Vulkanische Ursache? Unerwarteter Tsunami und rätselhafte Erdbeben in Japan

Ohne Vorwarnung hat in der vergangenen Nacht ein kleiner Tsunami die Südküste von Japan getroffen. Die Japanische Meteorologiebehörde registrierte gegen Mitternacht MESZ Wellen mit einer Höhe von bis zu 60 Zentimetern. Bis auf Schäden an ein paar Schiffen blieb der Tsunami zwar harmlos. Er traf das Land jedoch völlig ohne Vorwarnung, weshalb nach den ersten Beobachtungen direkt eine Evakuierungsorder für manche Küsten ausgesprochen wurde. Ein typisches großes Erdbeben als Tsunami-Auslöser gab es zuvor nicht. Die Ursache ist zur Zeit unklar, doch es gibt Hinweise auf größere vulkanische Aktivität am Meeresgrund.

Tsunami-Signal an der Messstation auf der Insel Chichijima. Daten: http://www.ioc-sealevelmonitoring.org/station.php?code=chij

Denn bereits seit sechs Tagen kommt es südlich von Japan nahe der Izu-Inseln zu intensiver seismischen Aktivität. Beginnend am dritten Oktober ereignete sich über Tage hinweg eine Erdbebenserie 80 Kilometer südlich der unbesiedelten Vulkaninsel Torishima, die erst 1939 nach einem Unterwasser-Vulkanausbruch entstand. Die Seismizität gipfelte in drei Erdbeben der Stärke 6 am 3., 5. und 6. Oktober. Die Erdbeben ansich blieben aufgrund der Abgelegenheit komplett harmlos, wurden nichtmal von Menschen verspürt. Doch deutete sich bereits durch diese Erdbebenserie an, dass möglicherweise magmatische Aktivität im Spiel ist.

Der Tsunami am 8. und 9. Oktober liefert einen weiteren Hinweis. Unmittelbar bevor die ersten Wellen registriert wurden, lebte die Erdbebenaktivität an dieser Stelle nämlich kurzzeitig auf. Fast schon periodisch kam es für knapp eine Stunde zu zahlreichen Erdbeben um Magnitude 5, drumbeat-artig im Abstand von je etwa vier Minuten. Schon zwei Stunden, gegen 19 UTC, zuvor zeichneten umliegende seismologische Stationen ein intensives seismisches Signal auf, welches rund vier Minuten anhält und nicht den Charakteristiken eines Erdbebens entspricht.

Erdbebenaktivität südlich von Japan vom 25. September bis zum 9. Oktober 2023. Erdbebendaten: USGS. Hintergrundkarte: Openstreetmap

Neben Erdbeben können zahlreiche geologische aber auch künstliche Phänomene seismische Signale produzieren. Explosive Vulkanausbrüche ebenso wie Meteoriteneinschläge, Erdrutsche oder als menschliche Ursache auch industrielle Aktivität. Ein Vulkanausbruch wäre in dieser Region nicht ungewöhnlich. Das Gebiet nahe der Izu-Inseln ist bekannt für zahlreiche Unterwasservulkane und häufige Unterwasser-Ausbrüche. Zudem liegt die Felseninsel Sofugan, Teil eines größeren untermeerischen Vulkansystems, nur 30 Kilometer östlich des Epizentrums und der mutmaßlichen Tsunami-Quelle.

Ein möglicher explosiver Vulkanausbruch gegen 19 UTC (entspricht 21 Uhr MESZ) wäre aber nicht der Auslöser des Tsunamis. Denn erst gegen 21:30 UTC erreichten die ersten Wellen die 350 Kilometer südöstlich gelegene Insel Chichijima, gegen 22 UTC den 550 Kilometer entfernten Süden der Hauptinsel Honshu. Distanzen, die ein Tsunami in der Regel in einer Stunde oder weniger zurücklegt. Der Ursprung des Tsunamis muss also während der periodischen Erdbebensequenz gegen 21 UTC zu finden sein. Das stärkste dieser Erdbeben ereignete sich laut USGS um 21:06 UTC und erreichte Magnitude 5.3. Eigentlich viel zu schwach für einen Tsunami, der hunderte Kilometer zurücklegen kann.

Aufzeichnungen der Station JCJ des Japan Meteological Agency Netzes. https://www.fdsn.org/networks/detail/JP/ Zeit auf der X-Achse in UTC.

Aber eigentlich treten Erdbeben dieser Stärke auch nicht in einer solch perfekten Periodizität auf. Gerade bei Erdbebenschwärmen im Zusammenhang mit magmatischer oder Fluid-Aktivität wirkt das Auftreten sehr chaotisch, vor allem wegen der massiven Häufung in sehr kurzer Zeit. Einen solchen Charakter zeigten diese Erdbeben nicht.

Komplett unbekannt sind periodische Erdbeben nicht. In vulkanischen Gegenden, auch bei ruhenden Vulkanen, kommt es immer wieder zu Beobachtungen sogenannter Drumbeat-Seismizität. Mikrobeben, die einem Trommelwirbel ähnelnd in nahezu perfekten Abständen von mehreren Minuten auftreten und teils Wochen andauern können. Als Ursache für dieses Phänomen werden verschiedene Ursachen angenommen, die einen konstanten Spannungsauf- und abbau zur Folge haben: Fluidbewegung, Gasansammlung und -freisetzung, aber auch magmatische Prozesse und Vulkanausbrüche mit konstanter Förderrate.

Doch bewegt sich übliche Drumbeat-Seismizität in einer Größenordnung von deutlich unter Magnitude 2. Sollte bei den Izu-Erdbeben ein ähnlicher Mechanismus zugrunde liegen – und darauf deutet das periodische Auftreten hin – wären die auslösenden Prozesse ungleich dramatischer. Dramatisch genug, um zudem einen Tsunami auszulösen. Eine Möglichkeit wäre ein allmählicher Zusammenbruch einer oberflächennahen Magmakammer.

Die Erdbeben der Vortage, teils über 30 Kilometer nördlich der drumbeat-artigen Beben, könnten eine Folge einer großflächigen magmatischen Intrusion gewesen sein, also vom Eindringen von Magma in die obersten Kilometer der Erdkruste. Dieses hat sich dann bis zum 8. Oktober nach Süden verlagert und in einer oberflächennahen Magmakammer gesammelt. Bis zum 8. Oktober gegen 19 UTC , als sich große Mengen des Magmas plötzlich verlagerten, möglicherweise sogar den Meeresgrund duchbrachen und zu einem Vulkanausbruch führten. Der Strom des Magmas aus der ursprünglichen Kammer hielt für mehrere Stunden mit gleichbleibender Fließrate an.

Gegen 21 UTC könnte schließlich das Dach der Magmakammer Stück für Stück zusammengebrochen sein. Jeder kleine Einbruch löste ein Erdbeben aus. Um 21:06 ist als Höhepunkt des Einsturzes ein Teil des Meeresbodens eingebrochen und hat dabei einen Tsunami ausgelöst.

Ein Überprüfen dieser Theorie ist allerdings sehr schwierig. Das Meer ist an der Stelle 2,5 Kilometer tief. Selbst ein großer Vulkanausbruch, falls es dazu kam, wäre an der Meeresoberfläche nicht nachweisbar. Zudem lässt sich auch nicht ausschließen (oder bestätigen), dass ein untermeerischer Erdrutsch ausgelöst durch die Erdbeben ursächlich für den Tsunami war. Dennoch deutet der Ablauf der Ereignisse auf einen Zusammenhang mit magmatischer oder sogar vulkanischer Aktivität hin.

Für Japan bedeutet das auf jeden Fall, dass die weitere Entwicklung in der Region beobachtet werden sollte. Zwar wurden am 9. Oktober bisher keine Erdbeben mehr registriert, doch könnte die Aktivität wieder aufleben, besonders wenn es weitere magmatische Aktivität gibt. Damit wäre auch die Möglichkeit eines erneuten Tsunamis gegeben.