Mehrere schwere Erdbeben haben in den vergangenen Tagen Vanuatu und Neukaledonien erschüttert. Nach dem Hauptbeben der Stärke 7.7 am Freitag (19. Mai) folgte ein kleiner Tsunami, der noch in Neuseeland Häuser überflutete, aber keine größeren Schäden anrichtete. Ein zweiter Tsunami traf umliegende Inseln keine 24 Stunden später. Ursache: Ein weiteres Beben mit Magnitude 7.1, gefolgt von einem Nachbeben der Stärke 6.5. Diese Beben haben, trotz geringer Auswirkungen, nicht nur umliegende Inseln in Aufruhe versetzt. Mit ihnen sind es seit Jahresbeginn 2023 weltweit nun 13 Erdbeben über Magnitude 7, einer der höchsten Werte seit Aufzeichnungsbeginn. Warum es in diesem Jahr so viele Erdbeben gibt und wie die Situation einzuordnen ist.
Das Erdbeben in der Türkei und Syrien Anfang Februar, bei dem über 55.000 Menschen ums Leben kamen, war das bislang stärkste des Jahres. Magnitude 7.8, gefolgt von Magnitude 7.6 wenige Stunden später. Eine Katastrophe, die in die Geschichte eingeht. Deutlich weniger dramatisch waren die Auswirkungen der angesprochenen Erdbeben südlich von Vanuatu. Auch die neun anderen Magnitude 7 Beben des Jahres blieben aufgrund von Tiefe oder Abgelegenheit weitestgehend harmlos. Lediglich beim Papua-Neuguinea-Erdbeben am 2. April wurden Häuser zerstört und sieben Menschen verloren ihr Leben.
Mit der großen Ausnahme in der Türkei blieben die schwersten Erdbeben des Jahres 2023 weitestgehend harmlos, unspektakulär und oft auch einfach nicht der Rede wert. Doch ist es im Moment ihre Anzahl, die Maßstäbe sprengt. 13 mal registrierte das United States Geological Survey (USGS) seit Jahresbeginn eine Magnitude von 7 oder höher. Das ist im Durchschnitt die Anzahl, die in einem gesamten Jahr zu erwarten ist. 2017 gab es im gesamten Jahr weniger als die Hälfte (6). Auf einen 140-Tage-Zeitraum gerechnet, so viel sind seit Jahresbeginn bereits vergangen, ist die Anzahl rekordverdächtig.
Dritthöchste Zahl schwerer Erdbeben seit Aufzeichnungsbeginn
Seit 1960 bestehen weitestgehend vollständige Aufzeichnungen schwerer Erdbeben. Dank des Kalten Kriegs und weltweiter Kernwaffentest wurde zu dieser Zeit global in seismische Überwachung investiert. Nicht wegen der Erdbeben, sondern um mögliche Bombentests des Feindes zu erkennen. Als nützlicher Nebeneffekt dessen liegen seit Mitte der 60er Jahre weitestgehend vollständige Erdbebenkataloge für Beben über Stärke 6 vor. Vergleicht man die 13 M7-Erdbeben der letzten 140 Tage mit anderen, gleichlangen Zeiträumen der letzten Jahre (Grafik 1), fällt auf, wie selten diese Häufung ist.
Nur fünf mal gab es 13 oder mehr Erdbeben der Stärke 7 innerhalb von 140 Tagen. Davon nur jeweils einmal 14 und 15 Beben. Insgesamt zeigten sich seit 1960 relativ starke Schwankungen. Während im Mittel etwa fünf Erdbeben über Stärke 7 pro 140 Tage auftreten, liegen die normalen Abweichungen zwischen zwei und zehn Beben. Ausreißer mit mehr oder weniger Erdbeben sind selten. Zuletzt gab es in den Jahren 2017 und 2018 jeweils 140 Tage komplett ohne Beben mit Magnitude 7, unmittelbar gefolgt von zwölf Beben innerhalb von 140 Tagen.
Höchste Erdbebenanzahl seit 2010
Wie stark die aktuellen Abweichungen vom Mittelwert sind, zeigt die Verteilung der Werte (Grafik 2). In etwa der Hälfte aller Fälle liegt die Zahl der Beben pro 140 Tage zwischen vier und sechs. Kein Beben tritt bei weniger als ein Prozent der Intervalle auf, 13 oder mehr sogar nur bei 0,3%. Die aktuelle Häufung liegt somit im obersten Bereich dessen, was statistisch erwartbar ist und ist dreimal seltener als kein Erdbeben.
Damit dieser statistisch unwahrscheinliche Sonderfall eintritt, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Clusterung von Erdbeben. Oft treten schwere Erdbeben über Magnitude 7 als Einzelereignis gefolgt von Nachbeben auf, gehen also in der Regel als ein Beben in die Statistik ein. Im Jahr 2023 wichen bisher zwei Beben von dieser Regel ab: Sowohl das Türkei-Erdbeben als auch jetzt Vanuatu waren ein Doppelbeben aus zwei M7-Erdbeben innerhalb weniger Stunden, wobei das zweite von dem ersten direkt ausgelöst wurde. Ohne das erste hätte es das zweite wahrscheinlich nicht gegeben. Doch mit elf Erdbeben wären wir immer noch in den oberen 2,5%, die Bereinigung früherer Cluster nicht berücksichtigt.
Statistik zeigt keinen Hinweis für gesteigerte Aktivität
Die statistische Häufung ist real, geht jedoch nicht auf eine konkrete Ursache zurück. Viele Erdbeben könnten vermeintlich bedeuten, dass die tektonische Aktivität auf der Erde (temporär) zugenommen hat. Dies würde sich nicht nur auf große Erdbeben, sondern auf das gesamte Erdbebenspektrum erstrecken und zu einer vermehrten Energiefreisetzung führen. Dies beobachten wir jedoch zur Zeit nicht (Grafik 1, unten). Die von Erdbeben freigesetzte Energie ist im Normalbereich. Auch bei kleineren Erdbeben gibt es keine Häufung (Grafik 3). Gemäß dem Gutenberg-Richter-Gesetz würde eine tektonisch oder durch externe Einflüsse bedingte hohe Anzahl großer Erdbeben auch eine große Anzahl kleiner Erdbeben bedeuten.
Das Gegenteil ist der Fall. Bei Erdbeben über Magnitude 6 gibt es zur Zeit, vergleichen mit anderen Intervallen seit 2000, eher unterdurchschnittliche Zahlen, trotz vieler Nachbeben. Die Energiefreisetzung (Grafik 3, unten) ist erhöht, bedingt durch den Anteil höherer Magnituden. Je stärker das Erdbeben, umso höher die Energie.
Fazit: Häufung starker Erdbeben nur Zufall
Da eine generell erhöhte Erdbebenaktivität als Ursache ausgeschlossen werden kann, bleibt nur normale statistische Variation als Erklärung. Denn wie stark ein Erdbeben wird, ist von vielen Faktoren abhängig. Ob am Ende Magnitude 6 oder 7 in der Erdbebenliste steht, ist zu Beginn eines Bebens noch offen. Es ist die zufällige Gegebenheit der Umstände, die entscheidet. So haben es seit Jahresbeginn fünf Erdbeben mit Magnitude 7.0 ganz knapp ins 7er Ranking geschafft, drei weitere waren mit 7.1 ebenfalls nur am unteren Rand. So, wie der RE1 manchmal mehrmals in Folge pünktlich in Aachen ankommen, sind auch Erdbeben manchmal ein bisschen stärker. Oder schwächer. In der Statistik endet alles als Extremwert, der je nach Betrachtungsweise Sorgen bereiten könnte.