Vier schwere Erdbeben über Magnitude 7 innerhalb von drei Jahren. Zwar gehören weite Teile Alaskas, und damit auch die hier betroffene Alaska-Halbinsel, zu den seismisch aktivsten Regionen des Planeten. Doch diese Dichte an großen Beben ist selbst hier eher ungewöhnlich. Mit Magnitude 7.2 war das heutige Erdbeben zwar noch das schwächste der Starkbebenserie, könnte aber die Initialzündung für ein seit Jahrzehnten erwartetes Megabeben sein. Über die Shumagin-Lücke und ihr Tsunami-Potential.

Im Jahr 2020 hat die Starkbebenserie vor der Alaska-Halbinsel begonnen. Am 22. Juli kam es zunächst zu einem Beben der Stärke 7.8, gefolgt nur drei Monate später von Magnitude 7.6 unmittelbar westlich. Diese Erdbeben waren bereits damals verdächtig. Sie ereigneten sich am östlichen Rand einer sogenannten seismischen Lücke, ein Gebiet innerhalb einer aktiven Störungszone, in dem es seit langer Zeit kein großes Erdbeben mehr gegeben hat. Kein Erdbeben bedeutet, dass bereits eine große tektonische Spannung aufgebaut wurde und somit in naher Zukunft das Potential für ein Megabeben besteht.

Bei der betroffenen Störungszone handelt es sich hier um die Alaska-Subduktionszone. Entlang eines fast 3500 Kilometer langen Bogens schiebt sich hier die Pazifische Platte mit rund sechs Zentimetern Pro Jahr von Süden unter die Nordamerikanische Platte. An der Reibungszone kommt es dabei häufig zu schweren Erdbeben. Das bekannteste dieser Erdbeben ist das große Karfreitags-Erdbeben (M9.2) im Jahr 1964, das drittstärkste gemessene Erdbeben in historischer Zeit. Aber auch das Erdbeben der Stärke 8.6 im Jahr 1946 erlangte traurige Berühmtheit, da der folgende Tsunami Teile des 4000 Kilometer entfernten Hawaii verwüstete und 168 Menschenleben forderte, mehr als das Karfreitags-Erdbeben (139 Todesopfer).

Und genau so ein Erdbeben wie 1946 könnte auch in der Shumagin-Lücke möglich sein. Das Shumagin-Segment grenzt unmittelbar an das 1946 gebrochene Segment an und gilt als ebenso anfällig für einen Bruch, der sich bis an die Subduktionsoberseite am Meeresgrund erstrecken könnte (Becel 2017). Beben mit solchen Brüchen sind dafür bekannt, besonders starke Tsunamis auszulösen. Die seit 2020 andauernde Starkbebenserie hat das Risiko für ein unmittelbar bevorstehendes Beben erhöht, da sich das M7.6 und 7.8 am nordöstlichen Rand des Segments ereigneten. Beide in einem Teil, der weniger Spannung aufgebaut hat und damit den stark verhakten, oberflächennahen Abschnitt im Süden nicht direkt beeinflussend (Crowell&Melgar 2020). Durch ihre Größe waren sie aber stark genug, zusätzliche Spannung aufzubauen. Ebenso das im Jahr 2021 folgende Beben der Stärke 8.2 im östlich angrenzenden Semedi-Segment.

Anders als die Erdbeben der letzten Jahre traf das heutige Beben die Shumagin-Lücke relativ zentral und scheint sehr nahe des am stärksten gespannten Bereich gebrochen zu sein. Dafür spricht auch die vergleichsweise geringe Nachbebenaktivität in den ersten Stunden.

Seismotektonische Übersicht der Region rund um die Shumagin-Lücke. Grafik aus Ye (2022), bearbeitet durch Jascha Polet (@CPPGeophysics)

Große Erdbeben über Magnitude 7 können regional den Spannungszustand entlang der Störungszone massiv beeinflussen und dadurch auch andere Erdbeben in unmittelbarer Nachbarschaft auslösen. Dies ist besonders wahrscheinlich an Störungszonen, die sowieso „geladen“ sind. Das heutige Erdbeben könnte daher nochmals Einfluss auf das Shumagin-Segment nehmen und ein kommendes Megabeben erneut ein wenig näher gebracht haben. Dass es sich um einen unmittelbaren Auslöser, bzw. um ein Vorbeben handelt, ist damit allerdings nicht gesagt.

Denn die Shumagin-Lücke wirft auch noch einige Fragen auf. Zwar ist bekannt, dass große Erdbeben in diesem Segment 1788 und möglicherweise auch 1847 verheerende Riesen-Tsunamis auslösten. Doch beide Erdbeben hatten ihren Ursprung wahrscheinlich in einem der Nachbarsegmente und griffen von dort über. Ein Bruch des Shumagin-Segments fand also nur statt, weil es quasi vom Nachbarn mitgerissen wurde. Damit fehlt der Nachweis, dass auch die Lücke selbst Ausgangspunkt eines großen Erdbebens sein kann. Für den Tiefenbereich zwischen 30 und 45 Kilometer gilt dies sogar als äußerst unwahrscheinlich, da hier statt eines Bruchs durch ein Megabeben kleinere Brüche mit Beben unter M7.5) bzw. bruchloses, stetiges Rutschen (Creep) beobachtet wurde. Mit einer Tiefe von 32 Kilometern fällt auch das heutige Erdbeben in dieses rutschende Teilsegment, lag allerdings oberhalb der vergleichbaren Beben 1948 und 1991.

Was nun oberhalb von 30 Kilometern passiert, ist entscheidend. Dass hier viel Potential für ein großes Erdbeben gegeben ist, bleibt unbestritten. In der 3D-Darstellung ist dies gut erkennbar. Dargestellt sind alle bekannten Erdbeben über Magnitude 5 der letzten 120 Jahre. Die vier großen gelben Kreise markieren die aktuelle Starkbebenserie, das heutige Erdbeben liegt ganz im Westen. Zwischen diesem Erdbeben und der Oberfläche der Subduktion, erkennbar durch den in Höhenfarben dunkelblau dargestellten Tiefseegraben, gab es nur sehr wenige Erdbeben. Dort liegt die Shumagin-Lücke (rote Fläche).

Die vier Erdbeben der letzten Jahre haben an dem Segment gezogen. Erst von der Seite und nun mit dem neuesten Erdbeben auch direkt von unten. Ob der Zug reicht, um die Reibung zu überwinden und Jahrhunderte an Spannungsaufbau freizusetzen, wird die nahe Zukunft zeigen. Ein Beben um Magnitude 8.5 ist möglich und in der Folge riesige Tsunami-Wellen, die noch auf Hawaii und in Kalifornien gefährlich wären mit potentiellen Auswirkungen wie 1946. Anders als damals gibt es inzwischen ein Tsunami-Frühwarnsystem, sodass rechtzeitig alle Menschen in Sicherheit gebracht werden könnte. Todesopfer wären somit vermeidbar. Dennoch bleibt die Shumagin-Lücke gefährlich. Ob sie auch Ausgangspunkt des nächsten großen Erdbebens in Alaska sein wird, bleibt abzuwarten.

Literatur

Bécel, A. et al. (2017). Tsunamigenic structures in a creeping section of the Alaska subduction zone. Nature Geoscience, 10(8), 609–613. https://doi.org/10.1038/ngeo2990

Crowell, B. W., & Melgar, D. (2020). Slipping the Shumagin Gap: Akinematic coseismic and early afterslip model of the Mw 7.8 Simeonof Island, Alaska, earthquake. Geophysical Research Letters, 47, e2020GL090308. https://doi.org/10.1029/2020GL090308

Ye, Lingling, et al. „Rupture model for the 29 July 2021 MW 8.2 Chignik, Alaska earthquake constrained by seismic, geodetic, and tsunami observations.“ Journal of Geophysical Research: Solid Earth 127.7 (2022): e2021JB023676.