Schon vor Beginn der instrumentellen Erdbebenüberwachung in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts hat es in der Bundesrepublik immer wieder größere Erdbeben gegeben. Viele blieben aufgrund der verursachten Schäden und anderer Effekte dank Chronisten in Erinnerung.
Zur Adventszeit werfen wir einen Blick in die Erdbebenvergangenheit von Deutschland und stellen jeden Tag bedeutende Ereignisse aus der vorinstrumentellen Ära vor. 

16. Dezember: Das Posterstein-Erdbeben 1872

Historische Beispiele für starke Erdbeben in Ostdeutschland sind rar. Noch seltener sind jede starken Erdbeben, die durch viele Aufzeichnungen, Zeugenaussagen und Medienberichte so gut dokumentiert sind, dass auch Jahrhunderte später noch wenig Fragen offen bleiben.
Das wohl beste Beispiel für ein Erdbeben der vorinstrumentellen Ära, das umfassend dokumentiert werden konnte, ist das sogenannte Mitteldeutsche Erdbeben im Jahr 1872 nahe des Ortes Posterstein bei Gera (Thüringen).

Mit Mw 5.2 ist es das stärkste Erdbeben mit gesicherten Aufzeichnungen in historischer Zeit im Osten Deutschlands. Bezeichnet wird es als Mitteldeutsches Erdbeben, da es ausgehend vom Epizentrum in Thüringen im Zentrum Deutschlands verbreitet und teils stark zu spüren war. So gibt es neben zahlreichen gesicherten Wahrnehmungsmeldungen aus ganz Thüringen, Hessen, Südniedersachsen und Bayern auch vor allem aus Ostdeutschland und Tschechien viele Beschreibungen. Dank dieser vielen Informationen konnten Stärke, Intensität und Magnitude des Erdbebens ziemlich genau bestimmt werden.

In der Epizentralregion waren die Erschütterungen so stark, dass die meisten Gebäude Schäden erlitten. Einige stürzten sogar ein. Neben Gera und Posterstein direkt am Epizentrum kam es zu Schäden unter anderem in Altenburg, Pößneck und Gößnitz. Selbst im Osten von Sachsen wurden noch kleinere Risse in Wänden dokumentiert.
Durch einstürzende Gebäude und herabfallende Trümmerteile wurden zahlreiche Menschen verletzt. Auch mehrere Todesopfer waren die Folge. Besonders zeigte sich das Erdbeben auch in den morphologischen Veränderungen: Es gab starke Veränderungen des Grundwasserspiegels, sodass manche Quellen und Brunnen versiegten. Zudem bildeten sich kleine Erhebungen in der Landschaft.

Tektonisch ist das Mitteldeutsche Erdbeben der großen, diffus verlaufenden Leipzig-Regensburg Störungszone zuzuordnen. Dieser mehrere hundert Kilometer lange Bruch in der Erdkruste verläuft in etwa Nord-Süd-Richtung von Sachsen-Anhalt bis nach Bayern. Ein weiterer vermuteter Zweig verläuft bis nach Mecklenburg-Vorpommern.
Diese Störungszone kann im Gegensatz zu prominenteren Beispielen wie der San Andreas Störung nicht als eine klar abgegrenzte Linie bezeichnen. Stattdessen handelt es sich um ein System von dutzenden Störungen, die meist parallel zueinander verlaufen, sich teils aber auch kreuzen. Viele der zugehörigen Störungen sind bis heute nicht genau erforscht oder lokalisiert. Meist ist der genaue Verlauf nur gemutmaßt.

Besonders im sächsischen und thüringischen Segment der Störung wurde in historischer Zeit Erdbebenaktivität aufgezeichnet. Auch die Erdbebenschwärme im Vogtland ereignen sich an einem östlicheren Zweig der Störungszone, wenn auch unterstützt durch andere Ursachen.

Wie üblich für starke Erdbeben in Gebieten mit relativ geringer Erdbebenaktivität führte auch das Mitteldeutsche Erdbeben zu einer über Jahre erhöhten seismischen Tätigkeit in benachbarten Regionen. Mehrere kleinere Beben in Sachsen und Thüringen in den Folgejahren sollen von diesem Ereignis getriggert worden sein. Auch die in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auflebende Schwarmbebenaktivität im Vogtland, die in den massiven Schwärmen zur Jahrhundertwende mündete, wird mit dem Mitteldeutschen Erdbeben in Verbindung gebracht.

(Positive) Nachwirkungen zeigen sich bis heute: So gilt dieses vergleichsweise starke Beben als Maßstab für die Erdbebengefährdung in Thüringen und Sachsen, wodurch entsprechende Bauvorschriften greifen. Auch wenn es im Osten Thüringens bis heute kein auch nur ansatzweise vergleichbares Beben mehr gegeben hat: Gelegentlich auftretende Mikrobeben belegen weiterhin die Existenz der Störungszone, die auch in Zukunft große Erdbeben hervorbringen kann.

(Geschätzte) Angaben zum Erdbeben 1872
Datum: 6. März 1872
Momentmagnitude: 5.2
Maximalintensität: VII bis VIII
Schäden: Ja
Opfer: Ja
Verortung des Epizentrums:

Literatur
Bankwitz, E., Bankwitz, P., & Schneider, G. (2000). Seismic and aseismic movements in the western Bohemia/Vogtland area.Studia Geophysica et Geodaetica44(4), 611-613.
Ellenberg, J. (1992).
Recent fault tectonics and their relations to the seismicity of East Germany. Tectonophysics202(2-4), 117-121.
Grünthal, G.., Gutdeutsch, R., & Musson, R. (1992). The central German earthquake of March 6, 1872.Gutdeutsch R, Grünthal G, Musson RMW (ur.) Historical Earthquakes in Central Europe. Monographs1, 51-109.
Leydecker, G. (2011). 
Erdbebenkatalog für Deutschland mit Randgebieten für die Jahre 800 bis 2008.
Sieberg, A. (1940). 
Beiträge zum Erdbebenkatalog Deutschlands und angrenzender Gebiete für die Jahre 58 bis 1799. na.