Wenne im Ruhrpott lebst und häufich deine Wände wackeln, wohnste wohl entweder neben ner Baustelle, anner A40, anner Güterbahn oder inner Nähe vom Pütt. Bei ner Baustelle haste halt dat Pech, datt se da buddeln tun, da darfste auch ruhich mal drüber meckern! Haste die A40 anner Backe oder ne Bahn, biste doch meistens selbst schuld, wohnste ja schließlich nich in Essen-Hügel. Wenne aber annem Pütt lebst und rumjammerst, datt dir son Erdbeben dat Feierabendbierchen umgeworfen hat: Kerr, Fresse halten oder Sachen packen und nach Appelhülsen auswandern! Ne Meinung vonnem Pottkind!

Die Endzeituhr tickt. Nur noch wenige Monate verbleiben. Ist es zwar nicht das Ende der Welt, das uns in wenigen Monaten ereilen wird, aber doch eine bedeutende Wende für viele Menschen, die den obrigen Teaser problemlos lesen und verstehen können. Mit dem Schließen des Bergwerks Prosper-Haniel wird sterben, was das Ruhrgebiet zu dem gemacht hat, was es heute ist. Gerade in den letzten Wochen scheint es so, dass dieses Sterben für viele Bottroper und Oberhausener nicht früh genug kommen kann.

Die seit Jahresbeginn recht häufig auftretenden induzierten Erdbeben sind für viele zum Problem geworden. Nicht, weil sie Eigentum oder gar Leben gefährden, sondern einfach, weil sie nervig geworden sind. So zumindest die Meinung vieler Anwohner.
Zugegeben, neun spürbare Beben in weniger als vier Monaten mag für Außenstehende viel klingen. Doch sollte man bedenken, dass Bergbau unter Tage ohne induzierte Beben fast unmöglich ist. Und ohne Bergbau wäre das Ruhrgebiet in seiner heutigen Form nicht existent. Bochum wäre vermutlich ein Zusammenschluss kleiner Dörfer, gewachsen um den fruchtbaren Boden im Osten der Stadt. Entlang der Emscher hätte sich vielleicht niemand die Mühe gemacht, die dortigen Sümpfe trocken zu legen. Kaum jemand würde sich an Schrebergärten und Taubenzucht erfreuen.
Wäre der „Arbeiterverein“ FC Schalke gegründet worden?
Wer wenn nicht Polnische Bergarbeiter hätte am Borsigplatz angefangen, Fußball zu spielen?
Namen wie Ratajczak, Haiduczek oder Skapski wären heute kaum im Recklinghäuser Telefonbuch zu finden, weil ihre Vorfahren niemals immigriert wären.

Dass es die Steinkohle überhaupt gibt, könnte selbst eine Folge von Erdbeben sein. Dass die Flöze durch Meeresspiegelschwankungen im Karbon-Zeitalter und den damit einhergehenden Überschwemmen und Neubilden von Küstenwäldern entstanden sind, ist sicher. Wie es aber zu den häufigen Meeresspiegelschwankungen gekommen ist, bleibt noch eine ungeklärte Frage. Eine Theorie besagt, dass es gewaltige Erdbeben an einer Subduktionszone waren, die das Land immer wieder angehoben und gesenkt haben.

So wie der Bergbau zum Ruhrgebiet gehört, gehören auch die induzierten Erdbeben dazu. Aufzeichnungen der Erdbeben im Ruhrgebiet reichen bis in das Jahr 1876 zurück. Aber erst nach Einrichtung einer seismologischen Station durch die Bergwerkschaftskasse im Stadtpark Bochum unter der Leitung von Ludger Mintrop konnte im Jahr 1909 das erste Erdbeben instrumentell erfasst werden. Seit damals haben sich die Erdbeben nicht verändert. Ihre Häufigkeit hat variiert, abhängig von der Abbaumenge, der Dichte der Bergwerke. Über Jahrzehnte war jedem im Ruhrgebiet bewusst, was diese häufigen Erschütterungen bedeuten: Erfolgreiche Steinkohleförderung, wirtschaftliche Stabilität, Wohlstand.
Mit dem zunehmenden Verschwinden der Zechen, mit dem Strukturwandel und der Reduzierung auf wenige hundert Bergleute ist dieses Verständnis verloren gegangen.

Aufgeheizt durch Diskussionen um Erdbeben durch Erdgasförderung, Geothermie und Fracking sind menschengemachte Beben immer mehr zum Feindbild geworden.
Während dies im Saarland zum vorzeitigen Ende des Bergbaus geführt hat, blieb die Situation im Ruhrgebiet weitestgehend entspannt, auch wenn Stimmen der Kritik an Erdbeben, Bergsenkungen, Bergschäden und Langzeitfolgen immer lauter wurden.
Der Bergbau im Ruhrgebiet wird zu Grabe getragen. Bleibt nur die Frage, wir wir ihn in Erinnerung behalten. Als Glücksfall, ein Zeichen jahrzehntelangem Wohlstandes, ein Präger unserer Kultur und Lebensweise? Oder als Altlast, die uns noch Jahrzehnte Probleme bereiten wird?

Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Doch gibt es meiner Meinung nach für Menschen, die im Ruhrgebiet aufgewachsen sind, deren Familien sich dort vor langer Zeit angesiedelt haben und von den Gegebenheiten profitiert haben, nur eine Antwort.

Wer sich dennoch an den induzierten Erdbeben stört und wem die Vergangenheit egal ist, dem sei nur ein Rat gegeben: Fresse halten, Sachen packen und nach Appelhülsen auswandern!

2 thoughts on “Kommentar: Induzierte Erdbeben gehören zum Ruhrgebiet

  1. Auch wenn die Steinkohle für das Ruhrgebiet einst sehr wichtig war, es gibt m. E. keine Rechtfertigung für die Erdbeben. Klar, wenn man auf billig setzt und sich den Aufwand spart, alte Schächte wieder mit Abraum zu füllen, entstehen relativ viele induzierte Erdbeben. Dass die Anwohner darüber sauer sind, ist durchaus nachvollziehbar, anders wäre das, wenn ernsthafte Bemühungen zur Verhinderung der Erdbeben erkennbar wären.
    So müssen die Anwohner ja fast zwangsläufig den Eindruck bekommen, ihre Interessen werden als unwichtig betrachtet, zumal man immer auch bedenken muss, dass den Anwohnerinteressen nicht mehr die Interessen von 600.000 Bergarbeitern gegenüberstehen. Entweder man betreibt die Technik vernünftig oder man lässt es bleiben. Halbe Sachen machen keinen Sinn.
    Woanders im Ruhrgebiet kennt man gar keine Erdbeben. Ich wohne z. B. seit über 10 Jahren in Dortmund und habe in meinem Leben noch nicht 1 einziges Erdbeben gespürt.

    1. Die Erdbeben entstehen nicht durch einstürzende Schächte, die schlampig verfüllt werden, sondern während des Abbaus. Deswegen gibt es aktuell auch nur noch Erdbeben in Bottrop. Sonst wären die Beben im Ruhrgebiet deutlich häufiger.

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