Campi Flegrei: Wie ist die Lage?

Kaum ein geophysikalisches Ereignis hat in den letzten Jahren mehr internationale Aufmerksamkeit bekommen als die jüngste starke Aktivitätsphase am italienischen Vulkan Campi Flegrei nahe der Millionenstadt Neapel. Tausend Erdbeben innerhalb weniger Wochen, einige so stark, dass sie Gebäude beschädigten, ließen europaweit die Angst vor einem Vulkanausbruch wachsen. Doch nach dieser Hochphase im September wurde es ruhig um den Vulkan. Daher werfen wir nochmal einen Blick auf das, was gerade passiert und was das für die nahe Zukunft bedeuten könnte.

Bereits vor zwei Wochen hatten wir die Lage analysiert. Der folgende Text schließt an diese Ausführungen an.

Es gibt sie noch, die Erdbeben, die jedem Menschen in Pozzuoli Stunden der Angst bescheren. In dieser Hinsicht war der 16. Oktober Höhepunkt der vergangenen zwei Wochen, als ein Erdbeben der Stärke 3.6 direkt am Solfatara-Krater die Region erschütterte. Das Beben blieb folgenlos, sorgte aber nach einigen ruhigen Tagen wieder für Aufsehen. Spürbare Erdbeben um Magnitude 2 folgten zudem am 19. und am 26. Oktober.

Rückgang der Erdbebenaktivität in den Campi Flegrei

Die Hochphase mit täglichen spürbaren Erdbeben und wöchentlichen Schadensbeben scheint aber erstmal überstanden. Von rund 500 Erdbeben innerhalb einer Woche Ende September ging die Zahl in der vergangenen Woche auf 72 zurück. In der aktuellen Woche (Stand Samstag, 28. Oktober 2023, 8 Uhr) sind es bisher nur 27. Dies könnte, hochgerechnet, die ruhigste Woche seit Februar werden.

Übersicht der Erdbebenaktivität in den Campi Flegrei seit Jahresbeginn 2023. Stand: 28. Oktober, 8 Uhr. Erdbebendaten: Vesuv-Observatorium.

Vor allem die Zahl der spürbaren Erdbeben (ab etwa Magnitude 1.5) ist deutlich zurück gegangen, was in der Bevölkerung zu einer gewissen Entspannung führt. Dennoch ist der Rückgang der Erdbebenaktivität allein kein Grund zur Entwarnung. Wie man im Vergleich sieht, waren auch die Wochen zwischen den Hochphasen Anfang August und Ende September ziemlich ruhig, bevor es wieder steil nach oben ging. Ob die aktuell ruhigen Tage ein weiteres Intermezzo vor einer neuen Aktivitätswelle sind, ist unklar.

Ebenfalls rückläufig, so scheint es zumindest, ist aktuell die Hebungsrate. Durch den Druck von Magma und Gasen wird der Boden in der Region angehoben, teils mit extremen Geschwindigkeiten von bis zu einem Zentimeter pro Tag, im Jahresdurchschnit 2023 bisher 15 mm pro Monat. Diese Hebungsraten sind ursächlich für die Erdbeben, da das Gestein unter dem Druck aus der Tiefe anfängt zu brechen.

Bodenhebungen stagnieren

So überrascht es nicht, dass die Bodenhebung gemäß des jüngsten Wochenberichts des Vulkanobservatoriums an vielen Stationen zurückgegangen ist, teilweise sogar auf 0 gesunken. Aber auch diese Entspannung ist mit Vorsicht zu interpretieren. Ähnliche Knicks in der Kurve gab es bereits im Juni und Juli sowie Ende August, jeweils vor den beiden Hochphasen. Aber, wenn man es positiv sehen möchte, jede Trendumkehr beginnt ebenfalls mit einem Knick.

Bei weiteren vulkanischen Parametern gibt es keine Änderungen. Weiterhin gibt es keine Hinweise darauf, dass Magma aufsteigt oder ein Vulkanausbruch bevorsteht. Alle beobachteten Aktivitäten sind den Bodenhebungen geschuldet, die durch ein Zusammenspiel aus magmatischen und hydrothermalen Prozessen entstehen. Daher sei an dieser Stelle auch nochmal ein paar persönliche Worte (die auch deutlicher ausfallen, weil von einigen Medien „Erdbebennews“-Zitate aus dem Kontext gerissen und missbraucht wurden):

Der Alarmismus, dem viele deutsche Medien verfallen sind, ist oft gegenstandslos. Für einen Vulkanausbruch gibt es kein Anzeichen, für eine Supervulkanausbruch noch viel weniger. Aber solche Begriffe führen zu Angst und Angst führt zu Klicks. Deutsche Medien, gerade der Boulevard, leben von Klicks und Werbeeinnahmen und Skrupel davor, zur Not auch Geschichten, Konflikte und Krisen zu erfinden, schwinden immer mehr. So auch herbeigeredete Weltuntergänge durch Supervulkane. 

Zwar gibt es auch bei Experten vor Ort durchaus Sorge. Denn das, was wir zuletzt beobachteten ist immer noch die höchste Aktivität seit 40 Jahren. Doch diese Sorge gilt momentan vor allem den Erdbeben, welche auch der Hauptgrund für mögliche Evakuierungen sind. Ein kleiner und lokaler (!!) Vulkanausbruch in naher Zukunft ist zwar realistisch, weshalb auch dieses Szenario in offizielle Planungen einfließt. Aber, wie gesagt, aktuell gibt es dafür keine Anzeichen. Zudem darf man bedenken: Der letzte kleine Vulkanausbruch liegt 500 Jahre zurück. Der letzte sehr große Vulkanausbruch 20.000 Jahre. Die letzte seismische Krise 40 Jahre. Eine Krise, wie sie einmal alle 40 Jahre auftritt, ist vielleicht kein guter Indikator für eine Katastrophe, die nur alle 20.000 Jahre auftritt. (Nein, diese Statistiken und Wiederholungsraten sind sachlich nicht korrekt, für einen groben Vergleich der Dimensionen aber ausreichend.)

Rückläufige Aktivität keine Entwarnung, aber Hoffnungsschimmer

Mit fortschreitender und zunehmender Bodenhebung steigt auch die Wahrscheinlichkeit für direkte vulkanische Aktivität. Daher ist es sinnvoll, die Aktivität weiterhin genau zu überwachen. Die Aktivität scheint aktuell abzunehmen. Doch die letzten Wochen zeigen, dass dies trügerisch sein kann. Es bräuchte mehrere Wochen und Monate der Entspannung, um wirklich von einem langfristigen Trend auszugehen.

Ob diese Entspannung fortdauert oder eine neue Hochphase einsetzt, werden die kommenden Wochen zeigen. Es gibt leider keine Möglichkeit, diese Entwicklungen im Voraus abzuschätzen. Daher bleibt nur abwarten und die Situation nüchtern und seriös beobachten.

 

Die aktuelle Aktivitätsphase der Campi Flegrei, Chronologie:

seit 2002: Zunahme des Ausstoßes vulkanischer Gase
2011 bis 2012: Beginnende Hebung und zunehmende Zeichen von Aktivität in Form von Gasaustritten, kleineren Schwarmbeben und erhöhten Temperaturen: Alarmstufe des Vulkans wird auf Gelb erhöht
2014 – 2018: Zunehmende seismische Aktivität und fortschreitende Bodenhebungen
2018: Bodenhebungen seit 2011 erreichen im Peak 50 cm
Dezember 2019: Zunehmend auch spürbare Erdbeben in den Erdbebenschwärmen und kurzzeitig stark erhöhte Hebungsrarten. Bisheriger Höhepunkt: M2.8
April 2020: Erdbeben der Stärke 2.9, seitdem Hebungsrate von 13 cm / Jahr, Höhepunkt der Gasemissionen, danach leicht rückläufig
März 2022: Erdbeben der Stärke 3.5 und 3.6, stärkste Erdbeben seit 1983, wieder zunehmende Gasaustritte
Juni 2022: Kurzzeitiger Rückgang der Hebung auf 7 cm pro Jahr mit geringerer Erdbebenaktivität
Dezember 2022: Beschleunigung auf 15 cm pro Jahr. Erstmals seit 1982 mehr als 400 Erdbeben in einem Monat
11. Juni 2023: Weiteres Erdbeben der Stärke 3.6
August 2023: Leichte Beschleunigung der Hebungsraten, stark zunehmende Erdbebenaktivität
7. September 2023: M3.8, stärkstes Erdbeben seit 1983, Gebäudeschäden
21.-23. September 2023: Kurzzeitig massiv beschleunigte Hebungsrate, 1 cm innerhalb von 3 Tagen.
27. September 2023: M4.2, stärkstes Erdbeben seit 1983, Gebäudeschäden
2. Oktober 2023: M4.0, Gebäudeschäden
5. Oktober 2023: Rückgang von Erdbebenaktivität und Hebungsraten