Originaltext (auf Englisch) für Risklayer

Für viele Menschen im Norden Griechenlands und angrenzenden Gebieten Nordmazedoniens und Albaniens wurde die Nacht zum Montag (10. Januar) sehr ungemütlich: Das für diese Region stärkste Erdbeben seit Jahrzehnten erschütterte das grenzübergreifende Florina-Bitola-Becken, richtete in beiden namensgebenden Städten Schäden an und lies Tausende Menschen erschrocken zurück. Erschrocken unter anderem auch, weil Florina einer der wenigen Orte Griechenlands ohne nennenswerte Erdbebengeschichte ist, eine der Regionen Griechenlands mit dem niedrigsten Erdbebenrisiko. Das Beben der Nacht ist somit auch eine Warnung, dass die ruhige Vergangenheit und das vermeintlich geringe Risiko kein Versprechen für die Zukunft sind.

Magnitude 5.3 in geringer Tiefe am Rand einer Kleinstadt: Das Erdbeben der vergangenen Nacht hat in Griechenland und Nordmazedonien einige Schäden verursacht. In Florina und Bitola bildeten sich Risse in Häusern, stürzten Fassaden und Balkone teilweise ein, kam es zu Unterbrechungen der Stromversorgung. Auch das nicht weit entfernte Albanien war noch betroffen. (Alle Details zu diesem Erdbeben hier). Glücklicherweise wurde niemand verletzt, mit Ausnahme einiger Menschen, die wegen Panikattacken behandelt werden mussten. Auch die Schäden scheinen bei noch laufender Auswertung zunächst nicht dramatisch zu sein. Für die Region kann man also sagen: Es hätte schlimmer kommen können.

Registrierte Erdbeben (ab Magnitude 5) seit 1950 in der Region im Florina

Schaut man in die Vergangenheit, um nach Beispielen für „schlimmere“ Erdbeben zu suchen, würde man in vielen Regionen Griechenlands fündig werden. Das gesamte Land gilt als tektonisch sehr aktiv mit vielen großen und kleine Störungszonen. Kaum eine Region wurde in der Vergangenheit nicht mindestens einmal von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht – wobei „katastrophal“ auf lokaler Ebene hier aufgrund der geologischen Bedingungen schon ab Magnitude 6 zutreffend sein kann. Regionale Unterschiede gibt es dennoch. Eines der wenigen fehlenden Teile im tektonischen Puzzle stellt das direkte Umfeld von Florina dar.
In historischer Zeit gab es dort kein größeres Schadensbeben. Und auch in Zeiten instrumenteller Aufzeichnung gibt es bis 2022 kein Erdbeben über Magnitude 5. Infolge dessen gehören Florina und angrenzende Teile Westmazedoniens zur Erdbebenrisikozone 1 in Griechenland. Ähnlich niedrig wird das Erdbebenrisiko nur auf den zentralen Ägäis-Inseln sowie ganz im Nordosten des Landes eingeschätzt. Gemäß dieser Definition würde ein solches Erdbeben wie letzte Nacht nur durchschnittlich alle 500 Jahre vorkommen.

Dass eine niedrige Erdbebenrisikozone nicht bedeutet, dass es überhaupt keine starken Erdbeben gibt, sieht man im näheren Umfeld: Bei Bitola in Nordmazedonien kam es im Jahr 1994 zu einem Schadensbeben der Stärke 5.2, bei dem mindestens 10 Menschen verletzt wurden. Sogar Magnitude 6.6 erreichte ein Beben ein Jahr später, rund 100 Kilometer südlich von Florina, glücklicherweise in einer dünn besiedelten Region, aber auch hier mit Verletzten und Schäden. Beide Erdbeben hatten zwar auch Auswirkungen auf das Umfeld von Florina – komplett erdbebenunerfahren ist die Region somit auf keinen Fall – doch ist das Beben der letzten Nacht in der jüngeren Geschichte der Stadt definitiv eine Ausnahmeerscheinung. Studien der letzten Jahrzehnte zeigen jedoch, dass es nicht langfristig dabei bleiben wird.

Aktive Störungen rund um Florina. Daten: Basili R., Kastelic V., Demircioglu M. B., Garcia Moreno D., Nemser E. S., Petricca P., Sboras S. P., Besana-Ostman G. M., Cabral J., Camelbeeck T., Caputo R., Danciu L., Domac H., Fonseca J., García-Mayordomo J., Giardini D., Glavatovic B., Gulen L., Ince Y., Pavlides S., Sesetyan K., Tarabusi G., Tiberti M. M., Utkucu M., Valensise G., Vanneste K., Vilanova S., Wössner J. (2013). The European Database of Seismogenic Faults (EDSF) compiled in the framework of the Project SHARE. http://diss.rm.ingv.it/share-edsf/, doi: 10.6092/INGV.IT-SHARE-EDSF.

Unmittelbar südlich von Florina verläuft das sogenannte Amyndeo-Störungssysten in Südwest-Nordost-Richtung, das ausschlaggebend für die Erdbebengefährdung in der Florina-Region ist. Zwar sind keine größeren historischen Erdbeben bekannt, doch gibt es Hinweise auf tektonische Aktivität in junger geologischer Vergangenheit, somit auch wahrscheinlich andauernde Aktivität. Erdbeben bis Stärke 6.9 seien möglich.
Auch das Erdbeben der letzten Nacht wird aufgrund des parallel dazu verlaufenden Bruchs mit dem Amyndeo-Störungssystem in Verbindung gebracht, allerdings an einem bisher unbekannten Zweig dieser Störung, der direkt unter Florina verläuft. Ob dies möglicherweise sogar ein größeres Erdbebenrisiko als bisher bekannt bedeutet, müssen kommende Studien zeigen.

Auf jeden Fall ist es eine Erinnerung, dass man das Erdbebenrisiko nicht von den Ereignissen der jüngeren Vergangenheit abhängig machen sollte. Die Zeit zwischen zwei großen Erdbeben kann mehrere Tausend Jahre betragen. Die Einteilung in Erdbebenrisikozonen hingegen basiert auf wenigen Hundert Jahren Aufzeichnung. Befindet sich dieser Referenzzeitraum, so wie in diesem Beispiel, zufällig in der ruhigen Phase zwischen zwei großen Erdbeben, kann dies den Eindruck verfälschen.

Zwar kann man anhand des aktuellen Erdbebens keine Schlüsse für die unmittelbare Zukunft ziehen, doch dürfte nun der Eindruck von Florina als potentielles Erdbebengebiet klarer geworden sein.