Sechs Tote, sechs Verletzte und hunderte beschädigte oder zerstörte Gebäude. Dies ist die vorläufige Bilanz des schweren Erdbebens im Süden von Mexiko am 23. Juni. Es ist nur eines von vielen schweren Erdbeben, die den Bundesstaat Oaxaca in den vergangenen Jahrzehnten trafen. Eine tektonisch äußerst aktive Region, die mit Slow Slip Events, Erdbebenschwärmen und schwere Erdbeben ein komplexes System aus sich gegenseitig triggernden Ereignissen bildet. Das gestrige Beben ist der bisher letzte Abschnitt einer seit drei Jahren andauernden Kettenreaktion.

Die Auswirkungen des Erdbebens sind überschaubar: Mit bisher je sechs bestätigten Opfern und Verletzten sowie rund 500 beschädigten Gebäuden ist es für ein Beben dieser Stärke eine vergleichsweise niedrige Schadenssumme. Zumindest bei den Gebäudeschäden dürfte sich aber in den kommenden Tagen noch einiges tun, wenn der Katastrophenschutz seine Arbeit beendet hat und eine finale Bilanz ziehen kann.

Schäden wurden bisher vor allem aus der Epizentralregion in Oaxaca gemeldet, wo auch zahlreiche Gebäude einstürzten, Brände ausgelöst wurden und auch Erdrutsche auftraten. Weiterhin kam es zu Gebäudeschäden im Nachbarstaat Veracruz und auch in der 500 km entfernten Hauptstadt Mexiko-Stadt (dort auch zwei Verletzte. Der Großteil der Kernstadt Mexikos befindet sich auf den Ablagerungen eines früheren Sees. Diese Bedingungen innerhalb eines geologischen Beckens führen dazu, dass die Erdbebenwellen schwerer Erdbeben auch aus großer Distanz massiv verstärkt werden. Statt kaum wahrnehmbarer Schwingungen wie am auf festen Vulkangestein erbauten Stadtrand schwang der Boden im Zentrum mit Intensität V und mehr. Die Folge: Mehrere teils eingestürzte Gebäude, welche bereits beim großen Erdbeben 2017 betroffen waren. Ein Effekt, der besonders bei diesem Erdbeben verstärkt war, da überdurchschnittlich viel Energie in Form langperiodischer Erdbebenwellen abgestrahlt wurde.

Während der mexikanische Erdbebendienst SSN Magnitude 7.5 für das Beben am Dienstag ermittelte, korrigierte das USGS am Dienstagabend das Beben von Magnitude 7.7 auf Magnitude 7.4 nach unten – eine Reaktion auf die genauere Bestimmung des Bruchmechanismus und damit auch der freigesetzten Energie. Unterschiede, auch bei der Lage des Epizentrums, die sich durch weitere Auswertungen in den kommenden Tagen relativieren werden. Zumindest die ungefähre Lage der Bruchfläche mit einer Größe von rund 5000 km² ist bekannt: Sie liegt laut USGS Auswertung am südöstlichen Küstenabschnitt des Bundesstaates Oaxaca. Das USGS Epizentrum modellhaft im Zentrum umfasst dieser Bruch auch Gebiete vor der Küste, was schließlich ursächlich für den ausgelösten Tsunami gewesen ist.

Unmittelbar nach dem Beben gab das Pacific Tsunami Warning Center Tsunamiwarnungen für die Küsten Mexikos, Guatemalas, Nicaraguas und El Salvadors heraus, später erweitert auf Ecuador. Nach mehreren Stunden wurden diese Warnungen aufgehoben: An mehreren Küsten Mexikos, unter anderem in Acapulco, wurden Wellenhöhen bis rund 70 Zentimetern registriert: Ungefährlich, sofern man sich nicht direkt am Strand aufhält.

In dem Gebiet an der Küste von Oaxaca hat es in der Vergangenheit zahlreiche schwere Erdbeben gegeben, viele davon mit ähnlich moderaten Auswirkungen wie das jüngste. So sind Beben um Magnitude 7.5 aus den Jahren 1999, 1978 und 1965 bekannt (mit 2020 deutet sich eine gewisse Regelmäßigkeit an). Stärker (M7.8) war ein Beben im Jahr 1931. Aus historischer Zeit sind auch Beben über Magnitude 8 bekannt. Bei der Region handelt es sich um eine Subduktionszone. Vor der Küste taucht die kleine Cocos-Platte unter die Nordamerikanische Platte ab. Der Vorgang findet kontinuierlich mit einer Geschwindigkeit von mehreren Zentimetern pro Jahr statt. Dabei kommt es in Tiefen zwischen 10 und 30 Kilometern zu Verhakungen, die sich in Form von Erdbeben lösen.
Oberhalb und unterhalb dieser sogenannten „seismogenen Zone“ findet eine andere Form von Aktivität statt. Sogenannte „Slow Slip Events“ (SSE), auf deutsch umgangssprachlich auch „langsame Erdbeben“ genannt, sind mehr oder weniger periodisch auftretende, lang anhaltende Bewegungen ähnlich eines Erdbebens, nur deutlich langsamer, sodass es nicht zu spürbaren Erschütterungen kommt. Diese SSEs setzen in etwa die gleiche Energiemenge frei wie schwere Erdbeben. Sie sind nur mit Hilfe von GPS Messungen detektierbar.

Solche SSEs sind vor allem vor der Küste von Oaxaca sehr häufig, umfassen teilweise ein sehr großes Gebiet und sind auch dafür bekannt, dass sie schwere Erdbeben auslösen können.

Im Jahr 2012 erschütterte ein Beben mit Magnitude 7.6 den Nachbarstaat Guerrero. Studien zeigten, dass ein SSE, das in Oaxaca begann, dieses Erdbeben auslöste. SSEs wiederum können ebenfalls von schweren Erdbeben getriggert werden, so wie ein SSE in Guerrero unmittelbar auf ein schweres Erdbeben (M8.8) in Chile folgte.
Auch in den vergangenen Wochen konnten an GPS Stationen erste Spuren eines beginnenden SSEs in Oaxaca gemessen werden, möglicherweise Auslöser des gestrigen Erdbebens. Ein Statement des mexikanischen Erdbebendienstes dazu ist für Freitag (26. Juni) geplant.

Doch auch das Chiapas-Erdbeben (M8.2) im September 2017 könnte zur Entstehung des Bebens beigetragen haben: Berechnungen aus dem Jahr 2017 zeigen, dass die Epizentralregion im Bereich erhöhter Spannung infolge des Chiapas-Erdbebens liegt. Bei jedem großen Erdbeben wird zwar Spannung freigesetzt, doch damit auch gleichzeitig zusätzliche Spannung auf bestimmte Gebiete ausgeübt. In diesen Gebieten ist in der Folge das Auslösen weiterer Erdbeben wahrscheinlicher geworden.
Dass dies für die südöstliche Küste Oaxacas gilt, zeigte sich schon im vergangenen Jahr, als ein ungewöhnlich großer Erdbebenschwarm die Region erschütterte. Dieser umfasste ziemlich genau die aktuelle Bruchzone.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Subduktionszone vor der Küste von Oaxaca sehr komplexe und miteinander verknüpfte Aktivitäten zeigt. Häufige, fast regelmäßig auftretende schwere Erdbeben sind ebenso vorhanden wie Slow Slip Events und Erdbebenschwärme, teilweise zusammenhängend, teilweise triggerbar durch andere Erdbeben in größerer Entfernung. Da aber nicht jedes SSE zu einem großen Beben führt und umgekehrt nicht berechenbar ist, ob und wann SSEs ausgelöst werden, ist es kaum möglich, aus den Zusammenhängen irgendwelche Prognosen zu machen. Eine genauere Beobachtung der Aktivität trägt jedoch stark zum Verständnis der dynamischen Prozesse bei, die in Zukunft vielleicht helfen, mögliche Warnzeichen zu erkennen.


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