Alaska ist der flächenmäßig größte und seismisch aktivste Bundesstaat der USA. Hunderte Erdbeben werden hier täglich registriert. Die meisten sind klein, doch mehrmals im Jahr kommt es hier zu starken Erdbeben. Mit dem Karfreitags-Erdbeben 1964 hat eines der größten registrierten Erdbeben (Mw9.2) überhaupt seinen Ursprung an der Südküste Alaskas. Da die Bevölkerungsdichte in Alaska aufgrund der teils extremen Lebensbedingungen sehr niedrig ist, sind signifikante Erdbebenschäden trotz der hohen Aktivität die Ausnahme und resultieren meist nur aus Beben in der Größenordnung von von 1964. Oder wenn ein großes Erdbeben sich direkt unterhalb einer der wenigen Städte ereignet.

Anchorage. Mit rund 300.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des Staates beherbergt Anchorage etwa 40% der Gesamtbevölkerung Alaskas. Bei der Betrachtung der seismischen Gefährdung Alaskas fokussieren sich die meisten Modelle auf eben dieses Ballungs- und Wirtschaftszentrum, das besonders schwer vom Karfreitags-Beben betroffen gewesen ist. Gelegen an einer Meeresbucht, die parallel zur südlicheren Küstenlinie verläuft, ist der Großteil der Stadt auf lockeren Sedimenten gebaut, die Gletscher, Flüsse und Vulkane dort über lange Zeiträume abgelagert haben. Ein Faktor, der die Gefährdung maßgeblich beeinflusst. Lockersedimente verstärken Erdbebenwellen auch von entfernteren Quellen und sind zudem von Bodenverflüssigung bedroht. Zwei Eigenschaften, die das Karfreitagsbeben trotz einiger Entfernung zum Epizentrum in Anchorage so zerstörerisch machten.

Abgesehen von der Subduktionszone stellt die sogenannte Castle Mountain Störungszone eine große Gefahr für Anchorage dar. Diese Blattverschiebung verläuft etwa 30 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum in Ost-West-Richtung und könnte, so die Szenarien des United States Geological Survey (USGS), mittelfristig ein Erdbeben mit Magnitude 7.5 auslösen.

Am 30. November 2018 haben sich jahrzehntelange Erdbebenübungen, Bauvorschriften und Katastrophenschutzpläne für Anchorage ausgezahlt. Doch war es weder die Subduktionszone, noch die Castle Mountain oder eine andere lokale Störungszone:
Ähnlich wie beim Mexiko-City Erdbeben im September 2017 war es eine unbekannte Störungszone innerhalb der subduzierten Platte (hier: Pazifische Platte). Der Verlauf solcher Störungszonen ist nicht kartierbar und deren Existenz meist nicht absehbar, bis es zu einem großen Erdbeben kommt, das Aufschlüsse über die vorhandenen Gegebenheiten gibt. Eine versteckte Gefahr, die überall an Subduktionszonen lauern könnte.

Bereich des größten Versatzes (bis zu 2 m) beim Mw7.0 Erdbeben am 30. November 2018

So passierte es, dass am 30. November eine alte Störungszone reaktiviert wurde, die genau unterhalb von Anchorage verläuft. Das Hauptbeben mit Magnitude 7.0 lokalisierte das USGS 12 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum. Dort brach in rund 40 Kilometern Tiefe (und damit an der Oberseite der subduzierten Pazifischen Platte) eine rund 20 Kilometer lange Abschiebung. Entlang der Störung, die bis ins Stadtzentrum von Anchorage verläuft, versetzten sich die Gesteinsschichten um bis zu 2 Meter gegeneinander. Der initiale Versatz auf relativ kleiner Fläche dauerte nur rund 10 Sekunden. Es folgten jedoch noch für rund eine Minute kleinere Bewegungen an benachbarten Störungssegmenten, was den aktiven Störungsbereich über das Stadtgebiet von Anchorage hinaus vergrößert.

Ein solches Erdbeben könnte, würde es in der oberen Erdkruste direkt unterhalb einer Stadt stattfinden, allen Bauvorschriften zum Trotz, zu großen Zerstörungen führen und vermutlich Todesopfer fordern.
Trotz massiver Schäden an Straßen und Infrastruktur, Stromausfällen und zahlreichen beschädigten Gebäuden blieb Anchorage am 30. November vom gröbsten verschont, dank der moderaten Tiefenlage des Erdbebens. Dennoch kam es im Stadtgebiet zu Intensität VI bis VIII und erreichte damit annähernd die Intensität des Karfreitagsbeben. Dies spiegelt sich vor allem in den Berichten von Bodenverflüssigung und daraus resultierenden lateralen Erdrutschen wieder, was zu den Schäden an vielen Straßen geführt hat.

Der Verlauf der Störungszone lässt sich ebenfalls ungefähr anhand der Epizentren der hunderten, seit dem Hauptbeben lokalisierten Nachbeben ablesen. So ist erkennbar, dass nördlich vom Hauptbeben (der große orangene Kreis im Zentrum der Karte) die höchste Nachbebenaktivität herrscht. Das bisher stärkste detektierte Nachbeben mit Magnitude 5.7 ist jedoch eines der wenigen Nachbeben, die sich südlich des ursprünglichen Erdbebenherdes und damit näher an Anchorage ereigneten. Die 15 Kilometer zwischen diesem Nachbeben und dem Epizentrum des Hauptbebens sind nahezu frei von Nachbeben. Anders am nördlichen Rand, wo die Rest- und neu getriggerte Spannung durch den höchsten Versatz des Hauptbebens zu der recht hohen Nachbebenaktivität führte. Am südlichen Rand glich das große Nachbeben einen Teil der Restspannung aus.
Diese Nachbebenaktivität wird einige Wochen und Monate andauern und es ist wahrscheinlich, dass es gerade im südlicheren Segment (also nahe Anchorage) weitere große Nachbeben geben wird.

Lokalisierungen von Haupt- und Nachbeben (Daten: USGS). Stand: 1. Dezember, 09:30 Uhr MEZ

Für Anchorage brachte der 30. November definitiv ein „Big One“, wenn auch nicht das Worst Case Szenario. Trotz einiger Schäden zeigte das Beben, wie sich jahrelange Vorbereitung auszahlen. So gibt es nur wenige Leichtverletzte und keine Todesopfer, der Großteil der Gebäude bleibt intakt. Doch deuten der recht überraschende Erdbebenherd und die getriggerten Erdrutsche an, dass trotz aller Kalkulationen und Vorbereitung eine Konstante der Unsicherheit verbleibt.


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