Der Caldera-Vulkan Campi Flegrei am Rand der italienischen Millionenstadt Neapel ist der zur Zeit gefährlichste Vulkan Europas. Seit elf Jahren stehen die „Phlegräischen Felder“ auf Vulkanwarnstufe Gelb, gleichbedeutend mit: „Erhöhte Aktivität“. Im gleichen Zeitraum nahmen sowohl Erdbebenaktivität als auch Bodenhebungen kontinuierlich zu. Eine jüngst veröffentlichte Studie erhielt viel Aufmerksamkeit, wurde sie doch von vielen Medien als Ankündigung eines Vulkanausbruchs interpretiert. Das heutige Erdbeben der Stärke 3.6,das stärkste seit 40 Jahren, dürfte die Angst gesteigert haben, obwohl Unsicherheiten überwiegen. Über die aktuelle Situation und berechtigte Gründe zur Sorge.

Am frühen Sonntagmorgen hat das Erdbeben viele Menschen innerhalb der Caldera aus dem Schlaf gerissen. Magnitude 3.6 ist das stärkste Erdbeben im Vulkankessel seit Jahrzehnten, stark genug, um Schäden und Stromausfälle zu verursachen. Während die Untersuchungen diesbezüglich laufen, wächst die Sorge, dass die jüngst immer häufiger und stärker werdenden Erdbeben einen Vulkanausbruch ankündigen. Seit 2020 hat sich die Erdbebenaktivität verzehnfacht. Rund 600 Erdbeben werden aktuell pro Monat verzeichnet, so viele wie seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr.

Bild 1: ShakeMap des heutigen M3.6 Erdbebens.

Ursache der Erdbeben ist die immer weiter fortschreitende Hebung des Bodens. Oberhalb einer Magmakammer, die sich in rund vier Kilometern Tiefe unterhalb Pozzuolis befindet, steigt der Druck, wodurch die Erdkruste sich nach oben wölbt. Um rund einen Meter hat sich in den letzten 10 Jahren der Boden gehoben, aktuell mit einer Rate von 20 Zentimetern pro Jahr. Dieses Verhalten des Vulkans nennt sich Bradyseismizität, also Erdbeben, die durch vulkanische Hebungen entstehen. Bereits in den 70er und 80er Jahren gab es derartige Phasen. Dabei wurden im Maximum rund 1200 Erdbeben pro Monat und Hebungsraten von bis zu vier Metern pro Jahr registriert.

Magma hebt Erdoberfläche um einen Meter

Während die Hebungen aktuell noch deutlich unter denen von damals sind, scheint sich die Erdbebenaktivität zumindest anzunähern. Diese scheinbare Ähnlichkeit liegt aber auch an der deutlich besseren Registrierung aktuell. Viele der aktuellen Beben wären in den 80ern nicht registriert worden, sodass damals die reale Erdbebenanzahl deutlich höher lag.

Bild 2: Erdbebenaktivität in den Campi Flegrei seit 2018. Oben: Karte der Epizentren. Mitte: Tiefenschnitt der Erdbebenherde. Unten: Zeitlicher Verlauf der Erdbeben. Epizentren sind als Kreise dargestellt. Die Größe der Kreise entspricht der Magnitude. Die Farbe markiert das alter der Erdbeben. Gelbe Kreise sind die jüngsten Erdbeben, blaue die ältesten.

Dennoch haben die fortschreitenden Hebungen Auswirkungen. Eine neue Studie von Christopher Kilburn (UCL Hazard Centre, Department of Earth Sciences, University College London) hat untersucht, wie sich die mit der Hebung einhergehenden Stressänderungen auf die oberste Erdkruste oberhalb der Magmakammer auswirken. Also die Gesteinsschicht, die aktuell zwischen Magma und Erdoberfläche liegt. Dabei wurden sowohl die Deformationen im 20. Jahrhundert als auch die aktuell andauernden berücksichtigt.

Drückt von unten eine Magmakammer auf die obersten Schichten der Erdkruste, gibt es zwei Möglichkeiten, wie Deformation stattfinden kann:

  1. Duktile Deformation: Dabei wird die Erdkruste gebogen, ohne dass es zu direkten Brüchen kommt. Es entsteht ein Hügel mit einem großen Durchmesser und sehr seichten Hängen.
  2. Spröde Deformation: Entlang existierender Schwächezonen (Störungen) wird die Kruste gebrochen. Der Bereich höchster Hebung ist durch Geländestufen und Risse klar abgegrenzt.

Während duktile Deformation meist langsam und ohne Erdbeben einhergeht, ist spröde Deformation das, was durch Erdbeben geschieht. Die hohe Erdbebenaktivität während der stärksten Deformationsphasen in 20. Jahrhundert zeigte an, dass im unteren Teil die Erdkruste bereits gebrochen ist. Dort finden auch aktuell weitere Brüche statt. Jedes Erdbeben ist ein neuer Bruch. Die oberste Kruste, also die oberen ein bis zwei Kilometer, werden aber weiter nur gebogen.

Hebung und Erdbeben machen Erdoberfläche instabil

Die Studie zeigt, dass sich auch das bald ändern könnte. Denn die Stabilität des Gesteins ist durch die andauernden Hebungen und Erdbeben inzwischen stark gesunken. Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Brüche sich bis an die Oberfläche fortsetzen. Wenn der kritische Punkt erreicht und die oberste Kruste instabil wird, kann dies zwei mögliche Auswirkungen haben.

  1. Erdbebenaktivität: Aktuell sind die Beben auf einen sehr schmalen Streifen in rund 2 bis 3 Kilometer Tiefe beschränkt. Oberhalb ist die Kruste stabil, unterhalb ist es aufgrund des Magmas zu heiß für Erdbeben. Ausnahme sind bisher Mikrobeben unterhalb des Solfatara-Kraters, die durch hydrothermale Aktivität direkt an der Oberfläche entstehen. Wird auch die oberste Kruste instabil können die Brüche sich bis zur Oberfläche fortpflanzen und die Erdbeben damit stärker (und auch zerstörerischer) werden.
  2. Vulkanische Aktivität: Ist die oberste Kruste stabil, kann Magma, wenn es denn möchte, nicht so einfach bis an die Oberfläche vordringen. Ein möglicher Vulkanausbruch würde sich durch starke Erdbeben ankündigen, während das Magma versucht, die Kruste zu durchbrechen. Existieren diese Brüche durch die vorherigen Erdbeben bereits, fällt dieses Warnzeichen weg. Ein Vulkanausbruch kann einfacher und ohne große Vorwarnung passieren, womit auch das Risiko für die Bevölkerung zunimmt. Zudem können auch Gase und Wasser einfacher aufsteigen, womit den Ausstoß in den Fumarolen zunehmen und auch Phreatische Explosionen auftreten können.

Ein Bruch der obersten Kruste bedeutet aber nicht, dass es zwangsläufig zu einem Vulkanausbruch kommt, erhöht aber die Gefahr, die vom Vulkan ausgeht. Steigt Magma auf (ob und wo es das im Moment versucht, wissen wir nicht), kann es durch vorhandene Risse schnell die Oberfläche erreichen. Aber komplett ohne Vorwarnung geschieht dies nicht. Denn auch der Bruch selbst kann als Warnzeichen gesehen werden, wenn auch nicht als unmittelbares. Oberflächenbruch geht in der Regel mit starker Erdbebenaktivität an bekannten Störungszonen einher.

Störungszone der letzten Aktivitätsphase reaktiviert?

Womit wir beim jüngsten Erdbeben sind. Denn bei diesem Beben ist nicht nur die Magnitude auffällig, sondern vor allem das Epizentrum. Dieses liegt außerhalb der seismisch aktivsten Zone, die sich zwischen dem Solfatara-Krater und dem Stadtzentrum Pozzuoli befindet. Stattdessen lag das Epizentrum im Ortszeil Arco Felice. Mit diesem Erdbeben setzt sich der Trend fort, dass die seismische Aktivität großflächiger wird. Bereits zuvor gab es in Arco Felice einzelne Mikrobeben. Spürbare Beben gab es außerdem nahe Bagnoli sowie nördlich von Pozzuoli am Astroni-Krater. Doch ist ein Epizentrum Richtung Arco Felice deutlich spannender.

Bild 3: Heat Map der Erdbebenaktivität in den Campi Flegrei seit 2018. Das aktuelle Erdbeben ist als Stern markiert. Schwarze Linie: Verlauf der La Starza Störungszone westlich von Pozzuoli.

Zwischen Arco Felice und Pozzuoli verläuft der westliche Abschnitt des La Starza Störungssystems, erkennbar an einer prominent die Landschaft überragenden Klippe. Entlang dieses Störungssystems hat sich der Boden in den letzten 10.000 Jahren um rund 40 Meter verschoben. Diese Störung ist damit einer der größten Oberflächenbrüche in der gesamten Caldera. Auch die Erdbebenaktivität zwischen 1982 und 1984, der letzten Phase intensiver Aktivität, fand vor allem im Westen dieses Störungssystems statt, hat aber laut Kilburn (2023) nur in Tiefen von rund 2 bis 3 Kilometern Erdbeben ausgelöst. Die Erdkruste oberhalb blieb stabil, ist hier aber besonders vorgeschwächt.

Das heutige Erdbeben ereignete sich in unmittelbarer nähe des Störungssystems, dort wo bereits vor 40 Jahren Erdbeben stattgefunden haben und dort, wo die Wahrscheinlichkeit laut Kilburn (2023) am größten ist, dass ein Bruch erneut die Oberfläche erreicht. Die Tiefe lag bei rund 2,6 Kilometern und damit in dem Bereich, wo auch die Beben in den 80ern stattfanden. Eine Fortpflanzung des Bruchs zur Oberfläche erfolgte damit zunächst nicht. Doch das Erdbeben an dieser Stelle deutet auf eine mögliche Reaktivierung des La Starza Störungssystems hin. Eine neue Erdbebensequenz wie in den 80ern wird damit wahrscheinlicher. Gleichzeitig bietet La Starza auch das Potential für stärkere Erdbeben. Die Gefahr, die potentiell von den bisher weitestgehend harmlosen Erdbeben, steigt also.

La Starza Störung könnte Oberfläche brechen

Kommt es an dieser Stelle zu weiteren Erdbeben, steigt die Wahrscheinlichkeit für ein stärkeres und damit zu einem Bruch des Störungssystems bis zur Oberfläche. In dem Fall hätte Magma, das an die Oberfläche druckt, freie Bahn. Und dass La Starza eine gute Bahn für das Magma sein kann, belegt der jüngste Ausbruch des Vulkans im Jahr 1538. Dieser bildete den heutigen Monte Nuovo im Zentrum von Arco Felice, direkt am Westrand der La Starza Störungszone.

Die Situation am Caldera-Vulkan Campi Flegrei ist somit zunehmend angespannt. Die weiter zunehmende Erdbebenaktivität, weiter andauernde Hebungen und die Gefahr, die von einem möglichen Vulkanausbruch ausgeht, sind beunruhigend. Die Studie von Kilburn (2023) kommt zur richtigen Zeit und gibt Hinweise auf mögliche Warnzeichen und Gefahren, die für den Katastrophenschutz in der Metropolregion Neapel extrem wichtig sind.

Mit dem heutigen stärksten Erdbeben seit 40 Jahren wächst zudem die Gefahr, dass ein solches Szenario Realität werden könnte. Einen unmittelbar bevorstehenden Vulkanausbruch kündigen zwar weder die Studie noch das aktuelle Erdbeben an. Doch geben beide wichtige Indizien für mögliche kurzfristige und langfristige Gefahren. Indizien, die im Ernstfall dringend gebraucht werden, um Millionen Menschen im Gefahrenbereich rechtzeitig zu warnen.

Studie:

Kilburn, C.R.J., Carlino, S., Danesi, S. et al. Potential for rupture before eruption at Campi Flegrei caldera, Southern Italy. Commun Earth Environ 4, 190 (2023). https://doi.org/10.1038/s43247-023-00842-1