreichte laut Meteorologiebehörde Magnitude 5.2 und war in Reykjavik deutlich zu spüren. Das Schüttergebiet umfasste zudem den ganzen Südwesten Islands. Zu Schäden kam es aber nicht.

Einerseits kam dieses Erdbeben angesichts der vulkanischen Situation nicht überraschend. Schon die beiden Vulkanausbrüche 2021 und 2022 kündigten sich durch starke Erdbeben an. Andererseits widersetzte sich dieses Beben dem generellen Trend einer abnehmenden Erdbebenaktivität, der sich seit Tagen durchsetzt. Von der anfangs extremen Rate von hunderten kleinen Erdbeben pro Stunde ging es inzwischen auf ein knappes Dutzend pro Stunde zurück. Eine trügerische Beruhigung. Denn Vulkanologen und Behörden beteuern seit Tagen wiederholt, dass ein Vulkanausbruch nur noch Stunden entfernt ist und die Magmaintrusion, welche ursächlich für die Erdbebenaktivität ist, inzwischen fast direkt unter der Erdoberfläche steckt.

Starkes Erdbeben trotz rückläufiger Erdbebenaktivität

Dass in den vermeintlichen Widersprüchen aber sehr viel Logik steckt und die aktuelle Aktivitätsphase sogar gefährlicher ist als die letzten beiden, zeigt sich beim genaueren Betrachten der aktuellen Lage. Zusammengefasst erstmal die wichtigsten Daten:

  • Magmaintrusion entlang einer drei Kilometer langen Spalte zwischen der Eruptionsstelle 2022 (Südwesten) und dem Vulkanhügel Keilir (Nordosten)
  • Starke Bodendeformation rund um die Intrusion. Hebungen und Verschiebungen sind teils stärker als vor der Eruption 2022.
  • Nach neuestem Stand (10. Juli) steckt das Magma in einer Tiefe von 500 Metern fest
  • Die Warnstufe des Fagradalsfjall steht bei Orange
  • Behörden raten dringend davon ab, die (unbesiedelte) Erdbebenregion zu betreten, da ein Vulkanausbruch jederzeit und ohne weitere Vorwarnung möglich ist

Nun zur Interpretation der Daten:

Abbildung 1: Erdbebenaktivität auf der Reykjanes-Halbinsel seit 1. Juli 2023
Abbildung 1: Erdbebenaktivität auf der Reykjanes-Halbinsel seit 1. Juli 2023. Dargestellt sind nur manuell bestätigte Epizentrum. Dies entspricht nur einem Bruchteil der gesamten Aktivität. Oben: Karte der Epizentren; Mitte: Tiefenschnitt der Hypozentren (km); Unten: Zeitlicher Verlauf der Erdbeben Die Farbe der Kreise entspricht der Zeit, die Größe der Magnitude.

In der oberen Karte (Abbildung 1) sieht man, wo sich die betroffene Region befindet: Auf der Reykjanes-Halbinsel rund 25 Kilometer südwestlich der isländischen Hauptstadt Reykjavik. Der Großteil der Epizentren am Fagradalsfjall orientieren sich entlang einer Nordost-Südwest verlaufenden Linie (in folgender Abbildung 2 noch besser erkennbar). Das aktuelle große Erdbeben mit M5.2 liegt ein wenig östlich davon, wo sich mehrere weitere Erdbebencluster befinden. Ein weiterer Erdbebencluster befindet sich ganz im Westen nahe des Vulkans Eldey, worauf ich später noch eingehe.

Erdbeben durch Deformation der Erdkruste

Die Erdbeben unmittelbar an der Intrusion gehen auch direkt auf das Magma zurück. Entweder handelt es sich um vulkano-tektonische Erdbeben, die oberhalb der aufsteigenden Gesteinsschmelze durch wachsenden Druck aufs Gestein entstehen, oder vulkanische Beben, die direkt durch Magmabewegung entstehen. Direkt an der Intrusion ist der Druck logischerweise am höchsten. Somit war hier die Erdbebenaktivität in der Anfangsphase am stärksten, hat aber im Laufe der letzten Tage nachgelassen.

Abbildung 2: Karte der Erdbeben zwischen Grindavik und Kleifarvatn. Rote Linie: Aktuelle Magmaintrusion. Orange: Eruptionsspalte 2022; Blau: Eruptionsspalte 2021; Schwarze gestrichelte Linien: Bekannte aktive Störungen (nach Jenness 2009). Die Magmaintrusion erstreckt sich zwischen den vorherigen Eruptionsspalten und dem Hügel Keilir, wobei die seismische Aktivität und damit auch das Magmavolumen Richtung Keilir (Nordosten) zunimmt. Die jüngsten stärkeren Erdbeben ereigneten sich abseits der Intrusion östlich des Keilir.

Inzwischen sind die meisten größeren bzw. genau lokalisierbaren Erdbeben weiter östlich. Wie in Abbildung 2 zu sehen, gibt es östlich der Intrusion drei Erdbebencluster: Unmittelbar östlich von Keilir, am Trölladyngja-Vulkansystem sowie am Westufer des Kleifarvatn-Sees. Einen weiteren, kleineren Cluster gibt es ganz im Südwesten. Dass es diese Erdbeben genau dort gibt, ist keine Überraschung. Durch den zunehmenden Magmadruck hat sich die Erdkruste auf der Reykjanes-Halbinsel inzwischen großflächig verformt. Dort, wo diese Deformation auf aktive Störungszonen trifft (in der Karte als gestrichelte Linien eingezeichnet), kann es dabei zu Erdbeben kommen. Das gleiche wurde bereits vor den Eruptionen 2021 und 2022 beobachtet, als die stärksten Erdbeben jeweils nahe Grindavik im Südwesten und Kleifarvatn im Osten auftraten.

Je länger die Deformation andauert, umso intensiver kann die Erdbebenaktivität in größerer Distanz werden, trotz insgesamt rückläufiger Erdbebenanzahl. Dies war auch bei den vorherigen Eruptionen so. Aktuell sind die Deformationen direkt an der Intrusion sogar stärker als vor der ersten Eruption 2021, so die Meteorologiebehörde. Die Erdbebenaktivität ist aber noch deutlich schwächer. Dabei macht die Tiefe des Magmas aber aktuell den großen Unterschied.

Oberflächennähe des Magmas verringert Erdbebenaktivität

Bei einer Tiefe von aktuell 500 Metern ist direkt um die Intrusion herum nur noch wenig Spielraum, Erdbeben auszulösen. Es gibt wenig Gestein, was noch in Form von Erdbeben brechen kann und stattdessen nach oben gebogen wird. Seismische Signale, die dabei entstehen, sind schwerer zu registrieren und identifizieren. Gleichzeitig heizt sich durch das Magma das umliegende Gestein auf, was seismische Aktivität zusätzlich erschwert. Auch horizontale Deformation wird durch den nach oben fokussierten Druck verringert, sodass sich dadurch getriggerte Erdbeben vor allem in der näheren Umgebung ereignen.

Fazit: Die Erdbebenaktivität ist im aktuellen Stadium kein Indikator für den Magmadruck. Lediglich die vertikale Deformation ist im Moment ein klares Zeichen, dass sich eine große Menge Gesteinsschmelze unter der Oberfläche sammelt und damit mehr Druck auf dem System ist als vor der Eruption 2021. Dies könnte bedeuten, dass ein möglicher Vulkanausbruch in der Anfangsphase stärker sein wird und sich zudem eine größere Eruptionsspalte bildet. Je nach Menge des nachströmenden Magmas könnten sich zudem größere Lavaströme bilden, die nach Norden abfließen und die Hauptstraße zwischen Reykjavik und dem Keflavik-Flughafen erreichen könnten.

Lava könnte Hauptstraße erreichen

Ob dieses Szenario wirklich eintritt, hängt aber von der Stärke und Dauer der Eruption ab. Und davon, ob eine Eruption überhaupt passiert. Denn auch wenn die Zeichen im Moment noch immer einen unmittelbar bevor stehenden Vulkanausbruch andeuten, könnte das Magma auch einfach in der Erdkruste stecken bleiben. Können die obersten Gesteinsschichten nicht durchbrochen werden und lässt der Zustrom aus der Tiefe nach, wird das Magma die Oberfläche nicht erreichen.

Ebenso möglich ist es aber auch, dass das Magma in eine weitere Spalte ausweicht und in der näheren Umgebung einen Weg nach oben findet. Daher ist es auch wichtig, nicht nur das unmittelbare Gebiet an der Intrusion, sondern auch in einem größeren Radius herum Gebiete zu meiden. Auch weil durch mögliche weitere Erdbeben Steinschläge und Erdrutsche möglich sind. Diese wurden bereits bei den stärkeren Beben der letzten Tage beobachtet.

Ob Fagradalsfjall tatsächlich erneut ausbricht, ist also noch immer fraglich. Die Wahrscheinlichkeit bleibt angesichts der aktuellen Lage jedoch sehr hoch. Die Gesteinsschicht zwischen Magma und Oberfläche ist nicht dick und könnte binnen Minuten jederzeit durchbrochen werden.

Auch Warnstufe am Vulkan Eldey erhöht

Ein anderer Vulkan, der in den letzten Tagen Schlagzeilen machte, ist Eldey vor der Südwestspitze der Reykjanes-Halbinsel. Wie in Abbildung 1 zu sehen, kam es auch hier zu einer recht kräftigen Erdbebenserie, die aber nur ein Tag andauerte. Dennoch hoben isländische Behörden als Reaktion die Warnstufe des dortigen Vulkansystems auf Gelb an. Dass dort aber tatsächlich eine Magmaintrusion ursächlich für die Erdbeben ist, gilt aber als sehr fraglich. Angesichts der Häufung magmatischer Aktivität rund um die Reykjanes-Halbinsel (neben den beiden Vulkanausbrüchen und der aktuellen seismischen Krise gab es noch mehrere weitere Intrusionen) scheint aber das Prinzip „Lieber einmal zu früh warnen als zu spät“ begründet. Zumal eine Anhebung auf Warnstufe Gelb keine unmittelbaren Konsequenzen hat und lediglich die Aufmerksamkeit erhöht.

Aufmerksamkeit, die durch die Ereignisse am Fagradalsfjall wohl sonst verloren gegangen wäre. Sollte es dort in den kommenden Tagen zu einem neuen Ausbruch kommen, wird das Zuschauen der Weltöffentlichkeit sicher sein. Wanderrouten und Parkplätze, um die Eruption zu beobachten, sind bereits geplant. Aber auch der Bevölkerungsschutz muss gewährleistet werden. So sind auch Lavabarrieren in Planung, sollte eine starke Eruption die Verbindungsstraße zwischen Hauptstadt und internationalem Flughafen gefährden. Ein Vulkanausbruch zur Ferienzeit könnte einen Tourismus-Boom auslösen, im schlimmsten Fall aber auch die meisten Verbindungen zur Außenwelt abbrechen.

Zitate:
Jenness, Maria & Clifton, Amy. (2009). Controls on the geometry of a Holocene crater row: A field study from southwest Iceland. Bulletin of Volcanology. 71. 715-728. 10.1007/s00445-009-0267-9.