Vier Tage nach nach der größten Erdbebenkatastrophe in der jüngeren Geschichte beider Staaten wächst die Wut auf die Regierung. Korruption im Bauwesen wird zu Recht angeprangert und man fragt sich, warum man nicht so gut vorbereitet war, wie beispielsweise Japan. Dabei fallen wichtige Unterschiede nicht auf, oder werden teilweise bewusst unter den Tisch fallen lassen. Ein Kommentar.

Türkei, Syrien und Japan – Zwei Regionen, wie sie wohl unterschiedlicher kaum sein könnten. Doch in dieser Woche wird eine Gemeinsamkeit schmerzlich offensichtlich. Beide Weltregionen gehören zu den Erdbebengefährdetsten der Welt. Beide haben eine lange Geschichte von Zerstörung, Trauer und Wiederaufbau. Da liegt der Schluss nahe, einen Vergleich zu ziehen, warum Japan mit Erdbeben so viel besser umgeht.

Die Bauweise macht den Unterschied

Man könnte hier eine ganze Doktorarbeit über die Erdbebensichere Bauweise in Japan und den Versäumnissen in der Türkei schreiben. Aus schmerzlicher Erfahrung hat man bereits vor Jahrhunderten in Japan Methoden entwickelt, wie Häuser Erdbeben besser standhalten können. Dies betrifft Burgen und Tempelanlagen, aber auch das einfache Haus einer Familie. Nach jedem Erdbeben wurden die Richtlinien angepasst. Als mit der Industrialisierung stahlverstärkte Konstruktionen einzug gehalten haben, wurde im Land ein neues Kapitel des Erdbebensicheren Bauens aufgeschlagen.

Eine Geschichte, auf welche die Türkei aber auch Syrien nicht zurückblicken können. Wirtschaftlich lange abgeschlagen wurden moderne Richtlinien erst im Jahr 1998 eingeführt. Nach dem katastrophalen Erdbeben von Izmit ein Jahr später war aber klar, dass die Standards nicht ausreichen und Kontrollen von Gebäuden nötig sind. Bereits im April 2000 wurden die Gesetze verschärft. Es wurde offensichtlich, dass ein Großteil der Bausubstanz nicht in der Lage ist, einem starken Erdbeben standzuhalten und ersetzt werden muss. Ein Jahrhundertprojekt. Ebenso wurden Ämter für Notfallmaßnahmen, Zivil- und Katastrophenschutz durch die Schaffung einer eignen Behörde für Katastrophenschutz abgelöst. Die Gründung der AFAD 2009.

Das Erdbeben vergangenen Montag hat gezeigt, dass nicht genug getan wurde. Zu viele Gebäude sind eingestürzt. Viele ältere wurden nicht nachgerüstet. Viele neuere wurden offenbar nicht nach geltenden Richtlinien gebaut. Der Verdacht: Korruption hat wieder einmal Menschenleben gefordert.

Also macht Japan alles besser?

Die ShakeMap des extremen M7.8 Anfang der Woche: Höchste Intensitäten in weiten Teilen der Türkei uns Syriens. Beben mit ähnlich weitreichend hoher Intensität sind auch in Japan extrem selten.

Das Problem mit der Intensität

Die strengen Richtlinien in Japan werden verfolgt. Japan liegt in der Rangfolge der am wenigsten korrupten Länder auf Platz 18 zwischen Belgien und Frankreich. Die Türkei findet sich auf Platz 96 und Syrien auf Platz 178.

Eine ausreichende Antwort ist das nicht. Denn Trotz der Gemeinsamkeit als hochgradig erdbebengefährdete Länder gibt es doch große Unterschiede zwischen den lokaltypischen Erdbeben in beiden Regionen. Das klassische Erdbeben in Japan liegt vor der Küste in moderater Tiefe. Liegt es an Land, findet es oft in einer recht großen Tiefe von über 100 Kilometern statt. Das bedeutet, besiedelte Gebiete sind meist dutzende, manchmal über 100 Kilometer vom Erdbeben entfernt. Im östlichen Mittelmeerraum ist das anders. Auch an Land finden Erdbeben in geringer Tiefe statt. Dörfer, Städte und riesige Ballungsräume liegen oft sehr nahe am Erdbebenherd. Die Folge: Sehr hohe Intensitäten, oft schon bei geringer Stärke. Natürlich gibt es in beiden Fällen Ausnahmen.

Einen direkten Vergleich konnte man in sozialen Netzwerken schon finden. Hier wurde das Erdbeben von Montag mit einem Erdbeben in Japan 2015 verglichen. Magnitude 7.8, gleiche Stärke. Die Folgen? Drei Beschädigte Gebäude und acht Verletzte. Japan wird für seine überragende Bauweise gelobt. Es wird außen vor gelassen, dass das Erdbeben eine Tiefe von über 600 Kilometern hatte und fast 800 Kilometer südlich der Hauptinsel Honshu lag. Dadurch hatte das Erdbeben lediglich eine maximale Intensität von VI, stark, aber keine Katastrophe. Nirgends.

Magnitude sollte nicht der Maßstab sein

Der Vergleich zwischen Japan und der Türkei scheitert schon am Fehlen eines ähnlichen Erdbebens in der jüngeren Vergangenheit. Magnitude 7.8, in geringer Tiefe in einer dicht besiedelten Region gab es wohl zuletzt vor fast genau 100 Jahren. Ein Erdbeben, das inzwischen Tief in der japanischen Identität verwurzelt ist. Der 1. September, der Tag des Großen Kanto-Erdbebens, ist heute Tag der Katastrophenvorsorge. Aber auch hier ist ein Vergleich unmöglich. In den letzten 100 Jahren hat sich im Land zu viel verändert. Dennoch würde auch heute noch ein ähnliches Erdbeben wie in der Türkei eine Katastrophe auslösen. Das erlebte man, trotz geringerer Magnitude auch 2016 in Kumamoto oder 1995 in Kobe. In vielen Fällen ist es unmöglich, Vergleiche zwischen Ländern zu ziehen. Auf den ersten Blick haben sie vielleicht viel gemeinsam. Doch letztlich bleiben große Unterschiede bestehen.

Konstruktive Kritik ist richtig und wichtig. Man hätte mehr in den Katastrophenschutz und insbesondere in die Nachrüstung von unsicheren Gebäuden investieren müssen. Aber man sollte dabei auf Argumente setzen, die auch einem zweiten Blick standhalten. Auch eine Bauweise wie in Japan hätte eine Katastrophe nicht verhindert. Sie wäre aber einfacher zu handhaben gewesen. Es hätten viele Menschenleben gerettet werden können.

Weitere Infos:

https://www.oecd.org/education/innovation-education/33629220.pdf
https://www.fdma.go.jp/disaster/info/assets/post779.pdf