Dass die Grenzregion von Deutschland und den Niederlanden erdbebengefährdet ist, weiß man schon lange. Jüngere Erdbeben wie in Roermond 1992 sowie zahlreiche, durch Studien nachgewiesene schwere Beben in prähistorischer Zeit warnen vor dem, was sich eines Tages wiederholen wird. Eine neu veröffentlichte Studie der VU Amsterdam zeigt, dass eines dieser prähistorischen Beben stärker war als zuvor entdeckte. Sollte sich ein solches Beben erneut ereignen, würden auch in weiten Teilen von NRW schwere Schäden möglich sein.

Das Niederrheingrabensystem ist eine der aktivsten Bruchzonen in Mitteleuropa. Von der Kölner Bucht im Südosten erstreckt sich das System bis weit in die Niederlande und Belgien hinein. Einzelne Ausläufer reichen bis zur Nordsee und teils bis nach England. Dabei stellt die sogenannte Peelrand-Störung eine der größten Verwerfungszonen der Region dar. Sie beginnt bei Heinsberg und verläuft über mehr als 50 Kilometer vorbei an Roermond und Eindhoven. Dabei bildet sie die Ostgrenze des kleineren Rur (Roer) – Grabens. Vielerorts markiert eine kleine Geländestufe ihren Verlauf und zeugt von den Verschiebungen früherer Erdbeben. Mehrere paläoseismologische Studien konnten entlang ihres Verlaufs bereits Spuren früherer großer Erdbeben finden und diese datieren. So soll es zuletzt vor 6000 Jahren zu einem Beben über Stärke 6 im südlichen Segment gekommen sein.

Niederländische Forscher haben nun die Ergebnisse einer neuen Studie zur paläoseismischen Aktivität der Peelrand-Störung veröffentlicht. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ronald van Balen von der freien Universität Amsterdam untersuchten sie den Teil der Störung nahe des Ortes Bakel bei Eindhoven. In den obersten Bodenschichten konnten sie dabei die Spuren eines großen Erdbebens entdecken. Der Verlauf der Störung zeichnete sich im Boden ab. Die einzelnen Schichten waren dabei um bis zu 1,15 Meter versetzt. Zudem fanden sich flammenartige Strukturen in den Schichten, die durch die massiven Bodenbewegungen bei einem solchen Ereignis entstehen. Mit Hilfe der Radiokarbonmethode wurde das Alter der obersten versetzten Bodenschichten, und damit der ungefähre Zeitpunkt des Erdbebens, auf 14.000 Jahre datiert. Anhand der Größe des Versatzes lässt sich darauf schließen, dass es sich um ein Erdbeben zwischen Magnitude 6.5 und 7.1 gehandelt hat. Damit war es deutlich stärker als zuvor bekannte Erdbeben an der Peelrand-Störung. Ein zweites, kleineres Erdbeben versetzte die Bodenschichten kurz darauf nochmals, allerdings nur um rund 15 Zentimeter. Bei (oder kurz nach) diesem zweiten Ereignis kam es zudem zu massiven Eintrag von Sedimenten aus tieferen Bodenschichten in die Störungsfläche, möglicherweise infolge von Bodenverflüssigung.

Die Ergebnisse überschneiden sich mit denen einer Studie aus dem Jahr 2002, die rund 30 Kilometer weiter südlich durchgeführt wurde und ein schweres Erdbeben auf den selben Zeitraum datierte, aufgrund des dort ebenfalls Versatzes das Ereignis aber nur auf Magnitude 6.3 schätzte.

Die beiden Erdbeben fallen damit in einen Zeitraum hoher seismischer Aktivität mit zahlreichen schweren Erdbeben entland des Niederrheins vor 15.000 bis vor 10.000 Jahren zusammen. Eine mögliche Erklärung für diese Phase liefern die Autoren mit dem Ende der letzten Eiszeit und der Verlagerung der Gletscher. Dies habe, obwohl der nächste eiszeitliche Gletscherrand hunderte Kilometer entfernt lag, auch unter dem Rur-Graben zu Bodenbewegungen geführt, die wiederum das Entstehen von Erdbeben begünstigten. Andere zuvor in anderen Studien datierte Beben, unter anderem vor rund 12.500 Jahren bei Heerlen und vor 15.000 Jahren bei Viersen, könnten ebenfalls darauf zurückzuführen sein.

Jedoch ist davon auszugehen, dass die Gletscheraktivität nur als Beschleuniger für Erdbebenaktivität im Niederrheingraben wirkte. Weitere schwere Erdbeben vor und nach dieser Phase sind ebenfalls bekannt und nicht auf diesen Prozess zurückzuführen. Entsprechend ist es wahrscheinlich, dass sich ein solches Erdbeben wie vor 14.000 Jahren in Zukunft wiederholen wird.

Oben stehende Karte zeigt die errechnete Intensitätsverteilung eines solchen Erdbebens, gemittelt auf Magnitude 6.8, in Westdeutschland. Sowohl am Niederrhein als auch in Teilen von Münsterland und Ruhrgebiet wären schwere Schäden möglich. Das Gebiet zwischen den niederländischen Städten Roermond und Eindhoven wäre den höchsten Intensitäten (VIII bis IX) ausgesetzt. Sollte sich, was bei diesem Erdbeben nicht mehr nachweisbar war, die Bruchzone bis nach Heinsberg fortsetzen, wären auch dort schlimme Schäden zu erwarten.
Ein solches Erdbeben hätte auch überregionale Auswirkungen. Wie die Berechnungen von CATNews (unten) zeigen, wären selbst in London, Kopenhagen und Mailand noch Erschütterungen zu spüren. Schäden könnten noch in Amsterdam und Lüttich auftreten. Rund 40 Millionen Menschen leben in dem potentiell gefährdeten Gebiet.

Überregionale Intensitätsverteilung des Erdbebens in den Niederlanden vor 14.000 Jahren (nach heutiger Geographie). Karte: CATNews, Andreas M. Schäfer
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Allgemeine Informationen zu diesem Erdbeben:

Uhrzeit (Mitteleuropäische Zeit): vor ca. 14.000 Jahren

Magnitude: 6.5 bis 7.1

Tiefe: unbekannt (oberflächennah)

Spürbar: ja

Schäden erwartet: ja

Opfer erwartet: ja

Ursprung: tektonisch

Tsunami-Gefahr: nein

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Literatur:

Van Balen, R. T., Bakker, M. A. J., Kasse, C., Wallinga, J., & Woolderink, H. A. G. (2019). A Late Glacial surface rupturing earthquake at the Peel Boundary fault zone, Roer Valley Rift System, the Netherlands. Quaternary Science Reviews, 218, 254-266.
https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2019.06.033

Van den Berg, M., Vanneste, K., Dost, B., Lokhorst, A., Van Eijk, M., & Verbeeck, K. (2002). Paleoseismic investigations along the Peel Boundary Fault: geological setting, site selection and trenching results. Netherlands Journal of Geosciences81(1), 39-60.
https://doi.org/10.1017/S0016774600020552