Erdbeben sind ein gefährliches und beängstigendes Naturereignis. Wie nicht zuletzt die aktuellen Ereignisse in  Japan zeigten, kann ihre Zerstörungskraft groß sein. Und dort, wo Menschen Angst haben, sind Verschwörungsmythen oft nicht weit. So ist die Haarp-Theorie seit Jahren eine der beliebtesten Sagen an Facebook-Stammtischen. Und auch heute kochen die Diskussionen wieder hoch: Hat die USA Japan mit einer Erdbebenwaffe angegriffen, um mit dem folgenden Tsunami auch nebenbei den Gegnern Russland und Nordkorea zu schaden?
Ein Kommentar. 

NEIN!

Wie so ziemlich jeder Verschwörungsmythos, der Erdbeben betrifft, ist auch die Haarp-Saga wissenschaftlich völlig haltlos. Allein schon die Behauptung, man könnte mit Radiowellen kilometertief durch Gestein strahlen, um dort Millionen Tonnen an Gestein in Bewegung zu setzen, ist mit logischen Gedankengängen nicht nachvollziehbar. Dass diese nun trotzdem wieder durchs Internet geistert, ist zwar nicht überraschend. Schließlich waren schon frühere Erdbeben in Japan ein beliebter Aufhänger für Aluhüte, die ihre Fantasien eines seismischen Krieges ausleben möchten. Dass Japan eines der erdbebenreichsten Länder der Erde ist und Erdbeben egal welcher Stärke nicht überraschend kommen und auch wissenschaftlich bis ins Detail analysiert werden, wird dabei völlig ignoriert.

Dass Katastrophen natürlichen Ursprungs sind, war schon zu biblischen Zeiten nicht gern gesehen. Damals war es Gott, heute Joe Biden. In Telegram-Kanälen, wo Denken das Synonym für „HAB ICH BEI YOUTUBE GESEHEN“ ist, sind Fakten noch ungebetener. Doch statt der Rache Gottes für Homosexualität (Stichwort: Sodom und Gomorra, wo ebenfalls ein Erdbeben das historische Vorbild für biblische Interpretation war) ist es in moderner Zeit die Rache der USA für… was eigentlich?

Suhlen in der eigenen Machtlosigkeit gegen fiktive Feinde

Beim Erdbeben im Iran vergangenes Jahr, wo Israel von Verschwörungsmystikern als Schuldiger benannt wurde, wäre eine Intention zumindest politisch noch irgendwie herleitbar. Zumindest mit sehr viel bösen Gedanken. Aber auch da scheiterte es ganz klar an der Faktenlage.

So wird auch das Erdbeben in Japan einen Platz in der Liste von Aluhüten finden. Dabei wäre die Realität an sich schon spektakulär genug, ohne dass man sich ein politisches Motiv herbeidenken muss:

Würden sich Verschwörungsspinner mehr auf reale Probleme statt auf erfundene Probleme konzentrieren, auf diese aufmerksam machen und sich für deren Bekämpfung einsetzen, könnten sie die Welt vielleicht zu einem besseren Ort machen. Mit den Kriegen im Nahen Osten, der Ukraine und Konfliktregionen weltweit sowie der sich verschärfenden Klimakrise, der sozialen Spaltung und der Inflation gibt es viele große Krisen, die das Leben vieler Menschen erschweren. Viele dieser Krisen sind durch politisches Versagen mindestens befeuert, reale Verantwortungslosigkeit Machthabender. Kein Thema aber für Verschwörungshirne, die reale Krisen sogar leugnen, um sich mit Haarp, Chemtrails, QAnon, etc lieber Fantasieprobleme schaffen.

Schaffung fiktiver Krisen um Probleme der Realität auszublenden

Doch man muss nichtmal die großen Probleme der Weltpolitik angehen. Schon kleine Dinge können viel bewegen. Für mehr Erdbebensicherheit und Präventionsmaßnahmen könnte man einstehen oder sich im Katastrophenschutz engagieren, der in Deutschland zum Großteil von Ehrenämtern gebildet wird, obwohl gefährliche Naturereignisse wie das aktuelle Hochwasser im Nordwesten immer häufiger werden und die Resilienz vieler Menschen immer weiter zurück geht – Elfenbeinturmego sei dank. Doch stattdessen jagen sie Einhörnern hinterher und sorgen dafür, dass die Menschen, die momentan sowieso schon extrem leiden, durch krude Gerüchte weiter verängstigt werden. Lose-Lose für jeden Beteiligten.

Aber Empathie ist für diese Menschen sowieso nur angesagt, wenn es zum Nachteil eines erwählten Feindes ist. Und wenn es Naturkatastrophen sind, für die niemand verantwortlich ist, muss halt einer erfunden werden. So wird auch in Zukunft die Geschichte von erdbebenverursachenden Radiowellen weitergetragen. So wie die Geschichten von geheimen Tunnelsprengungen, geheimen Gasbohrungen und Schwarzen Löchern in den Schweizer Bergen. Nichts ist verrückt genug, wenn man Angst vor der Realität hat. Zumal die Flucht in eine Parallelwelt bequemer ist das das Bekämpfen der eigenen Unwissenheit.

 

Dieser Beitrag erschien in einer ähnlichen Fassung im Februar 2023